# taz.de -- Griechischer Außenminister über Flucht: „Eine Grenzschließung … | |
> Flüchtlinge fänden ihre Wege, sagt Nikos Kotzias. Er fordert allerdings | |
> eine Visumspflicht für Marokkaner und Algerier in der Türkei. | |
Bild: Ein Flüchtling kurz nach der Überquerung der mazedonisch-serbischen Gre… | |
taz: Herr Kotzias, die CSU und Teile der CDU wollen die deutschen Grenzen | |
für Flüchtlinge schließen. Was würde dies bedeuten? | |
Nikos Kotzias: Gar nichts. Die Flüchtlinge würden trotzdem über mehrere | |
Routen nach Deutschland ziehen. | |
Aber überall werden Hürden errichtet: Mazedonien hatte seine Grenzen für | |
Flüchtlinge zwischenzeitlich schon geschlossen. Die Österreicher haben eine | |
Obergrenze für Flüchtlinge beschlossen. Haben Sie keine Angst, dass | |
Griechenland mit den vielen Flüchtlingen allein gelassen wird? | |
Die Flüchtlinge werden neue Wege finden. Das zeigt der Fall der USA, die | |
das reichste Land der Welt sind. Diese fortschrittliche Nation hat einen | |
hochmodernen Elektrozaun an der Grenze zu Mexiko gebaut, und zudem muss man | |
in Texas und New Mexico noch eine Wüste durchqueren. Trotz dieser extrem | |
unwirtlichen Bedingungen sind seit 2001 etwa 41 Millionen Menschen in die | |
USA eingewandert, 13 Millionen davon illegal. Keine Mauer kann die | |
Flüchtlinge aufhalten. | |
Aber je mehr Zäune es in Europa gibt, desto teurer wird die Flucht. Viele | |
Syrer könnten sich den Weg nach Deutschland nicht mehr leisten. Warum | |
sollte dieses zynische Kalkül nicht aufgehen? | |
Weil die Schlepper andere Dinge verlangen würden. Jetzt wollen sie nur | |
Geld. Aber sie könnten dann zum Beispiel mit Körperteilen handeln, etwa mit | |
Nieren. In diesen mafiösen Strukturen existiert eine Fantasie, die Sie und | |
ich gar nicht haben. | |
Viele EU-Bürger stellen sich vor, dass die Griechen wenigstens mehr | |
Patrouillenboote einsetzen könnten, um die EU-Außengrenzen besser zu | |
schützen. | |
Das machen wir schon, aber das bringt gar nichts. Wenn wir die Flüchtlinge | |
stoppen wollten, müssten wir Krieg gegen sie führen. Wir müssten sie | |
bombardieren, ihre Boote versenken und die Menschen ertrinken lassen. Das | |
widerspricht sowohl der Menschlichkeit wie auch dem EU-Recht und den | |
internationalen Konventionen. Das ist ausgeschlossen. Auf den offiziellen | |
Sitzungen der EU-Außenminister schweigen deswegen genau die Politiker, die | |
ihren Medien zu Hause erzählen, die Griechen würden „ihre Hausaufgaben | |
nicht machen“. | |
Aber könnte Griechenland nicht mehr Hilfe anfordern? In der EU wird | |
geklagt, dass man die Grenztruppe Frontex verstärken könnte – doch Sie | |
wären nicht interessiert. | |
Es ist ein Mythos, dass wir zuerst die europäische Hilfe nicht akzeptieren | |
wollten. Es war genau andersherum: Wir haben 780 Frontex-Angestellte | |
angefragt, aber zunächst kamen nur 340 Grenzpolizisten. Sie sollten uns bei | |
der Registrierung der Flüchtlinge helfen, aber in der ersten Zeit haben sie | |
Büroarbeit wie zu Hause gemacht. Nach 15 Uhr war Feierabend, und am | |
Wochenende war Wochenende. Da haben sie gar nicht gearbeitet. Jetzt haben | |
sie sich angepasst, denn leider haben sich die Flüchtlinge nicht an den | |
Dienstplan der Frontex-Polizisten gehalten. | |
Stichwort Registrierung: Warum gelingt es immer noch nicht, die Daten aller | |
Flüchtlinge zu erfassen, die in Griechenland eintreffen? | |
Jetzt schaffen wir es. Aber im Sommer kamen so viele Flüchtlinge, dass auf | |
