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# taz.de -- Ausstellung von Raymond Pettibon: Amerikas Mythen seziert
> Der kalifornische Künstler Raymond Pettibon bekommt in der Sammlung
> Falckenberg in Hamburg seine bislang größte Ausstellung gewidmet.
Bild: Der kalifornische Künstler Raymond Pettibon mit dem grimmigen Humor.
Der Künstler verspätet sich. Also sitzen da erst mal nur drei Männer in
guten Anzügen: der Hausherr, der Kurator und der Sammler. Einen „Chronisten
des gescheiterten Amerikanischen Traums“ zeige man, sagt Dirk Luckow,
Intendant der Hamburger Deichtorhallen. Es ist noch ein Tag bis zur
Eröffnung der bislang größten Einzelausstellung des US-Amerikaners Raymons
Pettibon, und das im Hamburger Süden, also ab vom örtlichen
Kunstbetriebs-Schuss.
Überhaupt, Superlative: Mit Ulrich Loock, der gleich danebensitzt, hat man
ja auch denjenigen an Bord, der einst Pettibons erste Einzelausstellung in
Europa kuratierte, in Bern war das, 1995. Ungefähr zur selben Zeit, sagt
der Dritte am Tisch, der Sammler Harald Falckenberg, habe er angefangen
Pettibon-Arbeiten zu kaufen. Womit er längst nicht mehr allein ist: Unter
den Leihgebern der Hamburger Ausstellung finden sich nun ein paar ganz
große Namen.
Tags darauf dann, zur Eröffnung bei freiem Eintritt, aber ohne den
Künstler, sind viele gekommen, deren Kleidung, Haarschnitt oder, seltener,
Piercings eine zumindest doch episodische Berührung mit Punk signalisieren:
Pettibon, Jahrgang 1957, das war bis zur Entdeckung durch den Kunstmarkt
einer, dessen Tuschezeichnungen so manche Lieblingsplatte zieren und so
manches T-Shirt der Lieblingsband.
Zu sehen sind, aus vier Jahrzehnten, rund 900 Arbeiten. Das ist nur ein
Bruchteil der 20.000, vielleicht auch 30.000, die existieren, das betonen
die Männer in den guten Anzügen. Genau weiß das nicht mal Pettibon selbst.
Vieles, was er produziert hat, seit 1978, war ja nicht auf Dauer angelegt;
es waren szenespezifische Gebrauchsobjekte wie Plattencover, Konzertplakate
und -Flyer, Fanzines.
## Für Freunde
„Ich hab Sachen gemacht für meine Freunde und Familie“, so hat es Pettibon
vor ein paar Jahren mal im Gespräch mit dem Literaten Jonathan Lethem
gesagt, und das ist nicht nur eine Sprachfigur: Greg Ginn, Betreiber des
einflussreichen SST-Labels und Gitarrist der noch einflussreicheren
Westcoast-Punkband Black Flag, ist ja tatsächlich der Bruder des Künstlers.
Dieser wiederum hatte mit dem ikonischen Bandlogo, vier schwarzen Balken,
seine einflussreichste Arbeit wohl gleich zu Beginn abgeliefert.
Eine halbe Wand ist nun mit Single-, 10„- und LP-Hüllen behängt, auch die
für eine Laser-Disc ist darunter. Daneben hängen Konzertplakate und, hinter
Glas, Pettibons Fanzines. Fotokopierte merkwürdige Hefte nie so ganz klaren
Charakters sind das, die wenig zu tun haben mit dem gängigen, enger
geführten Magazin-Modell: Fans schreiben über ihre Lieblings-Kulturprodukte
das, was etablierte Medien nicht schreiben.
Direktor Luckow ist besonders stolz darauf, dass man „Captive Chains“ als
Orginalexemplar zeigen kann, Pettibons erstes derartiges Heft aus dem Jahr
1978: ein sichtlich selbst gemachter Comic, in dessen knappem Verlauf jeder
narrative Faden abhandenkommt. Bei aller Verwandtschaft zeigt sich schon
damals ein bedeutender Unterschied zwischen Pettibon und dem Comic: Der
versieht zwar seine Zeichnungen und, später, Gemälde, auch mit Text – bloß
eben nie mit Sprechblasen. Nie arbeitet er illustrativ, da ist immer etwas
Assoziatives, mehr oder minder leicht zu entschlüsseln.
