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# taz.de -- Filmreihe zu weiblichem Kino: Heldinnen in goldenen Pumps
> Die Reihe „Aufbruch der Autorinnen“ im Berliner Zeughauskino widmet sich
> europäischen Regisseurinnen der Sechzigerjahre.
Bild: Sympathie für eine Außenseiterin: Bernadette Lafons in dem Film „La f…
Es gibt sie, die andere Seite des europäischen Autorenkinos. Sie liegt nur
ein wenig verborgen und verlangt eine gewisse Bereitschaft zur Hingabe,
bevor sie sich preisgibt. Absichtlich versteckt hat sie sich nicht.
Vielmehr war jene „andere Seite“ im Vergehen der Jahrzehnte einer Form von
Erosion ausgesetzt, die sie von der kanonisierten Seite trennte. Das
Prinzip dabei ist nicht schwer zu fassen: Was immerfort wiederholt wird,
bleibt im Gedächtnis. Alles andere droht zu verschwinden.
Demnach ist das für einen Monat im Berliner Zeughauskino zu sehende
Filmprogramm „Aufbruch der Autorinnen – Die Regisseurinnen der 60er Jahre
und die Heldinnen ihrer Filme“ eine gewaltige Bergungsleistung. Viele der
Filme, die innerhalb der kommenden vier Wochen im Kino des Deutschen
Historischen Museums präsentiert werden, haben im Rahmen der Veranstaltung
sogar ihre erste deutsche Untertitelung überhaupt erhalten und werden somit
erst jetzt, zum Teil 50 Jahre später, für ein potenzielles Publikum
zugänglich.
Eine nicht ganz so lange, doch durchaus beträchtliche Strecke hat auch
Initiatorin Sabine Schöbel bis zur Realisierung der Reihe zurückgelegt. In
den achtziger Jahren war sie auf Věra Chytilovás
„Sedmikrásky/Tausendschönchen“ (ČSSR1967) gestoßen, einen Kultfilm um z…
junge Frauen, die sich in ihrer Wohnung surreal-sinnlichen Ausschweifungen
hingeben. Die Faszination für Chytilovás Film mündete für Schöbel bald in
Recherchen nach weiteren Regisseurinnen jener Zeit.
„Aufbruch der Autorinnen“ ist nun auch ein Sichtbarmachen dieser Arbeit.
Schöbel hatte seit der Sichtung von „Sedmikrásky“ den Eindruck, dass
zwischen den Filmemacherinnen trotz gegenseitiger Unkenntnis eine
bestimmte, bislang ignorierte Verbindungslinie existierte. Nun sagt sie:
„Ich möchte diese Filme öffentlich machen, weil sie viel miteinander zu tun
haben, und zwar über die jeweiligen Blöcke und nationalen Grenzen hinweg.
Und das, obwohl die Frauen sich nicht kannten – oder nur innerhalb der
jeweiligen Länder.“
## Ein Hauch Pioniergeist
Schöbel spricht von einem besonderen Blick, der den Filmen gemeinsam ist,
ein Blick, der sich wiederum von dem männlicher Kollegen unterscheide. „Es
ist, als würde eine Tür aufgehen, und plötzlich sieht man die Welt der
Frauen. Da ist sie eben nicht der Sehnsuchtspunkt des Autors, sondern man
sieht, wie sie ihr Leben lebt. Da gibt es Aspekte, die kommen in den
Männerfilmen einfach nicht vor.“
Jene Türen und Aspekte sind es, mit denen sich die Veranstaltung in den
kommenden Wochen auseinandersetzen wird. Wo öffnen sich diese Türen und
warum sind sie oft an solch unmöglichen Orten zu finden? Fast ist es, als
gäbe es zu einem Gebäude, einem utopischen Filmarchiv, mehrere Eingänge –
ein Frontportal mit Drehmechanismus. Und einige zugewachsene
Hintereingänge.
Durch den Hintergang muss man aber, wenn man der ewigen Wiederholung
misstraut. „Aufbruch der Autorinnen“ hat zumindest eine Notiz mit
Hinweispfeil an den Mauern befestigt. Das verleiht dem Ganzen etwas
ziemlich Spannendes, ja sogar einen Hauch von Pioniergeist.
Es ist ein Pioniergeist, der mit der Aufforderung zum gemeinsamen Diskurs
einhergeht. Gerade die ersten vier Tage verströmen einen Charme von Seminar
– und das ist ausdrücklich erwünscht. So wird es zu einem Filmkorpus, der
sich aus insgesamt zehn Regiearbeiten zusammensetzt, regelmäßige
Gesprächsrunden geben, in denen das Gesehene erörtert werden kann – zum
Teil auch im Beisein der jeweiligen Regisseurin. Ula Stöckl, deren „Neun
Leben hat die Katze“ (1968) die Reihe eröffnet, hat ihr Kommen angekündigt.
