| # taz.de -- Spielfilm „Kirschblüten und rote Bohnen“: Bohnenpaste aus vers… | |
| > Der japanische Spielfilm „Kirschblüten und rote Bohnen“ von Naomi Kawase | |
| > schwankt zwischen Erleuchtung beim Kochen und Food Porn. | |
| Bild: Halbidyllische Idylle: Kirin Kiki (Mitte) und Masatoshi Nagase (rechts) i… | |
| Still und glänzend liegen die gewässerten Bohnen in einem Gefäß. Und sie | |
| liegen. Und liegen … und liegen. Viel zu lang, wenn es nach Geschmack von | |
| Sentaro (Masatoshi Nagase) geht. Der befasst sich nämlich gar nicht erst | |
| mit der Herstellung der Spezialität, für die jene Bohnen so lange | |
| eingeweicht werden müssen (und denen anschließend noch von Vollmondlicht | |
| getrocknetes Salz zugeführt wird). | |
| Sentaro ersteht seine Bohnenpaste – „An“, wie sie auf Japanisch heißt und | |
| was eigentlich auch dem ursprünglichen Filmtitel von Naomi Kawases neuem | |
| Spielfilm, bereits dem zweiten in diesem Jahr, entspricht – bei einem | |
| lokalen Großhändler. | |
| Und so schmecken seine Dorayaki-Pfannkuchen auch: ein bisschen lieblos. | |
| Sentaro gesteht selbst, dass er Süßem gar nicht zugeneigt ist. Der | |
| Dorayaki-Stand ist in Wahrheit eine Bürde, die mit seiner Vergangenheit zu | |
| tun hat. Eine Vergangenheit, die Sentaro offenbar für weit verwerflichere | |
| Dinge gebraucht hat, als kleine, mit Bohnenpaste gefüllte Pfannkuchen | |
| herzustellen. | |
| Naomi Kawase erzählt ihre Geschichte um den eher mittelmäßig laufenden | |
| Imbiss vor der Kulisse blühender Kirschbäume. Es ist ein fast schon | |
| gemeiner Kontrast, der da zwischen dem grummeligen Mann und den zarten | |
| Blütenblättern auszumachen ist. Sentaro wirkt wie einer, der aus diesem | |
| perfekten japanischen Rahmen herausfällt, der wiederum nicht wenig von | |
| einem Klischee hat. | |
| Der interessantere Film wäre es vielleicht geworden, wenn Kawase sich auf | |
| dieses Sentaro-Individuum konzentriert hätte, ohne ihn zwanghaft erleuchten | |
| zu wollen. Aber der Blick auf Sentaro ist vom Prozesshaften nicht zu | |
| trennen; der Dorayaki-Fertiger erscheint überhaupt nur auf der Bildfläche, | |
| weil sich die Narration dafür begeistert, was aus ihm werden könnte. | |
| ## Bessere Doryakis produzieren | |
| Hierfür braucht es jedoch noch einen Katalysator, und der kommt in Form von | |
| Rentnerin Tokue (Kirin Kiki). Die besucht Sentaros Stand eines Tages und | |
| ist nicht gerade angetan von dessen Leistung. Möglicherweise könnte man | |
| gemeinsam viel bessere Doryakis produzieren? Doch Sentaro ist, wen | |
| überrascht‘s,wenig aufgeschlossen. | |
| „Kirschblüten und rote Bohnen“ eröffnete in diesem Jahr die Sektion „Un | |
| Certain Regard“ in Cannes. Dort, wo Naomi Kawases Film „Mogari No Mori“ | |
| 2007 mit dem Grand Prix ausgezeichnet wurde. Und auch der dieses Jahr in | |
| den deutschen Kinos gestartete „Still the Water“, lief 2014 im großen | |
| Wettbewerb um die Goldene Palme. Die japanische Regisseurin scheint in | |
| Besitz eines Cannes-Abos. Und es gibt nicht wenige, die sagen, zu Unrecht. | |
| Weil Kawases Filme bloße Hülle seien; sich abseits von Cannes eigentlich | |
| kaum jemand für sie erwärmen könnte. Aufgeplusterte Trivialitäten, | |
| sozusagen. „Kirschblüten und rote Bohnen“ jedenfalls ist der erste Film | |
| Kawases, der auf einem Roman basiert. Er stammt von Dorian Sukegawa, der im | |
| Zuge der Verfilmung nun erstmals auf Deutsch zu lesen ist. | |
| ## Ein verlockendes Angebot | |
| Es ist ein kleines, beinahe unschuldiges Zusammenkommen, von dem Sukegawas | |
| Buch und Kawases Film handeln. Sentaro schreibt eines Tages eine | |
| Aushilfsstelle für seinen Imbissstand inmitten Tokios aus, die alte Dame | |
| Tokue meldet sich daraufhin. Sie ist sogar bereit, den Stundenlohn derart | |
