| # taz.de -- Grünen-Kandidatin in Rheinland-Pfalz: „Sagen Sie nicht Kretschma… | |
| > Eveline Lemke, grüne Wirtschaftsministerin in Rheinland-Pfalz, über | |
| > Öko-Exporte, Flüchtlingspolitik und Schnitzelparadiese. | |
| Bild: Hält wenig von Vereinfachung und Polarisierung: Eveline Lemke | |
| taz: Frau Lemke, der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer | |
| Pfalz hat kürzlich gesagt, es habe noch nie ein Ministerium in | |
| Rheinland-Pfalz gegeben, das die Wirtschaft so wenig unterstützt habe wie | |
| Ihres. Was haben Sie richtig gemacht, dass Sie kurz vor der Landtagswahl im | |
| März von der IHK abgewatscht werden? | |
| Eveline Lemke: Das ist ja eine rhetorisch interessante Frage. Ich weiß, | |
| dass ich eine streitbare Dialogpartnerin bin, aber wir haben eine starke | |
| Dialogkultur entwickelt, etwa gemeinsam mit den IHKen und den | |
| Handwerkskammern den Industriedialog mit 500 Unternehmen geführt. Wir haben | |
| energieeffiziente und umweltschonende Produktion in den Fokus genommen und | |
| die Förderinstrumente dieser Strategie – sozial, ökologisch, nachhaltig – | |
| untergeordnet. Ich denke, dass die Äußerung der IHK wahltaktisch motiviert | |
| war. | |
| Können die Grünen so wirtschaftsfreundlich sein, wie sie wollen, am Ende | |
| machen die IHKs doch Politik gegen Rot-Grün? | |
| Wissen Sie, ich kann damit ganz entspannt umgehen. Die Wirtschaft in | |
| Rheinland-Pfalz hat sich seit 2011 sehr gut entwickelt. Es sind 60.000 neue | |
| Arbeitsplätze entstanden. Die Hauptgeschäftsführer und Präsidenten der IHKs | |
| haben, als ich ins Amt kam, gesagt: Sie tanzen mit den Mädchen, die auf der | |
| Tanzfläche sind. Und als ich kürzlich den Hauptgeschäftsführer getroffen | |
| habe, habe ich ihm gesagt: Ich nehme nie etwas persönlich, aber ich bin | |
| noch das Mädchen, das auf der Tanzfläche steht. | |
| Sie haben oft betont, wie wichtig der Export für Rheinland-Pfalz ist. Ist | |
| es nicht ein Widerspruch, wenn die Grünen bei Biolebensmitteln sagen, wir | |
| wollen regionale Kreisläufe, bei Technologien aber auf den Export setzen? | |
| Nein. Das sind unterschiedliche Dinge. Rheinland-Pfalz ist besonders bei | |
| Pharma, Chemie und Maschinen- und Anlagenbau exportstark. Das sind keine | |
| Konsumgüter, sondern Bereiche, die darüber mitbestimmen, wie und was in der | |
| Zukunft auch in anderen Ländern hergestellt wird. Wir müssen doch ein | |
| Interesse daran haben, dass in Zukunft in China oder in Indien sauberer | |
| produziert wird als heute. Ich sehe das als Wissens- und | |
| Technologietransfer. | |
| Wenn die Chinesen irgendwann auf die Idee kommen, das selbst herzustellen, | |
| haben Sie ein Problem. | |
| Ja. Aber ich halte nichts von abgeschotteten Märkten. Wir leben in einer | |
| globalisierten Welt und haben immer gefordert, die Globalisierung zu | |
| gestalten. Das betrifft natürlich auch die Frage des Exports von Wissen und | |
| angewandter Forschung. Wenn die Chinesen ihre Anlagen umrüsten wollen, | |
| müssen sie dafür erst die Anlagenteile entwickeln und herstellen lassen. | |