Kurator Loock setzt das in Beziehung mit einer das Werk durchziehenden
Distanzierung – einer Haltung, die Pettibon während des Irakkriegs, also
2003 ff., aufgab: Was er seither abgeliefert hat, entbehrt jeder Ironie.
Die habe, so sagt es der Kurator, einer tiefen Verbitterung Platz gemacht.
Auch die Eleganz des Zitierens, so mag hinzugefügt werden, ist gewichen –
einer schon beinahe wieder Punk-affinen Einfachheit. Der kriegführende
Präsident hat dann halt Blut an den Händen. Da setzt einer plötzlich auf
karikaturenhaften Politik-Kommentar, wo er zuvor amerikanische Mythen zu
sezieren suchte.
## Ruinen der Hippie-Ära
Heiter war aber auch daran schon nie viel: Pettibons Humor ist ein
grimmiger. Anstatt aber direkt von der eigenen Szene zu sprechen, setzte er
bis weit in die 80er Jahre hinein eine andere, dem Punk ambivalent
entgegenstehende ins getuschte Bild: die Age-of-Aquarius-Fantasien der
60er, gesehen in dem Wissen um das, was kam.
Die Ruinen der Hippie-Ära nach dem blutigen Altamont-Festival und den
Morden des Charles Manson, drogenverhangen und gewalttätig. Albtraumhaft
sind aber auch viele seiner sonstigen Bezüge: Werbe-Chic und die extremen
Licht-Schatten-Anordnungen des Noir-Films, Comic-Versatzstücke und
zunehmend auch richtige Weltliteratur, in Halbsätze fragmentiert. So
zerlegt er und setzt neu zusammen, was ihn umgibt.
Die Fülle des Materials erlaubt es, Linien, auch Verknotungen
herauszuarbeiten. Loock konnte thematische, motivische Gruppen
zusammenstellen: Die Rolle des Surfers etwa – oder die vielen Erektionen.
Und gleich daneben, die ganzen beschädigt dargestellten Geschlechtsteile.
Ist dieser „Homo Americanus“ am Ende einer in der Krise?
Irgendwann, das lässt sich nun sehr gut ausmachen in dieser üppigen
Ausstellung, tritt die Farbe hinzu; werden die Zeichnungen zu Bildern und
die immer komplexer. Irgendwann gibt es dann auch so viel hergestellte
Kunst, dass man sich fruchtbar erneut damit beschäftigen kann: Als Künstler
sei Pettibon ein Wieder-Leser seines eigenen Werks, sagte Loock. Wirklich
erst einen Tag vor der Eröffnung wurde eine Wandarbeit für das Hamburger
Haus fertig. Eine Collage, deren Bestandteile, sagte Pettibon, als er
irgendwann noch vor die Presse trat, „teils ziemlich alt sind“.
## Ein Bein in der Musik
Wer die Ausstellung geführt ansieht, wird wohl nicht genug Zeit dafür
bekommen: Vier Filme Pettibons aus den späten 80er Jahren sind nun auch zu
sehen, entstanden ohne jedes Budget, aber die eingeführten Themen weiter
beackernd. Insbesondere „Sir Drone“ (1989) zeigt, wie lange Pettibon ein
Bein in der Musik- und eines in der Kunstszene gehabt habe, sagte
Deichtorhallen-Chef Luckow: Der eine laienhafte Hauptdarsteller ist Mike
Kelley, selbst Künstler und einem weniger einschlägigen Publikum dadurch
bekannt, dass die Band Sonic Youth sich für ein Album-Cover bei ihm
bediente – so wie zuvor bei Pettibon.
Die andere Hauptfigur spielt der Bassist und Sänger Mike Watt, mit den
Minutemen – deren Artwork wiederum durchgängig Pettibon schuf – eine
semi-legendäre Type im US-Underground der 80er Jahre. Warum kam in Hamburg
nun eigentlich niemand auf die Idee, aus den vorhandenen Filmen und der
vielfach belegten Musik-Affinität Pettibons ein anständiges Begleitprogramm
zu machen?
Dass der schieren Menge auch ein Problem innewohnt, das räumte Kurator
Loock bei der Eröffnung ein – aber: „Auch wenn es nur 30 Arbeiten wären�…
ermunterte er die Besucher, müssten die danach, wären sie ganz ehrlich,
sagen: „Das ist zu viel.“
1 Mar 2016
## AUTOREN
Alexander Diehl
## TAGS
Künstler
Ausstellung
Kunstausstellung
zeitgenössische Fotografie
zeitgenössische Kunst
Hamburg
Kalifornien
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