# taz.de -- Ausstellung über China: Der Künstler hängt am Tropf | |
> Deutlich mehr als künstlerische Häppchen zu Hamburgs | |
> Wirtschafts-Förderungs-Sause „China Time“: Die Ausstellung „Secret Sig… | |
> in der Sammlung Falckenberg. | |
Bild: "Follow you", hat Wang Quingsong seine Arbeit genannt - aber die jungen L… | |
Wo anfangen? Tja – wo bloß anfangen. Vielleicht (bevor wir die Hallen der | |
Sammlung Falckenberg drüben in Hamburg-Harburg als Dependance der | |
innerstädtischen Deichtorhallen tatsächlich betreten und uns langsam in | |
ihnen verlaufen) nehmen wir uns erst mal ein kleines Büchlein vor, das | |
dieser Tage massenhaft in Hamburg ausliegt. Herausgegeben hat es die | |
Hamburg-Marketing-Agentur, es soll die interessierten Hamburgerinnen und | |
Hamburger, aber auch die Touristen, die in der Stadt vorbeischauen, darüber | |
informieren, was dieses Jahr alles an Veranstaltungen, Vorführungen und | |
auch Ausstellungen zur fünften „China Time“ geboten wird. | |
„China Time“, das ist die große, jährliche China-Hamburg-Sause, die den | |
wirtschaftlichen Austausch zwischen Hamburg und der | |
kommunistisch-kapitalistischen Volksrepublik spiegeln und fördern soll. Und | |
so wie es zum Besuch jeder hochoffiziellen Wirtschaftsdelegation das | |
Damenprogramm gibt, bietet die „China Time“ einen bunten Strauß an | |
Veranstaltungen, die uns China als Wirtschaftssystem, als Sehnsuchtsort, | |
aber auch als Kunstnation nahebringen sollen. | |
## Falun Gong ist auch da | |
Lyriklesungen, Konzertabende und Vorträge über Landeskunde gibt es da; | |
Einführungen in chinesische Medizin reihen sich aneinander. Sogar die | |
vermutlich obskure und im offiziellen China alles andere als wohlgelittene | |
Falun-Gong-Gruppierung darf zu einer Präsentation ihrer Meditationstechnik | |
einladen. Und mittendrin wird heftigst für „Secret Signs“ geworben – die | |
große Ausstellung, die Rätsel klären soll. | |
Auf dem Deckblatt des Programmheftes findet sich dazu ein erster, zentraler | |
Hinweis: ein einzelnes Foto aus der mehrteiligen Arbeit „Family Tree“ von | |
Zhang Huan. Er hat sich einen Tag lang von drei Kalligrafen sein Gesicht | |
mit positiven Begriffen wie „Glück“ oder „Hoffnung“, aber auch mit Nam… | |
aus seiner Familiengeschichte bemalen lassen – bis sein Gesicht am Ende | |
unter einer Art Maske aus Schriftzeichen nahezu verschwindet. Wo sich der | |
einzelne Mensch durch Schrift zu äußern sucht, verschwindet er am Ende | |
unter dieser Schrift? Und wer schreibt und wer liest, und ist immer alles | |
zu entziffern? Und was muss man dazu wissen? | |
Geboten wird zu dieser Frage eine breite Übersicht über aktuelle | |
Kunstströmungen Chinas, das Spektrum reicht von Rückgriffen auf den | |
Minimalismus oder die Pop-Art bis hin zu Kunst als Schauplatz klarer | |
politischer Statements. Das gilt etwa für die Installation „Red Curtains | |
5/12“ von Yuan Gong: Von der Decke hängen wie ein mächtiger Theatervorhang | |
drapiert, lange, leuchtend rote Stoffbahnen herunter, die mit gelben | |
Schriftzeichen versehen sind. Der Künstler greift so die offiziellen | |
Losungen und Parolen auf, mit denen die staatlichen Behörden ihr Versagen | |
nach dem verheerenden Erdbeben in der Provinz Wenchuan im Mai 2008 zu | |
kaschieren suchten – da sind wir schon mitten in geheimen Zeichen | |
angekommen. | |
Und weiter geht’s: Feng Mengbo, dem der Ruf vorauseilt, er sei einer der | |
führenden Multimediakünstler seines Landes, digitalisiert die | |
Landschaftsmalerei und die Kalligrafie alter chinesischer Meister. Daraus | |
fertigt er imposante Wandgemälde, die fragen, ob und wie im Zeitalter der | |
nun grenzenlosen Reproduzierbarkeit traditionelle Malansichten noch Bestand | |
haben könnten. | |
Vom Format her gewissermaßen den Gegenschritt macht Lu Hao mit seiner | |
Arbeit „A Grain of Sand“. Ein einzelnes Sandkorn ist zu sehen – und dazu | |
stark vergrößert, was der Künstler in dieses eingeritzt hat: die | |
Zeitungsnotiz über einen Vorfall, bei dem ein Wanderarbeiter von seinem | |
Chef getötet wurde, nur weil er von diesem seinen noch ausstehenden Lohn | |
einforderte. | |