| Und wenn das an unseren Forschungsinstituten und in unseren Unternehmen | |
| gemacht wird, gibt es einen Ko-Nutzen. | |
| Die Wirtschaft sieht Sie kritisch, ein Teil der Umweltinitiativen auch: Die | |
| Grünen haben den Bau der Hochmoselbrücke mitgetragen, der Basaltabbau in | |
| der Eifel und die vielen Windkraftanlagen sind umstritten. Hätten Sie mehr | |
| auf die Umweltverbände eingehen müssen? | |
| Wir gestalten das Land. Und da gibt es natürlich auch Zielkonflikte | |
| zwischen Natur- und Klimaschutz, die wir ausbalancieren müssen. Das ist uns | |
| gut gelungen. Wir haben immer klar kommuniziert, was wir vorhaben, bis hin | |
| zu den Fragen einzelner Windkraftstandorte, und wir haben die Bürger vor | |
| Ort mitgenommen ... | |
| ... bei der Windenergie? | |
| ... Ja, und beim Bergbau und Ähnlichem. Der Interessenausgleich zwischen | |
| Ökonomie und Ökologie ist eine wesentliche Herausforderung, wenn man | |
| Verantwortung übernimmt. Wir sind angetreten für die Energiewende, und wir | |
| haben das ernst genommen und umgesetzt. Wir haben die Erneuerbaren in | |
| Rheinland-Pfalz verdoppelt. Die sind auch sichtbar. Ich habe nicht | |
| erwartet, dass es leicht sein würde. | |
| Ich würde gern über den Westerwald reden. Ich bin dort aufgewachsen und mit | |
| 18 weggegangen. Heute kommt kaum jemand zurück, der mal zum Studieren | |
| weggezogen ist. Der Schützenverein ist oft noch immer das einzige | |
| kulturelle Angebot im Dorf. Was machen Sie gegen die Landflucht? | |
| Unser Statistikamt hat gerade neue Daten vorgestellt. Demnach ziehen die | |
| Leute wieder nach Rheinland-Pfalz, auch Studierte und Fachkräfte, weil wir | |
| so attraktive Arbeitgeber haben. Wir haben hier nahezu Vollbeschäftigung. | |
| Und dazu kommt die Lebensart, ein Mix aus regionaler Tradition und Heimat: | |
| Weinberge, nette Landschaft, Fahrradfahren, Wandern, 550 Burgen, Schlösser | |
| und Museen. Der Rhein und die Mosel, die Ahr, Lahn und Ems. Westerwald und | |
| Hunsrück haben gegenüber Mosel und Pfalz sicher noch Entwicklungspotenzial, | |
| was es zu heben gilt. | |
| Der Westerwald ist doch nicht alleine. Sie kennen wahrscheinlich den | |
| Artikel von Jakob Strobel y Serra in der FAZ über die Schnitzelparadiese | |
| und Schlagermusikhöllen an der Mosel … | |
| Ja, natürlich sagt der mir was. | |
| Der hat dort nicht für Begeisterung gesorgt. Er schreibt, an der Mosel wird | |
| auf Ballermann gesetzt statt auf Qualitätstourismus. Da fahren ganze | |
| Busladungen hin, um sich mit Bier die Kante zu geben ... | |
| Sicher gab es den Kegeltourismus in den 70er Jahren. Aus diesem | |
| Kegeltourismus der 70er Jahre wurde ein stark individualisierter | |
| Gesundheits- und Wellness- und Silver-Ager-Tourismus aus Wandern, Wein, | |
| Kultur, Kulinarik. Dies schrittweise in den Betrieben nachzuvollziehen ist | |
| eine Daueraufgabe. Vor allem Betriebsgrößen einer mittleren Kategorie sind | |
| zunehmend qualitätsorientiert und haben eine hohe Auslastung. Die anderen | |
| verschwinden zunehmend. Hinzu kommen junge Winzer, die tolle Weine | |
| produzieren und mit frischem Ansatz vermarkten. Und so ein Artikel führt | |
