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# taz.de -- Aufmüpfige SPD in Bautzen: Neue kleine Ostpolitik
> Unterstützung der Syrienpolitik der Kanzlerin und Juniordasein in der
> Koalition: Die Parteilinie kommt nicht bei allen in der SPD gut an.
Bild: Gemeinsam gegen die CDU: Der SPD-Ortschef Roland Fleischer (l.) und der O…
Bautzen taz | Der vergoldete Schattenstab steckt nutzlos im Mauerwerk des
Rathauses. Er wirft keinen Strich auf die Sonnenuhr, der Himmel über
Bautzen ist verhangen, ein kalter Wind fegt über den Platz. Den
Mantelkragen hochgeschlagen, betritt Roland Fleischer das kleine Café in
der Korngasse. Vor vielen Jahren kam er aus Freiburg hierher, an das raue
Klima hat er sich gewöhnt. „Wenn der Wind nicht weiß wohin, dann weht er
über Budissin“, deklamiert er und lacht. Fast schon ein Bautzener, nur sein
Zungenschlag erinnert an den Schwaben. Budissin – so hieß die sächsische
Stadt bis vor 150 Jahren offiziell.
Mit seinem silbrigen, zurückgekämmten Haar und dem geraden, forschenden
Blick scheint Roland Fleischer einem alten Agentenfilm entsprungen. Aber er
ist kein Wiedergänger von Cary Grant, sondern pensionierter Polizeibeamter,
und die Affäre, die ihn umtreibt, heißt SPD. Und das seit Jahren.
Wann genau er in die Partei eingetreten ist, weiß der 62-Jährige nicht
mehr. „Ende der achtziger Jahre“, vermutet er. Fleischer ist der
Vorsitzende des SPD-Ortsvereins. Mag der eisige Wind vor der Tür aus Böhmen
wehen, politisch kommen die Böen derzeit aus Berlin.
„Ich war für den Einsatz im Kosovo“, macht Fleischer gleich zu Beginn klar.
Denke keiner, dass er ein radikaler Pazifist wäre. Im März 1999 zog die
Bundeswehr erstmals in den Krieg. Ihre Tornados trugen keine
hochauflösenden Kameras unter den Tragflächen wie jetzt im Nahen Osten,
sondern Bomben. Deutsche Soldaten griffen serbische Stellungen an,
gemeinsam mit Nato-Verbündeten, doch ohne UN-Mandat. Ein umstrittener
Krieg. Aber Fleischer hat Kanzler Schröder unterstützt. Warum? „Es gab
ethnische Säuberungen. Und das hat dann aufgehört.“
## Nicht ohne die UNO
Aber jetzt? Wie kann man Soldaten in den Krieg schicken, wenn es keinen
glaubwürdigen Plan gibt? „Und Deutschland zieht in den Krieg!“ Und die SPD
macht mit. Fleischer schüttelt den Kopf. „Bei all dem Schmerzlichen, vor
allem was in Frankreich passiert ist“, er stockt, „wir sehen keinen Sinn
darin.“
Ende November haben sich daher die Bautzener SPD-Genossen versammelt und
einen offenen Brief an Parteichef Sigmar Gabriel und den
Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann aufgesetzt. Der Terroranschlag in
Paris lag erst zwei Wochen zurück. Natürlich müsse man den IS bekämpfen,
bekräftigten sie. „Die Idee, den Terrorismus mit Bombardierungen und
Kriegen auszuschalten, ist jedoch seit 14 Jahren ununterbrochen
gescheitert.“
Im Gegenteil – die Terrorgefahr sei 2003 durch den Irakkrieg erheblich
gestiegen, der IS erst entstanden. „Deshalb lehnen wir eine Beteiligung
unseres Landes […] ohne ein Mandat der UNO ab.“ Zudem, so beschieden sie
Wirtschaftsminister Gabriel, sollten Waffengeschäfte konsequent
eingeschränkt werden. „Wir erwarten von der SPD-Bundestagsfraktion, dass
sie sich in diesem Sinne auch […] gegenüber den Koalitionspartnern
eindeutig positioniert.“
Apropos 2003, das Jahr ragt wie ein Mahnmal aus der jüngsten Geschichte.