einigen Inseln 23-mal so viele Flüchtlinge waren wie Einheimische. | |
Hätte man die Flüchtlinge nicht wenigstens registrieren können, als sie in | |
die Fähren gestiegen sind, um nach Athen überzusetzen? | |
Es waren einfach zu viele Flüchtlinge. Wieder ein Beispiel: Selbst das | |
hochmoderne, leistungsfähige Deutschland war lange Zeit nicht in der Lage, | |
alle Flüchtlinge zu registrieren, die aus Österreich kamen. Dabei ist die | |
deutsch-österreichische Grenze viel kürzer als unsere Seegrenze zur Türkei. | |
Wenn Sie eine Wunschliste formulieren dürften: Was würde ganz oben stehen? | |
Man muss die Ursachen der Flucht bekämpfen – also Syrien befrieden. Ein | |
ganz großer Fehler war, die Flüchtlingslager im Libanon und in Jordanien | |
nicht ausreichend zu finanzieren. Ich habe schon vor Monaten gewarnt, dass | |
320.000 Menschen diese Lager verlassen würden, weil sie so verzweifelt | |
waren. Genauso ist es gekommen. Dabei wäre es auch für die Syrer besser, | |
wenn sie in der Nähe ihrer Heimat bleiben könnten. Ein weiterer Punkt: Nur | |
55 Prozent der Flüchtlinge, die seit Dezember 2015 durch Griechenland | |
ziehen, sind aus Syrien. Es kommen auch Marokkaner und Algerier, die auf | |
ein besseres Leben in Europa hoffen. Sie fliegen für 40 Euro nach Istanbul, | |
dann geben sie noch einmal 10 Euro für den Bus an die türkische Küste aus. | |
Die deutsche Regierung will jetzt Marokko und Algerien zu „sicheren | |
Herkunftsländern“ erklären. Was halten Sie davon? | |
Viel effektiver wäre es, die türkische Regierung dazu zu bewegen, wieder | |
eine Visumspflicht für Marokkaner und Algerier einzuführen. Dann könnte man | |
nicht einfach nach Istanbul fliegen und sich in ein Schlauchboot setzen. | |
Im vergangenen Jahr sind etwa eine Million Flüchtlinge durch Griechenland | |
gezogen. Wie teuer war das für Ihre Regierung? | |
Wir haben knapp zwei Milliarden Euro ausgegeben. Für Unterkunft, | |
Verpflegung, Transport und Gesundheitsversorgung. Für uns sind zwei | |
Milliarden Euro sehr viel Geld – das ist sogar mehr, als die | |
Rentenkürzungen bringen werden, die uns die Troika jetzt vorschreibt. | |
Wegen dieser geplanten Rentenkürzungen streiken die griechischen Fähren, | |
Bauern blockieren Straßen, Freiberufler wie Anwälte und Ärzte arbeiten | |
ebenfalls nicht und sind im „Krawattenaufstand“. Wird Ihre Regierung | |
überleben? | |
Die Troika zwingt uns zu einer Politik, die die normalen Bürger in | |
Griechenland sehr stark trifft. Es würgt die Wirtschaft ab, permanent zu | |
sparen. Inzwischen haben fast 200.000 sehr gut ausgebildete Akademiker | |
unser Land verlassen. Das ist ein Verlust von 14 Milliarden Euro, wenn man | |
die Ausbildungskosten vom Kindergarten bis zur Promotion berechnet. Von | |
diesen Zahlen ist bei der Troika nie die Rede. Aber andere Länder, auch | |
Deutschland, profitieren davon, dass sie unsere Ärzte bekommen, ohne einen | |
einzigen Cent für deren Ausbildung gezahlt zu haben. | |
Nochmal: Welche Chancen hat Ihre Syriza-Regierung? Umfragen zeigen, dass | |
jetzt die Konservativen in Griechenland vorn liegen. | |
Ich weiß auch, dass einige Kreise im Ausland davon träumen, unsere | |
Regierung könnte auseinanderbrechen. Aber die Umfragen wurden von den | |
Konservativen in Auftrag gegeben. Die von Ihnen zitierten Institute sind | |
die gleichen, die beim Grexit-Referendum prognostizierten, die | |
Konservativen wären weit vorn. Es kam bekanntlich anders. | |
22 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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