# taz.de -- Sexuelle Gewalt auf dem Oktoberfest: „Der Blick muss sich veränd… | |
> Kristina Gottlöber von „Sichere Wiesn“ über alltäglichen Sexismus, die | |
> Dunkelziffer sexueller Übergriffe und Präventionsmaßnahmen. | |
Bild: Triggert ohnehin vorhandenen Sexismus: Alkohol. | |
taz: Sie haben gerade mit den anderen Vereinen der Aktion „Sichere Wiesn | |
für Frauen und Mädchen“ konferiert. Worum ging es? | |
Kristina Gottlöber: Unter anderem ging es um die vielzitierte Dunkelziffer | |
von Vergewaltigungen auf dem Oktoberfest im Zusammenhang mit den sexuellen | |
Übergriffen in Köln. Wir haben diskutiert und verschiedene [1][europäische | |
Studien] zum Thema verglichen. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass bei | |
Vergewaltigungen das Dunkelfeld zehn bis zwanzig mal so groß ist ist wie | |
die tatsächlich angezeigten Straftaten. | |
Wie ist die Lage auf dem Oktoberfest? | |
Wir gehen von ähnlichen Werten aus, haben aber insbesondere Täter, die das | |
Opfer nicht persönlich kennen. Hinzu kommen viele Frauen aus dem Ausland, | |
die möglicherweise wegen geringer Aufenthaltszeit oder Sprachbarrieren | |
keine Anzeige erstatten. In den [2][Dunkelfeldstudien] geht es hingegen | |
nicht nur um sexuelle Gewalt im öffentlichen Raum, sondern auch um Taten im | |
sozialen Nahraum, also Vergewaltigungen in Partnerschaften, der Familie | |
oder der Ehe. Eine Untersuchung explizit auf dem Oktoberfest wäre sehr | |
aufschlussreich. | |
Hat sich die Zahl der angezeigten Übergriffe verändert? | |
Die Zahl der Anzeigen schwankt von Jahr zu Jahr, insgesamt weniger geworden | |
sind die Übergriffe nicht. 2015 gab es 20 Anzeigen aufgrund von | |
Sexualdelikten, darunter eine versuchte Vergewaltigung. | |
Dann käme man mit den Schätzungen aus Studien auf ein Dunkelfeld von | |
200-400 sexuellen Übergriffen für das Jahr 2015. Werden Sie solche | |
Dunkelziffern in Zukunft benennen? | |
Nein, wir haben keine wissenschaftliche Grundlage dafür, halten das somit | |
für unprofessionell. | |
Offensiv eine Zahl zu nennen, hilft jedoch dabei, das Problem abzubilden. | |
Aus diesem Grund gibt es ja Dunkelfeldforschung. Wäre es da nicht sinnvoll, | |
dies auch zu tun? | |
Vielleicht. Mir als feministische Frau und Pädagogin reicht es jedoch aus, | |
zu sagen, dass es eine großes Dunkelfeld gibt. Wir als Einrichtung müssen | |
den Frauen vor Ort zur Seite stehen und auf das gesellschaftliche Problem | |
allgemein aufmerksam machen. Jeder Übergriff ist einer zu viel. | |
Wie äußert sich sexualisierte Gewalt auf dem Oktoberfest? | |
Bestimmte Formen sexueller Gewalt gelten immer noch als Kavaliersdelikt. | |
Einen Griff an den Po oder ein Bedrängen in einer Menschenmenge kann das | |
Opfer zwar anzeigen, aber es wird nicht weiter verfolgt. Das Gesetz spricht | |
von Nötigung und die muss in irgendeiner Form mit Bedrohung einhergehen | |
oder eine Vergewaltigung sein. Alles was „darunter“ liegt, wird | |
strafrechtlich nicht verfolgt. | |
Bildet sich Sexismus nicht einfach ein weiteres Mal beim Oktoberfest ab? | |
Sexuelle Gewalt findet überall statt. Jede Frau kann betroffen sein, aber | |
auch Männer kann es treffen. Das Oktoberfest wie auch andere | |
Großveranstaltungen, etwa Festivals, scheinen manche für eine moralfreie | |
Zone zu halten. Dort treten gesamtgesellschaftliche Mechanismen wie etwa | |