George Bush junior wollte in den Irak ziehen und Gerhard Schröder stand auf
dem Marktplatz von Goslar und rief: Nein! „Das war super!“ Roland Fleischer
ist für einen Augenblick beseelt.
„Ich war gegen die Große Koalition“, bekräftigt Fleischer. Bei der
SPD-Mitgliederbefragung 2013 hat er mit Nein votiert. Aber der Mindestlohn
– das Herzensanliegen der SPD? Und die Rente mit 63? „Das verblasst.“
Fleischer winkt ab. „Wenn man sich so durchlavieren muss – das ist uns nie
gedankt worden. So verschwinden wir in der Belanglosigkeit.“ Und jetzt auch
noch Krieg.
## Der parteilose Bürgermeister
„Da ist doch Alexander?!“ Fleischer ist aufgesprungen und beobachtet einen
hochaufgeschossenen Mann, der den Hauptmarkt quert. Schon ist Roland
Fleischer hinaus. Augenblicke später kommt er mit dem Herrn zurück.
„Alexander Ahrens, seit August neuer Oberbürgermeister in Bautzen!“
Fleischers Augen strahlen. In der Bautzener Diaspora hat die SPD gezeigt,
wie man die CDU vom Thron stößt, den sie 25 Jahre eingenommen hat. Ein
Beispiel für Sachsen und für den Bund? Ein Ausweg aus den großen
Koalitionen in Dresden und in Berlin? Für Roland Fleischer keine Frage.
Ahrens, 50 Jahre alt, drahtiger Typ, angegrauter Bart, verströmt etwas
Weltläufiges, ja Cooles. So einer kommt nicht aus dem parteieigenen
Treibhaus, so einer ist wild gewachsen. Es ist, als hätten die Bautzener
einen Freak gewählt. „Westberliner, Rechtsanwalt, Immobilienbesitz!“
Flapsig zählt Ahrens seine Defekte auf. Hinzu kommt, hier im Hinterland von
Pegida, ein außergewöhnliches Bekenntnis. „Mit mir wird es keine Politik
gegen Flüchtlinge geben, habe ich angekündigt.“
Bautzen gilt als rechts. Vor einem Jahr haben Neonazis gegen eine
Flüchtlingsunterkunft demonstriert. Und bei der Landtagswahl 2014 stimmten
mehr als 25 Prozent für AfD und NPD. Trotzdem ist Ahrens mit fast 13
Prozent Vorsprung vor dem CDU-Kontrahenten ins Rathaus eingezogen. Und mit
kräftiger Unterstützung des SPD-Ortsvereins. Es muss wie ein „Yes, we
can!“-Moment gewesen sein. Und die SPD hat getanzt – obwohl Ahrens gar kein
SPD-Parteibuch hat. Er war der parteilose Kandidat von Sozialdemokraten,
Linkspartei und einem Bautzener Bürgerbündnis.
Für Roland Fleischer kein Makel, im Gegenteil. Ein breites linkes Bündnis –
das ist die Zukunft. In Thüringen, wo Bodo Ramelow eine Koalition von
Linkspartei, SPD und Grünen anführt, ist sie schon angebrochen. Nachher
spazieren die beiden über krumme Gassen. Ahrens die Hände verschränkt auf
dem Rücken, Fleischer hält sie im Mantel vergraben – ein Bild wie ein
Statement: zwei Macher im Gespräch, eine neue kleine Ostpolitik hinter den
Bergen in der Oberlausitz. Es geht um Parkplätze, autofreie Straßen, Cafés.
## Tillich soll verärgert sein
Solidarität, Freiheit, Gerechtigkeit – so hat Fleischer sein Credo
beschrieben, das jetzt in Kommunalpolitik überführt werden soll. Oben auf
dem First von St. Petri hocken stumm die Krähen, als wären sie Spione aus
Dresden. Es heißt, Ministerpräsident Tillich von der CDU soll überaus
verärgert gewesen sein, als er vom Sieg der Linken in Bautzen erfuhr.
