| # taz.de -- Neuauflage von „Mein Kampf“: Rausgelassen aus dem Giftschrank | |
| > Die kritische Edition von Adolf Hitlers Machwerk wurde nun vorgestellt. | |
| > Der wissenschaftliche Anspruch ist hoch und die Entmystifizierung | |
| > gelingt. | |
| Bild: So sieht es aus, Hitlers Machwerk. | |
| Gewichtig. Wenn es ein Wort gibt, das die am Freitag in München unter | |
| riesigem Medieninteresse vorgestellte kritische Edition von Adolf Hitlers | |
| „Mein Kampf“ umschreiben soll, dann dieses. Es betrifft den reinen Umfang | |
| dieses kiloschweren Projekts: 1.966 Seiten und über 3.500 Anmerkungen hat | |
| es in mehr als dreijähriger Arbeit benötigt, um dieses Machwerk zu | |
| dokumentieren und wissenschaftlich zu verarbeiten | |
| Ebenso gewaltig scheint der Anspruch der Wissenschaftler vom Münchner | |
| Institut für Zeitgeschichte. Die Edition soll nicht nur | |
| Hintergrundinformationen bieten und Hitlers Quellen und die | |
| ideengeschichtlichen Wurzeln erläutern, nein, zudem will man Fakten gegen | |
| Propaganda, Ideologie und Hass sprechen lassen. Eine „Edition mit | |
| Standpunkt“ nannte Mitherausgeber Christian Hartmann das Werk bei der | |
| Vorstellung. Mit knappen Erklärungen sei es bei dieser Schrift nicht getan, | |
| sagte der Historiker: „Hitlers Schrift bedarf der Gegenrede.“ | |
| Die kommt im wörtlichen Sinne überbordend daher. Der Originaltext ist nicht | |
| einfach mit Fußnoten versehen worden. Die Anmerkungen des | |
| wissenschaftlichen Teams, bestehend aus 14 Mitarbeitern und 80 externen | |
| Experten, wuchern um Hitlers Propagandaschrift herum, nehmen jeweils die | |
| ganze linke Seite ein und breiten sich unter und neben den Ausführungen des | |
| „Führers“ aus. Hitler ist umzingelt. | |
| Dabei gehen diese Anmerkungen weit über das hinaus, was in der historischen | |
| Wissenschaft üblich ist. Ereignisse, die dem Leser des 21. Jahrhundert | |
| nicht immer präsent sein müssen, werden erklärt und eingeordnet. In drei | |
| Spalten gehen die Editoren etwa auf die Glorifizierung der Kriegserlebnisse | |
| von Soldaten nach dem Ersten Weltkrieg ein. Vor allem aber bürsten die | |
| Wissenschaftler Hitlers Behauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt durch, bis | |
| in die Details. Dass der Mann gelogen hat, dass sich die Balken biegen, war | |
| schon immer bekannt. Aber nun lassen sich all diese propagandistischen | |
| Ausflüchte und platten Unwahrheiten in jeder einzelnen Verästelung | |
| nachvollziehen. So bleibt vom zweibändigen Hauptwerk dieses Massenmörders | |
| nicht viel übrig. | |
| ## Die Lügen einordnen | |
| Dem britischen Historiker und Hitler-Biografen Ian Kershaw fiel in München | |
| die Rolle zu, die Edition einzuordnen und zu werten. „Mein Kampf“, so | |
| Kershaw kurz und bündig, „ist ein historischer Text von großer Bedeutung. | |
| Das ist alles.“ Der heutigen Welt aber habe der Text „nichts zu sagen“. Er | |
| bezeichnete das Buch als „ideologisches Gerüst für die spätere Herrschaft�… | |
| der Nationalsozialisten und sparte nicht mit Lob für die Editoren: Die | |
| Anmerkungen nannte Kershaw, der schon seit Jahren eine Edition des | |
| Hitler-Machwerks und dessen freie Veröffentlichung forderte, „Kunstwerke an | |
| und für sich“. | |
| Das Medieninteresse in München dürfte freilich weniger den Details der | |
| Anmerkungen gegolten haben. Es ist das Mythos um dieses Werk infolge der | |
| Tatsache, dass man es siebzig Jahre lang in Deutschland nicht neu | |
| veröffentlichen durfte – so lange, bis jetzt die vom Freistaat Bayern | |
| gehaltenen Urheberrechte abgelaufen sind. Ändert sich die deutsche | |
| Gesellschaft nun dadurch, dass dieses Buch wieder frei erhältlich ist? | |
| Da machte Kershaw den Deutschen Mut. In einer selbstbewussten Demokratie | |
| sollte man keine Angst mehr vor der Wirkmächtigkeit von „Mein Kampf“ haben. | |
| Der Nationalsozialismus werde, so seine Einschätzung, durch diese | |
| Veröffentlichung „weder geschürt noch gemildert“. Das sei auch dem | |
| wissenschaftlichen Apparat zu verdanken, der dieses Buch gründlich | |
| entmystifizieren könne. | |
| Er gibt gewichtige Gegenstimmen. Der Literaturwissenschafler Jeremy Adler | |
| erklärte das Projekt vorab für grundfalsch und ethisch maßlos, schon weil | |
| keine Kritik in der Lage sei, die Inhalte eines solch „erbärmliches | |
| Machwerks“ zu neutralisieren. Und der Präsident des Jüdischen | |
| Weltkongresses, Ronald S. Lauder, hat die kommentierte Neuauflage am | |
| Freitag in New York als „Unsinn“ bezeichnet. Die NS-Propagandaschrift | |
| sollte stattdessen „im Giftschrank der Geschichte“ bleiben. | |
| Kann eines der übelsten Machwerke der Menschheitsgeschichte, in dem Hass | |
| und Mord zum Programm erhoben wird, mithilfe von 3.500 Anmerkungen in sein | |
| Gegenteil verkehrt werden? Ob das breite Publikum, an das sich die Ausgabe | |
| richtet, nun eher die Fußnoten oder den Originaltext oder beides zur | |
| Kenntnis nehmen wird, weiß niemand – das mussten auch die Editoren | |
| eingestehen. 15.000 Vorbestellungen liegen vor. | |
| 8 Jan 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Hillenbrand | |
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