# taz.de -- Notstandsdebatte in Frankreich: Streit um Verfassungsänderung | |
> Pläne der Regierung, verurteilten Terroristen die Staatsbürgerschaft zu | |
> entziehen, stoßen auf Kritik. Auch von rechts kommen Bedenken. | |
Bild: Mehrfach skandalös attackiert: Frankreichs Justizministerin Christiane T… | |
PARIS taz | Darf Frankreichs Justizministerin Christiane Taubira in der | |
Regierung bleiben? Diese absurde Debatte wird derzeit wieder in der | |
Öffentlichkeit geführt. Der parlamentarischen Rechten war diese engagierte | |
Frau aus Französisch-Guyana immer ein Dorn im Auge. Von Rassisten aus | |
rechtsextremen Kreisen wurde sie regelmäßig in skandalöser Weise attackiert | |
und mitunter sogar mit Affenfotos und entsprechenden Sprüchen attackiert. | |
Taubira hat diese gegen sie verschworenen Gegner erneut in Rage gebracht. | |
Denn sie sagt offen, dass sie den Vorschlag ablehnt, verurteilten | |
Terroristen zusätzlich zur Verbüßung ihrer Haftstrafe die französische | |
Staatsbürgerschaft zu entziehen, sofern diese einen von einem anderen Land | |
ausgestellten zweiten Pass besitzen. Es sei keine gute Idee, aus der | |
Staatsbürgerschaft ein ideologisch gefärbtes Instrument der Verbannung aus | |
der nationalen Gemeinschaft zu machen. | |
Zur Vorgeschichte gehört, dass während des Zweiten Weltkriegs das | |
faschistische Vichy-Kollaborationsregime den Gegnern und den Juden den Pass | |
und die Staatszugehörigkeit entzogen hatte. Nicht zufällig hatte vor allem | |
der rechtsextreme Front National eine Neuauflage dieser Sanktion seit | |
Jahren als Zusatzstrafe für kriminelle Bürger mit doppelter | |
Staatsbürgerschaft propagiert. | |
Nach den barbarischen Terrorakten fühlte sich auch die heutige | |
Linksregierung genötigt, die Repression zu verschärfen. Staatspräsident | |
François Hollande brachte sie im Rahmen der Notstandsgesetze in die | |
Debatte. Bisher war es juristisch nur möglich, Terroristen die französische | |
Staatsbürgerschaft abzuerkennen, wenn diese als erwachsene Immigranten | |
eingebürgert worden waren. | |
## Abschiebung in „Herkunftsländer“ | |
Nun schlug Hollande vor, diesen Ausschluss aus der Nation auszuweiten und | |
mit dem Notstand in der Verfassung zu verankern. In Wirklichkeit geht es um | |
die Möglichkeit, terroristische Staatsfeinde in „Ausländer“ zu verwandeln | |
und sie in „Herkunftsländer“ abzuschieben. | |
Das hat nicht nur in den Reihen der sozialistischen Regierungspartei, | |
sondern auch bei anderen linken Parteien Proteste provoziert. Dabei ging es | |
auch um Hollandes Taktik: Er braucht für die Verfassungsreform eine | |
qualifizierte Mehrheit, das heißt die Unterstützung der bürgerlichen | |
Opposition. Mit der Ausweitung des Entzugs der Staatsbürgerschaft kommt er | |
dieser entgegen. | |
An dieser Frage scheiden sich nun die Geister in der Diskussion über die | |
Notstandsgesetze und deren Missbrauch durch einen Staat, der zum Zweck der | |
Terrorbekämpfung der Polizei immer mehr freie Hand bei der Überwachung und | |
Prävention gewährt. | |
In einem Appell von dreißig Intellektuellen vom Montag, die eine Debatte | |
über die notwendige Erneuerung der französischen Linken und Vorwahlen zur | |
Ernennung eines oder einer gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten/in | |
fordern, wird diese Verfassungsrevision mit der ausgeweiteten Aberkennung | |
der Staatsbürgerschaft erneut scharf kritisiert. | |
## „Rein symbolische Geste“ | |
Sogar von rechts kommen Bedenken. Der frühere gaullistische Premier Alain | |
Juppé (Nicolas Sarkozys interner Rivale) sieht darin eine „rein | |
symbolische“ Geste. Taubira steht also mit ihren Einwänden nicht allein da. | |
Sie ist damit aber vor allem zum Aushängeschild der linken Kritik an der | |
Staatsführung geworden. | |
Obwohl laut Umfragen angeblich mehr als 75 Prozent die umstrittene | |
Aberkennung der Staatsbürgerschaft befürworten, meinen 53 Prozent, Taubira | |
könne trotz ihrer Differenzen in der Regierung bleiben. Bisher hat Hollande | |
dieses „Plebiszit“ respektiert. | |
12 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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