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# taz.de -- Politik in Bautzen: Der Seiteneinsteiger
> Alexander Ahrens eroberte im August 2015 das Rathaus. Ein Selbstläufer
> war das nicht: Er ist parteilos, aus Westberlin und Immobilienbesitzer.
Bild: Oberbürgermeister Alexander Ahrens (r.) und der örtliche SPD-Chef Rolan…
Bautzen taz | Kenntnisse der Historie sind in jeder Hinsicht von Vorteil.
Als Alexander Ahrens an einer Dresdner Tankstelle eine Frau kennenlernt,
will sie ihm den Namen des Dorfes, aus dem sie stammt, erst gar nicht
nennen. Welcher Berliner kennt schon Hochkirch in der Oberlausitz? „1758 –
Schlacht bei Hochkirch!“, ruft Ahrens noch einmal triumphierend. Die
preußischen Truppen, befehligt von Friedrich II., wurden von den
Österreichern so kräftig gerupft, dass in Hochkirch Soldatenblut strömte.
Die „Blutgasse“ neben der Kirche kündet heute noch davon. Die Überraschung
bei der Dame war jedenfalls vollkommen. Wenig später sind die beiden ein
Paar, inzwischen haben sie vier Kinder und Ahrens, der Wirtschaftsanwalt,
lebt seit 2008 in der Oberlausitz – mit erheblichen Folgen für die Region.
Seit August 2015 ist Ahrens, ein hagerer Typ mit angegrautem Bart,
Oberbürgermeister der 40.000-Einwohner-Stadt Bautzen. Dass der 50-Jährige
das geworden ist, war aus verschiedenen Gründen höchst unwahrscheinlich.
Seine Liebe zu Preußen ist, hier im Freistaat Sachsen, der kleinste Makel.
Dass er parteilos ist, wog da schon schwerer. Wie soll einer in den
Wahlkampf ziehen, ohne Partei im Rücken?
Völlig unmöglich aber ist Ahrens’ Herkunft. „Westberliner – Rechtsanwal…
Immobilienbesitz!“ Ahrens lacht, als er seine Defekte aufzählt. Hinzu kommt
eine unmissverständliche Ansage, mit der man sich in Bautzen nicht nur
Freunde macht: Mit mir wird es keine Politik gegen Flüchtlinge geben! Das
hatte Ahrens immer wieder im Wahlkampf verkündet – in der Stadt, wo 2014
bei der Landtagswahl 14,8 Prozent der Wähler für die AfD und 10,9 Prozent
für die NPD gestimmt haben.
## Politisches Erdbeben
Dennoch wurde der Seiteneinsteiger Alexander Ahrens zum Oberbürgermeister
gewählt. In der Stichwahl gegen den CDU-Kandidaten triumphierte er mit fast
15 Prozentpunkten Vorsprung. Die Christdemokraten, in Sachsen so etwas wie
eine Staatspartei, waren nach 25 Jahren das Rathaus Bautzen los. Wäre die
Stadt nicht auf Granit gegründet, hätte man das politische Erdbeben bis
Dresden spüren müssen. Bautzen war eine der letzten großen Städte in
Sachsen mit einem CDU-Oberbürgermeister.
Ahrens sitzt in seinem Amtszimmer und löffelt genüsslich eine grüne
Eiskugel, über ihn spannt sich ein Kreuzgewölbe, die hölzernen Türen haben
komplizierte altertümliche Schlösser aus Eisen. „Die CDU ist immer noch
beleidigt“, bemerkt Ahrens. Jetzt, wo auch der Bautzener Bürgermeisterstuhl
weg ist, leide sie an Phantomschmerzen.
Nach seinen ersten hundert Tagen hat sich der unterlegene Kandidat
beschwert, dass der Neue immer noch nicht in der CDU-Stadtratsfraktion war.
Ja, da sei der Bürgermeister früher „eingenordet“ worden, feixt Ahrens. D…
Zeiten sind vorbei.
