# taz.de -- Bewährung für ehemaligen Neonazi: Einfach nur zugeschlagen | |
> Ein Ex-Rechtsradikaler erhält nach einer begangenen Körperverletzung in | |
> Erfurt eine milde Strafe. Das Gericht sieht kein politisches Motiv. | |
Bild: Hier wurde eine der Taten begangen: Kunsthaus Erfurt | |
BERLIN taz | Es ist Juli 2012, nachts. Acht Männer steuern das Kunsthaus | |
Erfurt an, wo gerade eine Ausstellung eröffnet wird. Sie sind betrunken, | |
fordern Einlass. Auf das „Nein“ wirft jemand eine Bierflasche. Und trifft: | |
Sie zerschmettert am Kopf von Monique Förster, der Galerie-Leiterin. Ein | |
Mann bricht Kurator Dirk Teschner die Nase. | |
Bis dahin sieht alles nach dem Schema Alkohol, Provokation, Schläge aus. | |
Doch dann brüllt einer „Sieg Heil“ und zeigt den Hitlergruß. Er trägt ein | |
T-Shirt mit dem Konterfei des SA-Mannes Horst Wessel. Als eine Besucherin | |
„Verschwindet ihr Nazischweine!“ ruft, verprügeln sie zwei Männer und | |
schlagen ihren Kopf auf die Motorhaube eines Autos. Auch eine Polizistin | |
verletzen sie schwer. | |
Trotz allem sah das Landgericht Erfurt am Donnerstag in der zweiten Instanz | |
keine rechtsradikale Motivation und verurteilte den Hauptangeklagten P. zu | |
zwei Jahren Bewährung. Die Nazi-Parolen waren dem heute 25-Jährigen nicht | |
zuzuordnen, dafür viele der Schläge. Deshalb hatte ihn das Amtsgericht | |
Erfurt im Oktober 2014 zu zwei Jahren und drei Monaten Gefängnis | |
verurteilt. Doch er ging in Berufung und bleibt nun auf freiem Fuß. | |
Die Pressesprecherin des Landgerichts Ellen Böhm räumt zwar ein: „Ja, er | |
hat sich damals im rechten Umfeld aufgehalten.“ Lapidar fasst sie jedoch | |
zusammen: „Sie waren blau, es kam zu Stunk. So, wie es jedem anderen | |
21-Jährigen auch passieren könnte.“ Außerdem habe er bereits 1.000 Euro, | |
den größten Teil des damals vom Amtsgericht für drei Täter verhängten | |
Schmerzensgelds, gezahlt und sich „glaubhaft bei den Opfern entschuldigt“. | |
Das sehen nicht alle so. Die schwerverletzte Polizistin hat die | |
Entschuldigung nicht angenommen. | |
## Unpolitischer Mitläufer? | |
Seit der Entscheidung in der ersten Instanz vor dreieinhalb Jahren war P. | |
nicht weiter auffällig. Deshalb verurteilte das Landgericht ihn nur wegen | |
Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sowie versuchter und gefährlicher | |
Körperverletzung. Die Kosten des Berufungsverfahrens muss er nur zum Teil | |
zahlen, jedoch 200 gemeinnützige Stunden in einer Flüchtlingsunterkunft | |
ableisten. In die Gesamtstrafe floss auch eine knapp fünf Jahre alte | |
schwere Körperverletzung ein. Ebenfalls ohne rechten Hintergrund, wie die | |
Pressesprecherin hervorhob. Ein unpolitischer Mitläufer, den Alkohol und | |
Provokation zuschlagen ließen? | |
Das Gericht sah allein die pure Gewaltbereitschaft und verstieg sich sogar | |
in den Vergleich: „Wenn Ali Baba und die 40 Räuber gekommen wären, hätte | |
sich der Angeklagte auch ihnen angeschlossen.“ So hat es Galerist Teschner | |
in der Verhandlung gehört. | |
„Für uns ist das nicht nachvollziehbar. Da ist der Gesamtzusammenhang | |
verlorengegangen“, sagte die Leiterin des Kunsthauses Monique Förster der | |
taz. Empörung löste 2012 nicht nur die Gewalttat, sondern auch die | |
Polizeimeldung kurz danach aus. Lediglich von einer Rauferei war die Rede. | |
Kein Wort über einen rechtsradikalen Zusammenhang. Erst später korrigierte | |
die Polizei, zwei der Angreifer seien als „rechts motivierte Straftäter | |
bekannt“. | |
Dass P. durchaus im rechten Sumpf saß, leugnet auch das Gericht nicht. | |
Mittlerweile habe er sich jedoch davon gelöst, beteilige sich am | |
Aussteigerprogramm EXIT. Die Tat habe ihm damals die Augen geöffnet, | |
erklärte der Verurteilte vor Gericht. Unglaubwürdig scheint Galerist Dirk | |
Teschner das: „Den ersten Termin bei EXIT hat er gemacht, nachdem der | |
Termin für die Gerichtsverhandlung feststand.“ Das war Ende Dezember 2015, | |
dreieinhalb Jahre nach der Tat. | |
Bereits im Sommer 2012 hat die Stadt Erfurt auf die Vorfälle reagiert. Mit | |
Symbolcharakter: Die thüringische Landeshauptstadt beschloss, einschlägig | |
bekannten Rechtsextremen den Zugang zu städtischen Museen, | |
Kultureinrichtungen und Kulturveranstaltungen zu verwehren. P. wird auch | |
weiter hingehen dürfen. | |
22 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Astrid Ehrenhauser | |
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