| dazu, dass es einen Impuls mehr gibt, sich weiter zu entwickeln. Es lohnt | |
| sich wirklich, an die Mosel zu reisen. | |
| Die Grünen haben lange zwei Alleinstellungsmerkmale gehabt: Ökologie und | |
| Frauen nach vorn bringen. Zuerst haben Union und SPD Ihnen ökologische | |
| Themen geklaut, und jetzt in Rheinland-Pfalz haben Sie das Problem, dass | |
| CDU und SPD ebenfalls Spitzenkandidatinnen aufgestellt haben. | |
| Das ist ja erst mal kein Problem. | |
| Ohne Alleinstellungsmerkmal fehlt doch ein wichtiger Grund, die Grünen zu | |
| wählen. Werden Sie zwischen SPD und CDU zerrieben? | |
| Das sehe ich entspannt. Wenn man für politische Ziele kämpft und sie sich | |
| in der Gesellschaft durchsetzen, muss man zunächst mal froh sein. Aber Sie | |
| glauben nicht ernsthaft, dass Julia Klöckners CDU eine wirkliche Kraft für | |
| volle Gleichberechtigung ist. Frau Klöckner instrumentalisiert etwa den | |
| Feminismus für eine restriktive Flüchtlingspolitik. Und ich glaube auch | |
| nicht, dass die SPD ohne die Grünen verlässlich für den Umweltschutz | |
| streitet. Wir werden nicht inhaltlich zerrieben. Aber natürlich ist es | |
| schwierig, in dieser personalisierten Duell-Inszenierung Inhalte nach vorne | |
| zu bekommen. | |
| Das Flüchtlingsthema haben wir jetzt fast ausgespart. Vielleicht können wir | |
| es über Zitate-Raten abdecken. Drei Zitate, Sie müssten auf die Partei | |
| tippen, von der es stammt. Das erste: „Das Asylrecht ist ein Gastrecht auf | |
| Zeit.“ | |
| „Gastrecht auf Zeit“ – den Begriff „Gastrecht“ hat die CDU/CSU verwan… | |
| Das war Björn Höcke von der AfD. Das zweite: „Wer sein Gastrecht | |
| missbraucht, hat sein Gastrecht eben auch verwirkt.“ | |
| Das hat Julia Klöckner gesagt. | |
| Fast: Das war Sahra Wagenknecht. | |
| Na gut, so etwas sagen sie alle. | |
| Und das dritte: „Menschen, die unser Gastrecht missbrauchen, haben keinen | |
| Platz in unserer Gesellschaft.“ | |
| Sagen Sie mir nicht, dass das Winfried Kretschmann war ... | |
| Malu Dreyer. | |
| Ich finde es schwierig, einen Begriff zu verwenden, der vom Volksmund | |
| abgeschaut ist. Der Aufenthaltsstatus nach den Asylgesetzen oder der | |
| UN-Flüchtlingskonvention wird durch den Begriff „Gastrecht“ ersetzt, der | |
| keine Rechtsgrundlage hat. Deswegen benutzen wir Grüne das nicht. | |
| Kommen Sie mit solchen Differenzierungen noch durch? | |
| Es ist wichtig, den Vereinfachungen und Polarisierungen in der | |
| Flüchtlingsfrage etwas Anspruchsvolles entgegenzusetzen. Das ist | |
| Demokratie, und die macht viel Mühe. Ich werde damit sicherlich keinen | |
| AfD-Wähler erreichen. Aber dass der Druck von der anderen Seite und | |
| momentan auch aus der Bevölkerung größer ist, heißt nicht, dass wir jeden | |
| politischen Schnellschuss mitmachen müssen. Ich sehe mit Sorge, wie sehr | |
| sich das politische Koordinatensystem der Großen Koalition nach rechts | |
| verschiebt. | |
| 25 Feb 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Alina Leimbach | |
| Martin Reeh | |
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