Die Chancen für einen Wechsel in Bautzen standen günstig. Im Osten
Deutschlands tritt nach mehr als 25 Jahren die Politikergeneration ab, die
seit 1990 die Kommunalpolitik geprägt hat. Die einstigen Politamateure aus
der Wendezeit – viele kamen aus der Bürgerbewegung – wurden binnen Monaten
Landräte und Bürgermeister. Viele waren im Lauf der Jahre lokale
Schwergewichte geworden und hielten für ihre Parteien – in Sachsen oft
genug die CDU – in den Städten und Landkreisen die Stellung. Zu ihren
Aufgaben gehörten, neben dem Neuaufbau der Verwaltung, der Umstrukturierung
und Stadtsanierung, stets auch die Sicherung der Machtbasis.
## CDU-Vorherrschaft gebrochen
Allerdings klappt das bei einem Generationswechsel nicht immer. In
Greifswald brach 2015 ein Parteienbündnis von Grünen, Linken, SPD und
Piraten mit dem Kandidaten Stefan Fassbinder die CDU-Vorherrschaft. Der 49
Jahre alte Historiker Fassbinder wurde mit der hauchdünnen Mehrheit von 15
Stimmen neuer Oberbürgermeister.
Die Neubrandenburger wählten 2015 völlig überraschend den Journalisten,
Satiriker und Betriebswirt Silvio Witt, Jahrgang 1978, als
Oberbürgermeister ins Rathaus. Die favorisierte Linkspartei hatte das
Nachsehen.
Und im Städtchen Tangerhütte in Sachsen-Anhalt wählten die Bürger schon
2014 den Kabarettisten und Musikmanager Andreas Brohm ins Rathaus. Brohm,
ein Einzelkämpfer, fällt seitdem durch unkonventionelle Gedanken auf.
Flüchtlinge seien für den ausgedünnten ländlichen Raum im Osten eine
einmalige Chance, verkündete der 37-Jährige im vergangenen Dezember.
In Bautzen war es eine Allianz von Linkspartei, SPD und einem lokalen
Bürgerbündnis, die Alexander Ahrens aus seiner privat finanzierten
Elternzeit holte und ihn als Hoffnungsträger präsentierte: Ahrens, ein
erfolgreicher weltgewandter Firmenjurist, der sechs Jahre in China gelebt
hat, ein Familienmensch mit vier Kindern und ein unabhängiger Kopf, dazu
noch links.
## Sinnvolle Gedanken
„Endlich mal ein Oberbürgermeisterkandidat für Bautzen, der frei sprechen
kann und auch noch sinnvolle Gedanken hat“, kommentierte ein Bautzener im
Netz. Roland Fleischer, SPD-Chef von Bautzen, der jetzt mit Ahrens durch
die Altstadt spaziert, ist immer noch vom Neuen angetan.
Und Fleischer blickt nach Dresden. Wäre ein linkes Bündnis nicht eine
Vorlage für einen Machtwechsel in Sachsen? Wenn solche Bündnisse in den
Kommunen glücken, könnten sie nicht auch endlich die ewige Staatspartei CDU
aus der Regierung jagen?
Den neuen Bürgermeister hält Fleischer sowieso für einen Sozialdemokraten.
Und Ahrens dementiert das auch nicht. Schließlich war er, der aus einfachen
Verhältnissen kommt und in einem Westberliner Plattenbau aufwuchs,
tatsächlich Mitglied der SPD. Zudem verkörpert Ahrens mit seiner Biografie
das, was die SPD seit Jahrzehnten predigt: Bildungspolitik als Chance zum
sozialen Aufstieg.
Doch Unfähigkeit und Arroganz der Berliner Funktionäre haben ihn aus der
SPD wieder hinausgetrieben, erzählt er weiter. „Wenn die mich nicht
brauchen!“ Betrübt klingt das nicht. „Du kannst ja in den Ortsverein
eintreten!“ Roland Fleischer wittert seine Chance. Alexander Ahrens, der
128. Bautzener Bürgermeister seit 1238, lächelt und schweigt.
4 Feb 2016
## AUTOREN
Thomas Gerlach
## TAGS
Bautzen
Sachsen
CDU
SPD
Sorben
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