| herunterzuhandeln, dass es für Sentaro ein verlockendes Angebot sein | |
| müsste. Doch der lehnt ab. | |
| Bald danach taucht Tokue mit einer kleinen Plastikbox auf. In ihr: An, die | |
| Bohnenpaste. Sentaro tunkt einen Finger in den Brei und ist hingerissen. | |
| Fortan führt ihn Tokue in die Kunst der Bohnenpasten-Zubereitung ein. Der | |
| Film wird in diesen Minuten zum lebendigen Kochbuch. Zur | |
| Arthouse-Kochsendung. Zum Food Porn. | |
| Immer wieder widmet sich die Kamera dabei Tokues Händen. Sie bieten keinen | |
| appetitlichen Anblick, denn sie deuten auf Tokues Krankengeschichte. Die | |
| Seniorin litt unter Lepra. Dies ist ein weiterer Strang, den Kawase unter | |
| den blühenden Kirschbäumen aufgreift. Er ist rührselig und soll für einen | |
| größeren gesellschaftlichen Bezug, fernab des Mikrokosmos | |
| Dorayaki-Holzhütte, sorgen. | |
| ## Hantieren mit Pasten und Pfannkuchenteig | |
| Und es ist dieses, vermeintliche, Auseinanderstreben – aus beschädigten | |
| Händen und großer Hingabe, zwischen Krankheitsassoziation und Lebensmitteln | |
| –, das für die filmisch spannenderen Momente in „Kirschblüten und rote | |
| Bohnen“ verantwortlich ist. Denn obschon man der unbedingt liebenswerten | |
| (und möglicherweise auch etwas nervtötenden) Tokue gern beim Hantieren mit | |
| Pasten und Pfannkuchenteig zuschaut, verstört der Schwenk auf ihre Hände | |
| doch einige signifikante Male. | |
| Spiritueller Tiefgang ist indessen in der Beziehung zwischen Meisterin und | |
| Schüler, Tokue und Sentaro, angelegt. Tokue tritt wie eine alte, gesandte | |
| Weise in Sentaros Leben, die sein Gefühl für die Dinge wieder neu zu | |
| beleben vermag, jene inneren Stellen aktiviert, die bei Sentaro über die | |
| Jahre taub geworden sind. Dies wiederum ist ein Motiv, das bereits in | |
| früheren Kawase-Filmen zu finden war, und das auch etwas mit der Begegnung | |
| zwischen alten und jungen Menschen zu tun hat. | |
| In „Mogari No Mori“ etwa fand eine trauernde Krankenschwester während eines | |
| eher unfreiwilligen Ausflugs mit einem dementen Herren in einen Wald Zugang | |
| zu ihren Emotionen und war in der Lage, sie irgendwie, jedenfalls heilsam, | |
| zu artikulieren. Auch in „Still the Water“ spielten um Rat nicht verlegene | |
| Erwachsene eine wesentliche Rolle für das Heranreifen der jugendlichen | |
| Protagonisten. | |
| ## Das Prinzip Kawase | |
| Und nun also Tokue, die ihr Prinzip auf Sentaro zu übertragen sucht. Tokues | |
| Weisung: Auch Bohnen haben eine Geschichte zu erzählen, sie sind lebendig | |
| und gehören zur Natur. Achte die Bohnen, hören ihnen zu – und dann wirst du | |
| schon sehen. Das „Prinzip Kawase“ ist in „Kirschblüten und rote Bohnen“ | |
| dabei selbst auf ein bezeichnendes Extrakt eingekocht. | |
| In einem Interview mit der Japan Times, anlässlich der Premiere des Films | |
| in Cannes, wird Naomi Kawase einerseits mit den Worten zitiert: „Ich denke, | |
| von allen Filmen, die ich bisher gemacht habe, ist dieser der mit der | |
| größten Reichweite. Wir haben gerade nach Nordamerika verkauft und auch an | |
| andere Orte. Solche, an die wir nie zuvor verkauft haben.“ | |
| Und andererseits: „Wenn du dich selbst aufmerksam betrachtest, dann | |
| verstehst du, warum du in dieser Welt bist. Du kannst dich selbst besser | |
| schätzen; du musst dich nicht mehr mit anderen vergleichen und dich für | |
| bedauernswert halten. Seitdem du hier bist, scheint das Licht auf dich – | |
| und es ist wunderschön. Seit du hier bist, kannst du die Kirschblüten | |
| sehen.“ Kirschblüten, Kino, Kawase, Kasse. | |
| 31 Dec 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Carolin Weidner | |
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