Draußen vor dem Schülertor gilt noch die alte Zeit. „Wir warten auf
Antwort“, sagt Hubertus Schwerk. Für einen Moment wird es still im
Versammlungsraum der SPD. Ein paar Genossen sind am Abend gekommen. Eine
mächtige Thermoskanne ragt wie ein Leuchtturm über den Tisch. Doppelkekse
liegen als Stärkung bereit. Nein, Sigmar Gabriel und Thomas Oppermann haben
sich nicht gemeldet. Enttäuscht? „Ich bin zu lange dabei“, wiegelt Schwerk
ab. Der Architekt, ein Mann von bald achtzig Jahren mit großer Brille, ist
seit 46 Jahren SPD-Genosse.
„Ich hätte es erwartet“, macht Roland Fleischer klar. Auch ein kleiner
Ortsverein ist schließlich „ein Teil der Stimme des Volkes“, gibt er zu
bedenken. „Vielleicht fehlt uns ja der Hintergrund für die Entscheidung“,
gräbt Fleischer nach Erklärung. „Für die SPD war es immer wichtig, eine
klare Haltung einzunehmen“, schaltet sich Schwerk ein. Unehrlich und
wankelmütig sei die SPD geworden. Die Quittung: „Jetzt sind wir bei 25
Prozent.“ Fleischer fährt herum. „23 Prozent!“ Der Ortsvorsitzende kann
gnadenlos sein.
Schwerk weist mit der Rechten zur Wand. „Der da, der versucht auf dem
Verhandlungsweg etwas zu erreichen!“ „Wir für Frank“ ruft es hoffnungsfr…
von dem Plakat, darüber ein strahlendes Gesicht des Kanzlerkandidaten von
2009 und eine Erinnerung: „Für den OV Bautzen beste Grüße, Frank-Walter
Steinmeier“. Steinmeier? Bloß keine Heiligen erschaffen, ätzt Fleischer.
„Wir stecken überall mit drin – Waffengeschäfte, freundliche Besuche bei
den Saudis. Das ist die Unehrlichkeit!“
## Parteimitglied Nummer 46
Hubertus Schwerk seufzt. 1970 sei er wegen Willy Brandt in die SPD
eingetreten. Links neben Steinmeier hängt ein Brandt-Porträt wie eine
Ikone. Die SPD war damals Friedenspartei, ihr Vorsitzender 1971 mit dem
Friedensnobelpreis geehrt. Wandel durch Annäherung hieß das Versprechen,
nicht Wandel durch Bomben. Ein „Berufsprotestierer“ sei er damals gewesen.
Immerhin, 28 Bundestagsabgeordnete der SPD haben sich gegen den Einsatz
ausgesprochen, darunter der SPD-Mann Thomas Jurk aus der Oberlausitz. Die
Mehrheit aber hat zugestimmt. Wohin das führt, hat Roland Fleischer heute
der Sächsischen Zeitung entnommen. Die SPD zählt in Sachsen 4.400
Mitglieder, meldet das Blatt. Die Bereitschaft, einer Partei beizutreten,
sinke. Auch weil sich die Positionen der großen Parteien immer stärker
ähneln, analysiert ein Politologe. Aktuelle Ausnahmen: Grüne und AfD.
„Es gibt jedes Jahr einen Grund, aus der SPD auszutreten.“ Es ist spät, als
der pensionierte Lehrer Günther Hack das Wort ergreift. Seit 50 Jahren ist
er in der Partei, drei SPD-Kanzler, viele Oppositionsjahre und x
Parteivorsitzende hat er erlebt. Wenn du mit 50 Prozent des Parteiprogramms
einverstanden bist, dann kannst du eintreten, habe ihm ein kluger Kopf mal
gesteckt. Es klingt nachsichtig – das Happy End hält Hack trotzdem noch
offen. „Wenn doch was anderes, dann nur die Grünen!“ Er lacht.
Die Stimmung ist gelöst. Ein guter Moment für eine gute Nachricht. „Wir
haben ein neues Mitglied!“, verkündet Kassierer Hubertus Schwerk. Raunen.
Online habe sich der Neue gemeldet. Vielleicht hat ihn der offene Brief des
Ortsvereins überzeugt? Die Freude ist jedenfalls groß. Der Mann wird
Parteimitglied Nummer 46.
29 Jan 2016
## AUTOREN
Thomas Gerlach
## TAGS
SPD
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Schwerpunkt Syrien
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