# taz.de -- Atomkatastrophe in Japan: Fukushima-Chefs angeklagt | |
> Empörte Bürger haben sich gegen den Willen der Justiz durchgesetzt: Den | |
> Verantwortlichen des GAUs von 2011 wird nun doch der Prozess gemacht. | |
Bild: Doch noch auf der Anklagebank gelandet: Tepco-Manager Tsunehisa Katsumata | |
Tokio taz | Jahrelang hatten Bürger in Fukushima für eine juristische | |
Aufarbeitung der Atomkatastrophe in Japan gekämpft. Nun haben sie sich im | |
dritten Anlauf und wenige Tage vor Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist | |
durchgesetzt: Ein Anwaltskomitee erhob formell Anklage gegen drei Manager | |
des AKW-Betreibers Tokyo Electric Power Company, kurz Tepco. | |
Es ist der bisher einzige Versuch in Japan, die Katastrophe juristisch | |
aufzuarbeiten. Ob es zu einer Verurteilung kommt, ist ungewiss, aber der | |
Prozess könnte das Fehlverhalten von Tepco beleuchten. Angeklagt werden der | |
ehemalige Vorsitzenden des Tepco-Verwaltungsrats, Tsunehisa Katsumata, der | |
für das Nukleargeschäft zuständige Vizepräsidenten Sakae Muto und der | |
technische Berater Ichiro Takekuro. Ihnen wird vorgeworfen, das AKW | |
Fukushima Daiichi nicht ausreichend gegen einen Tsunami geschützt zu haben. | |
Juristisch lautet die Anklage auf Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht mit | |
den Folgen Tod und Körperverletzung. Das bezieht sich auf 44 ältere | |
Krankenhauspatienten, die während der Notevakuierung starben. Außerdem | |
wurden 13 Soldaten und Feuerwehrleute verletzt, als in den Reaktorgebäuden | |
Wasserstoff explodierte. | |
Zunächst hatte die Staatsanwaltschaft im September 2013 ein Verfahren mit | |
der Begründung abgelehnt, der Atomunfall sei schwer vorauszusehen gewesen – | |
was Tepco selbst zu dem Zeitpunkt bereits nicht mehr behauptete. So gibt es | |
einen internen Bericht von Juni 2009, wonach die Reaktoren von einem | |
Tsunami von 15,7 Meter getroffen werden könnten. Darauf hatte Tepco die | |
Atomanlage nicht vorbereitet, obwohl die Notstromgeneratoren fast auf | |
Meereshöhe standen. Während der Katastrophe setzte der Tsunami die | |
Aggregate unter Wasser, die Notkühlung versagte. | |
## Prozess dürfte nicht vor Jahresende beginnen | |
Wegen der Versäumnisse hatte eine Bürgergruppe aus Fukushima bereits 2012 | |
die Anklage von 42 Tepco-Managern, Politikern und Beamten beantragt, | |
darunter die Tepco-Führung und Premierminister Naoto Kan. Als die Justiz | |
ablehnte, schalteten die Antragsteller ein Bürgerkomitee ein. Diese | |
juristischen Institutionen dienen in Japan als Korrektiv für die Allmacht | |
der Staatsanwälte, die im Alleingang über eine Anklageerhebung entscheiden | |
können. | |
Das Gericht hatte eine erste Anklage des Komitees noch abgelehnt, weil es | |
zu wenig Beweismaterial gebe, der zweite Beschluss vom Juli 2015 ist | |
gesetzlich bindend. Das Gericht setzte fünf Anwälte als Staatsanwälte ein, | |
die nun Anklage erhoben. Der Prozess dürfte wegen der komplexen | |
Beweisführung nicht vor Jahresende beginnen. Die drei Anklagten wollen | |
offenbar auf „nicht schuldig“ plädieren. Die drei Manager im Alter zwischen | |
65 und 75 Jahren bleiben auf freiem Fuß. | |
Tepco hatte in der vergangenen Woche erstmals eingeräumt, die | |
Öffentlichkeit nach der Atomkatastrophe nicht richtig informiert zu haben. | |
Schon am 14. März 2011 – also drei Tage nach Erdbeben und Tsunami – | |
schätzte man wegen der hohen Strahlung, dass 55 Prozent der Brennstäbe in | |
Reaktor 1 und 25 Prozent der Brennstäbe in Reaktor 3 „beschädigt” seien. | |
Dennoch benutzte Tepco das Wort „Kernschmelze” erst zwei Monate später. | |
Jetzt erklärte eine Tepco-Sprecherin, dass man damals den eigenen | |
Richtlinien zur Schadenseinschätzung nicht gefolgt sei. Man hätte von | |
Kernschmelze sprechen müssen, sobald mehr als fünf Prozent der Brennstäbe | |
beschädigt seien. Das Handbuch mit seiner Definition von „Kernschmelze“ sei | |
den damaligen Verantwortlichen jedoch nicht bekannt gewesen. | |
29 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Martin Fritz | |
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