## Der Toten gedenken | |
Der Tod und die Arbeit ist auch das Thema von Jin Fengs Arbeit „Bamboo | |
Book“, wobei er vom Einzelnen zum Kollektiven und zurück schreitet: Ein | |
Jahr lang hat er in lokalen Archiven und Sterberegistern recherchiert, auf | |
der Suche nach den Namen und Daten all derer, die von 1959 bis 1961 während | |
des von Mao Zedongs angeordneten großen Sprungs nach vorn und der damit | |
einhergehenden Hungersnot gestorben sind. Nun hat er Namen für Namen | |
aufgeschrieben, damit sie wenigstens als Schrift auf einer Buchrolle | |
erhalten bleiben. | |
Weit verspielter ist die Arbeit „Follow You“ von Wang Qingsong, der uns | |
mittels eines wandfüllenden Fotos in eine Art Bibliothek führt, wo an eng | |
hintereinander gestaffelten Tischen junge Chinesen sitzen, um die vielen | |
Fragen, die an der Wand zu lesen sind, zu beantworten: Warum müssen wir | |
sterben? Warum wachsen wir heran? Oder: Warum werden Kinder geboren? Es | |
muss eine mehr als erschöpfende Arbeit sein, denn alle liegen schlafend | |
über ihren Büchern. Nur der Künstler selbst ist wach; sitzt allerdings | |
leicht erstarrt inmitten der Schlafenden, ein Infusionsgerät scheint ihn | |
unablässig mit einer wach haltenden Substanz zu versorgen – der Künstler | |
hängt am Tropf. | |
Spöttisch aufgelegt wiederum die Künstlergruppe Yangjiang Group, die den | |
Betrachter mit ihrer Arbeit „Calligraphy happening“ in eine | |
Gartenlandschaft mit künstlichen Kirschbäumen und Holzbrücke über einen | |
Fluss voller zerknüllter Blätter führt, die sich sachte wie von Wind | |
getrieben auf und ab bewegen. Die drei Künstler pflegen sich vor der | |
Fertigung von Kalligrafien zünftig zu betrinken – auch ein Umgang mit | |
traditionellem Schriftgut. | |
Und ja, auch Ai Weiwei ist vertreten, mit der Arbeit „Divine Diatribe“, die | |
er eigens für die Hamburger Ausstellung konzipiert hat. Er hat dazu | |
Einträge seines 2009 verbotenen Internetblogs ausgewählt und in | |
verschiedenen Kalligrafieschriften verschiedener Epochen niedergeschrieben; | |
so hängen sie nun an der Wand und sind nicht mehr ohne Weiteres kopierbar. | |
Lesenswert dazu ist unbedingt Ai Weiweis Interview, das sich im Katalog der | |
Ausstellung findet, wie überhaupt der Katalog zur Ausstellung unbedingt | |
gelesen werden will, enthält er doch jede Menge spannender Interviews und | |
Hintergründe, sodass sich folgendes Vorgehen empfiehlt: ein erster Gang | |
durch die Ausstellung, sich in eine Ecke zurückziehen und lesen, dann folgt | |
ein zweiter Gang durch die Ausstellung. | |
## Was darf man zeigen? | |
Überhaupt stellt sich ein interessanter Effekt ein, je länger man von Raum | |
zu Raum schlendert und sich wenigstens vordergründig das Gefühl von | |
Fremdheit angesichts der Verwandtschaft der verschiedenen | |
Kalligrafiesphären und der Ähnlichkeit der Materialien (meist Papier, auch | |
Holz und Bambus) allmählich zu legen scheint. | |
Nach und nach tauchen nämlich jede Menge Fragen auf, die zunächst wegführen | |
vom Speziellen hin zum Allgemeinen. Etwa: Wie wird man in diesem China | |
eigentlich zum Künstler? Wie ist deren finanzielle, aber auch rechtliche | |
Situation? Was dürfen sie nun eigentlich zeigen, wie stark agiert die | |
staatliche Zensur am Ende? Und wie reagiert überhaupt das chinesische | |
Publikum; was sagt es zu dem, was wir hier gerade sehen und sieht es diese | |
Werke überhaupt? Kurzum: Welche Rolle spielt die Kunst überhaupt in dem, | |
was man so unbeholfen „das gesellschaftliche Leben“ nennt? | |
Ein Wunsch daher für das kommende Jahr, denn die nächste „China Time“ fol… | |
gewiss: Wie wäre es mal mit einem Projekt über das Ausstellen von Kunst | |
hinaus, einem Ausflug in die Welt der aktuellen chinesischen Kunstrezeption | |
und ihrer Wirkungsgeschichte? Wir wären in jedem Fall dabei. | |
## „Secret Signs“: Die Ausstellung in der Hamburger Sammlung Falckenberg | |
läuft bis zum 8. Februar 2015. Dazu ist ein überaus lesenswerter Katalog | |
erschienen. | |
14 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
## TAGS | |
Künstler | |
Ai Weiwei | |
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