Ebenso Nelly Kaplan. Und Jasmila Žbanić. Ihre Geschlechtergrenzen
aufsprengende Komödie „Love Island“ war im Frühjahr im Rahmen des
Internationalen Frauenfilmfestivals Dortmund/Köln zu sehen.
## Elegant in Schwarz-Weiß
Des Weiteren lesen Helke Sander und Iris Gusner aus ihrem gemeinsamen Buch
„Fantasie und Arbeit“, das 2009 im Schüren-Verlag erschienen ist und die
Erfahrungen beider Filmemacherinnen im geteilten Deutschland thematisiert.
Alle Vorträge und Gesprächsrunden finden übrigens bei freiem Eintritt
statt. Im zweiten Teil des Programms werden alle Filme erneut gezeigt,
während gut zehn weitere hinzukommen.
So lässt sich sicherstellen, dass man zum Beispiel die Werke der
ungarischen Autorinnen Márta Mészáros und Judit Elek nicht verpasst, die
wahre Funde und unbedingt sehenswert sind. „Holdudvar/Die Aura des Mondes“
(H 1969) von Mészáros ist ein wunderbar eleganter Film in Schwarz-Weiß, der
seine Heldin, eine junge Witwe aus der ungarischen Oberschicht, bei der
Neuordnung ihres Lebens zeigt. Zunächst erledigt die Protagonistin
Formsachen, die ihren verstorbenen Ehemann betreffen – wobei unter dem
schwarzen Tuch keine Mine verzogen wird –; im Lauf von „Holdudvar“ lockert
sich ihre Stimmung.
Das zeigt sich auch anhand verschiedenster Feierlichkeiten, in denen sich
nicht nur die Gäste nach und nach ersetzen, sondern bei denen sich auch
Umfeld, Interieur und Haltung spürbar ändern. Mészáros gelingen für diesen
natürlich ablaufenden Prozess fantastische Kompositionen, in denen das Bild
von weichen Baumkronen diagonal zum Friedhof geschnitten wird – oder eine
fast schon abstrakt anmutende Bildspaltung in einem Hell-Dunkel-Kontrast
eine psychologische Spannung abbildet. Auch musikalisch ist „Holdudvar“
meisterlich und mischt Beatmusik-Stücke mit einem sacht abhebenden und
dennoch melancholischen Prog-Gitarren-Thema.
Judit Eleks „Sziget a szárazföldön/Insel auf dem Festland“ (H 1969)
beschreibt ebenfalls eine Transformation, wenn auch unter völlig anderen
Vorzeichen. Hier ist es keine Frau mittleren Alters, deren Leben
schlagartig in eine andere Richtung weist – Eleks Protagonistin ist eine
alte Dame in einem Budapester Wohnhaus, die sowohl von ihrer eigenen
zugestellten Wohnung als auch von der eher rustikalen und zahlenmäßig
starken Nachbarschaft beinahe geschluckt wird. Noch dazu hängen von allen
Wänden Porträts des längst verstorbenen Vaters. Von ihm geht noch immer
eine große Strahlkraft aus.
## Brot, in Soße gebadet
Mit dem Tod des alten Onkel Molnár aber scheint sich eine Verhärtung zu
lösen, Bewegung wieder möglich zu werden. Elek setzt in ihrem Film auf
dokumentarisch anmutende Beobachtungen, indem sie die namenlose Heldin zum
Beispiel beim einsamen Einnehmen einer Mahlzeit filmt. Brot wird da in
einzelne Stückchen zerbrochen, die wiederum von der Gabel aufgespießt und
in Soße gebadet werden. Das ist nicht weiter spektakulär, doch von
ausnehmender Zärtlichkeit.
Der zärtliche Blick, er ist ein Blick unter vielen, mit denen die
Regisseurinnen auf „ihre“ Frauen gucken. Selten aber ist er nicht. Lina
Wertmüller hat definitiv etwas für ihre Western-Heldin Belle Starr in „Il
mio corpo per un poker/Mein Körper für ein Pokerspiel“ (1968) übrig, und
wagt ein eigenwilliges Zusammenspiel aus erotisierenden Perspektiven,
Brutalität und Szenen von bestechender Unschuld. Nelly Kaplan steht an der
Seite der Außenseiterin Marie, die den Männern des Dorfes als Hure ein
Schnippchen schlägt. Sie verlässt das Dorf anschließend in goldenen Pumps –
und geht ins Kino.
15 Oct 2015
## AUTOREN
Carolin Weidner
## TAGS
Kino
Feminismus
Spielfilm
feministischer Film
Superhelden
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