die Bagatellisierung von sexuellen Übergriffen und Schuldzuweisungen | |
gegenüber Frauen viel deutlicher zutage. Gemäß der Leserichtung: Das Opfer | |
habe sich falsch verhalten oder das falsche angehabt und sei selber schuld. | |
Sie meinen „Victim-blaming“? | |
Ja, sogenannte Vergewaltigungsmythen. Frauen werden über alle Altersgruppen | |
hinweg sexuell belästigt und vergewaltigt. Ebenso wenig schützt Kleidung | |
vor sexueller Gewalt. Wir sagen immer, dass man dem Gesetz nach auch völlig | |
nackt und besoffen über das Oktoberfest laufen können muss ohne angefasst | |
zu werden. Schuld ist immer der Täter. | |
Die Aktion „Sichere Wiesn“ erteilt doch auch Tipps für Frauen. | |
Wir befinden uns da in einem Spannungsfeld, das wir immer wieder | |
diskutieren. Frauen sollten sich nicht schützen müssen. Wir wollen, dass | |
sexuelle Gewalt verschwindet, nicht mehr toleriert und bagatellisiert wird. | |
Gleichzeitig erleben wir jedes Jahr das Gegenteil und müssen darauf | |
reagieren. Uns ist es wichtig, Frauen in ihrem Selbstschutz zu bestärken. | |
Auch das hat feministische Tradition etwa in Frauenselbstbehauptungskursen. | |
Wie lauten ihre Ratschläge? | |
Zum Beispiel: Leg dich nicht auf dem Gelände zum Schlafen hin. Wir weisen | |
daraufhin, dass es bestimmte Gefährdungsorte und -situationen gibt. Auf dem | |
Heimweg finden immer wieder Übergriffe statt. Eine andere typische | |
Gefährdungssituation ist das Verlassen des überfüllten Bierzelts. | |
Sagen Sie letztlich dann nicht auch nur, wie die Opfer sich schützen | |
können? Müsste man nicht eigentlich die Täter schärfer reglementieren? | |
Immerhin gibt es seit drei Jahren inzwischen auch die Aktion | |
[3][„Wiesngentleman“], der sich speziell an Männer wendet. Nach dem Motto | |
„Ohne Stress feiern und Spaß haben, verhalte dich wie ein Gentleman“. Eine | |
gute Aktion, die sich dem widmet, was wir als explizierte | |
Frauenorganisation nicht leisten können. | |
Wie ist ihre Bilanz aus zwölf Jahren Präventivarbeit gegen sexuelle Gewalt | |
auf dem Oktoberfest? | |
Die Zahl unserer betreuten Klientinnen ist in zwölf Jahren kontinuierlich | |
von 27 auf 200 angestiegen. Wir führen das auf den Umfang und die | |
Bekanntheit unserer Aktion sowie unsere Öffentlichkeitsarbeit zurück. | |
Inzwischen wissen viele Besucherinnen: „Wenn ich mich nicht sicher fühle, | |
kann ich zum Security Point Sichere Wiesn“. Die Polizei arbeitet eng mit | |
uns zusammen, ebenso bringen viele Privatpersonen, Gewerbetreibende von den | |
Ständen und Bedienungen aus den Zelten Frauen zu uns, die Unterstützung | |
brauchen. | |
Erhoffen Sie sich wegen der erhöhten Aufmerksamkeit zum Thema jetzt eine | |
höhere Anzeigequote? | |
Ich hoffe, dass mehr Frauen die Täter anzeigen. In der Folge müssen aber | |
auch Strafverfolgungsbehörden gut damit umgehen und den Frauen glauben. Mit | |
reformierten Gesetzen alleine ist es nicht getan, der gesellschaftliche | |
Blick muss sich verändern. | |
16 Jan 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&a… | |
[2] http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung4/Pdf-Anlagen/langfassung-stu… | |
[3] http://www.condrobs.de/wiesngentleman/ | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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