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# taz.de -- Ärzte verschwiegen Intersexualität: Recht auf Schmerzensgeld
> Michaela R. ist intersexuell. Nach einem langem Leidensweg mit falscher
> Aufklärung, Hormontherapie und OP hat sie nun vor Gericht einen Sieg
> errungen.
Bild: Wurde Mitte der 1990er Jahre ohne wirksame Einwilligung operiert: Michael…
NÜRNBERG dpa | Eine Intersexuelle hat Anspruch auf Schmerzensgeld und
Schadenersatz, weil sie vor einer Therapie mit weiblichen Hormonen und
einer Operation an den Geschlechtsorganen nicht ausreichend aufgeklärt
wurde. Das hat am Donnerstag das Landgericht Nürnberg-Fürth entschieden.
Die Kammer stellte zwar keinen Behandlungsfehler fest. Doch die Operation
der Intersexuellen Michaela R. im Jahr 1995 war nach Ansicht der
Vorsitzenden Richterin rechtswidrig, weil sie ohne wirksame Einwilligung
vorgenommen worden sei. „Für die Einwilligung wäre eine umfassende
Aufklärung notwendig gewesen - und die gab es damals nicht“, sagte ein
Gerichtssprecher.
Die Ärzte hätten ihrer Patientin „kein zutreffendes Bild von ihrem
gesundheitlichen Zustand“ vermittelt. Denn dazu hätten sie ihr sagen
müssen, dass sie Merkmale beider Geschlechter in sich trägt. Nur so hätte
die Betroffene die Tragweite der Behandlung erkennen und eine
selbstbestimmte Entscheidung treffen können.
Bei intersexuellen Menschen sind nicht alle geschlechtsbestimmenden
Merkmale wie Chromosomen, Hormone, Keimdrüsen oder äußere Geschlechtsorgane
eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen.
Die 41 Jahre alte Michaela R. aus Mittelfranken hatte dem
Universitätsklinikum Erlangen und einem Operateur vorgeworfen, sie vor
einer Therapie mit weiblichen Hormonen und einer Operation nicht über die
Tragweite und Folgen der Behandlung aufgeklärt zu haben. Die Mediziner
verschwiegen ihr damals, dass sie zwar äußerlich weibliche
Geschlechtsorgane hatte, ihr XY-Chromosomensatz jedoch der eines Mannes
ist. Michaela R. bezeichnet sich selbst daher als Zwitter.
## Heute erwerbsunfähig
Durch die Therapie vor rund 20 Jahren sei sie so schwer erkrankt, dass sie
heute voll erwerbsunfähig sei. Die Klägerin hatte 250 000 Euro
Schadenersatz und Schmerzensgeld sowie eine monatliche Rente von 1600 Euro
gefordert. Um die tatsächliche Höhe ihres Anspruchs zu bestimmen, muss der
Prozess vor dem Landgericht fortgesetzt werden. Die Kammer wollte mit dem
Teil-Urteil jedoch vorab klären, ob der Anspruch von Michaela R.
grundsätzlich besteht. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Beide
Seiten können Berufung einlegen.
Die Klage gegen den Operateur wies das Gericht ab. Er sei nicht dafür
verantwortlich gewesen, dass die anderen Ärzte Michaela R. nicht
ausreichend aufgeklärt hätten.
## Keine „radikale“ Aufklärung
Die Klinik hatte sich in dem Prozess damit verteidigt, dass bis Mitte der
1990er Jahre eine frühzeitige Zuweisung zu einem Geschlecht empfohlen
worden sei. Von einer „radikalen“ Aufklärung sei abgeraten worden, damit
die Patienten keinen Schock bekommen. Heute gehört die Besprechung der
Chromosomenanalyse laut einem Gutachter dazu.
Die 41-Jährige zeigte sich nach der Entscheidung erleichtert. „Das ist
schon mal ein großer Schritt in die richtige Richtung. Ich bin positiv
überrascht und kann es noch nicht so richtig fassen“, sagte sie. „Das alles
hat so viel Schmerzen gekostet. Ich wäre froh, wenn das Ganze jetzt bald
abgeschlossen wäre.“
Es war das zweite derartige Verfahren in Deutschland. In einem ähnlichen
Prozess in Köln im Jahr 2008 hatte eine Krankenpflegerin ebenfalls einen
juristischen Sieg gegen einen Chirurgen errungen.
18 Dec 2015
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