# taz.de -- Demo an griechisch-türkischer Grenze: Zaun runter, nicht die Renten | |
> „Die Kapitalisten bringen die Arbeitslosigkeit, nicht die syrischen | |
> Flüchtlinge.“ In Nordgriechenland haben am Sonntag Antifaschisten | |
> demonstriert. | |
Bild: Demo im Grenzgebiet Kastanies. | |
Kastanies taz | Immer wieder ertönen Sprechchöre über den Platz im Zentrum | |
der Kleinstadt Orestiada im Norden Griechenlands, gleich vor der türkischen | |
Grenze. Hier haben sich am Sonntagvormittag etwa 1.000 Menschen versammelt, | |
die aus ganz Griechenland angereist sind. „Runter mit dem Zaun, nicht mit | |
den Renten“ rufen sie. Denn die Regierung plant eine erneute Kürzung der | |
Renten. Plakate und Banner werden von den DemonstrantInnen gehalten: „Rein | |
mit den Flüchtlingen, raus mit den Nazis!“ | |
Der Sprechchor verstummt. Eine Sprecherin der antifaschistischen | |
Organisation Kerfa, die die Demonstration heute organisiert hat, stellt | |
sich vor das Mikrofon auf den Podest. Katerina Thoidou ruft, dass es genug | |
Platz in Europa gibt, dass man nicht aufgeben werde, dass es historische | |
Zeiten seien, in denen man zusammenhalten müsse. Wieder werden Sprechchöre | |
laut „Die Kapitalisten bringen die Arbeitslosigkeit, nicht die syrischen | |
Flüchtlinge!“ | |
Auch Nikos Boulzos ist heute hier. Der 29 arbeitet ebenfalls in der | |
antifaschistischen Organisation Kerfa. „Allein in dieser Woche sind über 40 | |
Menschen auf ihrer Flucht über die Ägeis ums Leben gekommen“, sagt er. Hier | |
nahe der Ortschaft Orestiada sei das einzige Grenzstück zwischen Türkei und | |
Griechenland, welches auf dem Landweg zu passieren wäre gelegen. Doch es | |
ist abgeriegelt. Daher sterben tausende von Flüchtlingen im Fluss Evros | |
oder auf ihrer Überfahrt übers Meer, erklärt er. Ständig werde berichtet, | |
dass die Flüchtlinge für die Arbeitslosigkeit hier im Lande verantwortlich | |
sind. | |
Der Mann macht eine wegwerfende Handbewegung. „Das ist Unsinn! Wir haben | |
keine Jobs wegen der Austeritätspolitik der EU!“. Das Geld der EU solle in | |
die hilfsbedürftigen Menschen investiert werden, nicht in die Banken! Die | |
Syriza-Regierung hatte viel versprochen – sie wollte den Zaun öffnen. | |
Nichts davon sei bis jetzt passiert. Die griechische Regierung folge nur | |
noch der EU-Politik. Die Menschen hatten eigentlich an diese linke | |
Regierung geglaubt. Sie fühlen sich verraten. Nikos hebt wieder die Fahne | |
der Kerfa in die Höhe, stimmt in den Sprechchor ein. | |
## Unter der Junta keinen Job bekommen | |
Auf der anderen Straßenseite des großen Platzes haben sich einige | |
RentnerInnen versammelt und schauen sich das Treiben an. „Ja, die jungen | |
Menschen haben recht“, sagt einer von ihnen. Es sei unmenschlich, die | |
Flüchtlinge einfach verrecken zu lassen. Er selbst sei in den 60er Jahren | |
nach Deutschland ausgewandert, erzählt er. Er sei sozusagen ein | |
Wirtschaftsflüchtling gewesen und überhaupt, damals unter der Junta, da | |
hätte er keinen Job bekommen. | |
Er versteht sowohl die Wirtschaftsflüchtlinge als natürlich auch die | |
Kriegsflüchtlinge, die in Europa auf ein besseres Leben hoffen. Außerdem | |
sei Europa an diesem Krieg Schuld. Ein anderer Rentner mischt sich ein: | |
„Wir werden hier doch vollkommen überlaufen von denen!“ sagt er. Das könne | |
das krisengeschüttelte Griechenland nicht länger tragen. Er mache sich | |
große Sorgen, dass es hier zu Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen | |
und Einheimischen kommt. | |
Die Demonstration setzt sich in Bewegung und zieht durch die Straßen | |
Orestiadas. Aktivisten verteilen Flyer mit Informationen an die Einwohner. | |
„Ihr solltet selbst über die Grenze ausgewiesen werden!“ ruft ein | |
aufgebrachter Mann in Anzug und Krawatte den Demonstrierenden zu. Eine Ecke | |
weiter klopft eine Frau Ende 50 einem der Aktivisten auf die Schulter. | |
„Weiter so“ sagt sie. Die Frau gehört zu einer Gruppe hier in der | |
Ortschaft, die den Flüchtlingen mit Kleiderspenden aushilft und auch Essen | |
verteilt. | |
## Banner kurz vor dem Grenzübergang | |
Die Demonstranten steigen wieder in die Busse, um sich in der Ortschaft | |
Kastanies erneut zu versammeln. Denn dort versuchen die meisten der | |
Flüchtlinge die Grenze in die EU zu passieren – das wird durch den Zaun | |
erschwert. Zahlreiche Polizisten stehen schon vor Ort, um die | |
DemonstrantInnen nicht nahe an dieses Gebiet heranzulassen. Drei der | |
Organisatoren schaffen es doch, die Polizeibarrikaden gewaltlos zu | |
durchbrechen. Sie stellen sich mit ihrem Banner kurz vor dem Grenzübergang | |
auf. | |
Die Männer werden von der Polizei wieder hinter die Absperrung begleitet. | |
Wieder ertönen Sprechchöre. 20 Minuten später ist löst sich die | |
Demonstration friedlich auf. Ein Zeichen wurde gesetzt – dass Taten folgen | |
können, liegt nun in den Händen der europäischen Regierungen. | |
24 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Theodora Mavropoulos | |
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