# taz.de -- Spielfilm „Brooklyn“: Zwischen Traumtanz und Scheideweg | |
> Der Film „Brooklyn – Eine Liebe zwischen zwei Welten“ verfolgt den | |
> Wechsel einer jungen Frau von Irland nach New York mit viel Liebe zum | |
> Detail. | |
Bild: Eilis Lacey (Saoirse Ronan, rechts) hat Heimweh nach Irland in „Brookly… | |
Eilis Lacey (Saorise Ronan) ist es erlaubt, durch die blaue Tür zu gehen. | |
Es ist die Tür in ein neues Leben, ein gänzlich anderes – eines, das fortan | |
in Amerika stattfinden soll. Die sich der Bedeutung jenes Ereignisses | |
angemessen öffnende Pforte – gleißendes Licht, eine schreitende Eilis | |
(ausgesprochen Ay-lish) – ist ein Symbol der Transformation, dem sich | |
Regisseur John Crowley in seinem Fifties-Kostümfilm „Brooklyn“ mit großer | |
Hingabe widmet. Sie findet sich in einer Ankunftshalle an einem New Yorker | |
Hafen. | |
Zuvor hatte Miss Lacey eine beschwerliche Fahrt von Irland überstanden und | |
mit ein wenig Lippenstift auch die potenziell heikle Passkontrolle. Nun | |
geht es daran, dieses neue Leben zu beginnen. Fernab des irischen | |
Städtchens Enniscorthy, wo Eilis im Shop der garstigen Miss Kelly | |
ausgeholfen hatte. Im Dienstleistungsgeschäft wird sie auch in New York | |
tätig sein – Schwester Rose Lacey und ein Geistlicher haben das so | |
organisiert – jedoch könnte das vornehme Kaufhaus kaum weiter entfernt sein | |
vom provinziell-ärmlichen Gemischtwarenladen. | |
Dennoch vermag Eilis der Neubeginn zunächst kaum ein Lächeln zu entlocken. | |
Die traditionell geführte Pension für ledige Frauen auf der Clinton Street, | |
deren gemeinschaftlichen Abendessen Regisseur John Crowley und der für das | |
Drehbuch verantwortliche Nick Hornby einige amüsante Szenen abzutrotzen | |
wissen, ist vom 50er-Jahre-Mief durchzogen (separate Eingänge nur für die | |
Züchtigsten unter den Bewohnerinnen). Und Eilis leidet unter furchtbarem | |
Heimweh. | |
Es ist ein Thema, das der irische Romancier Colm Tóibín, auf dessen | |
gleichnamiger Erzählung „Brooklyn“ basiert, in mehreren seiner Werke | |
verarbeitet hat – Iren, welche die Heimat verlassen, die Konfrontation mit | |
Verlust. Immer wieder erhält jene Materie auch Raum im Film. Wenn Eilis | |
Heiligabend etwa in einer Suppenküche aushilft, deren Tische von alten | |
ramponierten Gestalten besiedelt werden. Alles Iren, erklärt man ihr dann, | |
solche, die die U-Bahn-Tunnel ausgehoben haben, schwer geschuftet haben | |
also. | |
## Irische Tanzabende | |
Und dann sind da noch die irischen Tanzabende. Sie sind nicht nur fester | |
Bestandteil der Wochenenden der in der Pension lebenden Mädchen – | |
schließlich möchte eine jede von ihnen besser früher heiraten als später – | |
auch den jungen Anthony „Tony“ Fiorello (Emory Cohen) treibt es regelmäßig | |
in die Säle. Grund: eine Vorliebe für irische Frauen. | |
Eine ganz besondere entwickelt der Spross italienischer Einwanderer für | |
Eilis, die, nach einigem Werben Tonys, eine Romanze auf Amerikanisch | |
erleben darf: Strandtage auf Coney Island, Kino, Diner. Auch beruflich geht | |
es voran. Father Flood hat Eilis einen Studienplatz am Brooklyn College | |
besorgt, der sie zur Buchhalterin machen soll. | |
So weit, so märchenhaft. Doch „Brooklyn“ ist mehr als der verfilmte | |
Traumtanz eines irischen Mädchens, das sein Glück in New York versucht. | |
Tóibíns Hauptfigur steht an einem Scheideweg. Und dieser offenbart sich | |
nicht erst mit der Entscheidung, Enniscorthy zu verlassen. | |
## Plötzlicher Trauerfall | |
Eilis Laceys Prüfung naht, als ein plötzlicher Trauerfall sie heimwärts | |
ruft. Die Darstellung jenes Bruchs ist das große Verdienst John Crowleys in | |
diesem bis hierhin vor allem netten, überaus ansehnlichen Film. | |
Wenn Eilis die alten Schulfreunde (und die allesamt gleich aussehenden | |
Männer mit ihren pomadigen Frisuren und Clubjacken) wiedertrifft; die | |
menschenarme Küste entlangspaziert und, nicht zuletzt, dem charmanten und | |
kultivierten Junggesellen Jim Farrell (Domhnall Gleeson) begegnet – | |
natürlich der beste Freund des zukünftigen Ehemannes der besten Freundin –, | |
dann fügt sich das blasse, klare Antlitz dieser Eilis wie von selbst in | |
jene Irland-Szenerie. | |
Es ist ein kompletter Schwenk, in erster Linie ein stimmungsvoller, der den | |
Ortstausch zu einem kinematografischen Erlebnis macht. Grund ist die | |
Konsequenz und Detailversessenheit, mit der „Brooklyn“ jenen Wechsel | |
vollzieht – und zwar mit einer Strenge, die alles zuvor Geschehene | |
vergessen macht. Doch was nur ist mit dem, der einmal die blaue Türe | |
durchschritten hat? | |
26 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Carolin Weidner | |
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