# taz.de -- Debatte Zukunft des Fußballs: Der Fifa-Skandal als Chance | |
> Krise, welche Krise? Der organisierte Fußball steht am Abgrund – es | |
> braucht Reformen. Mehr Frauen in der Fifa-Spitze wären ein Anfang. | |
Bild: Wie wäre es mal mit einer Frau? | |
Zugegeben, es fällt nicht leicht, das Positive zu sehen, wenn es um die | |
Zukunft des organisierten Fußballs geht. Was die Vergangenheit betrifft, | |
ist es sogar ziemlich unmöglich. Zu tief sind die Abgründe, die sich in den | |
letzten Jahren bei Fifa und DFB aufgetan haben, und zu gering der Glaube, | |
dass sich daran auf absehbare Zeit etwas ändern könnte. Als Fußball-Fan | |
frage ich mich, ob der Sport unbeschadet bleiben kann von den Skandalen, | |
für die seine Funktionäre verantwortlich sind. Nur wenn die Gegenwart zur | |
Selbstreinigung genutzt wird, besteht in der Krise des organisierten | |
Fußballs eine echte Chance für den Sport. | |
Seit Jahrzehnten sind wir es gewöhnt, dass die Fifa scheinbar losgelöst von | |
jeglicher Rechtsprechung agiert, egal wie hoch der Preis ihrer | |
Entscheidungen für Demokratie, Menschenrechte oder die Bevölkerung vor Ort | |
auch war. Knebelverträge, Ausgabenrekorde, sklavenähnliche | |
Arbeitsverhältnisse, Häuserräumungen, Einschränkung von Bürgerrechten, | |
Umweltzerstörung, gnadenloser Kommerz – die Fifa fühlte sich nie zuständig | |
und war doch immer die Ursache all dieser Fehlentwicklungen, die meist die | |
Austragung von Weltmeisterschaften begleiteten. | |
Jede Kritik, ob an den korrupten WM-Vergabeverfahren, den mörderischen | |
Bedingungen auf den WM-Baustellen in Katar, der Menschenrechtslage in | |
Russland oder den Umweltzerstörungen in Brasilien, wurde in Zürich | |
schulterzuckend abgeblockt. Stattdessen kümmerte man sich dort vor allem um | |
die finanzielle Vorteilsnahme der eigenen Funktionäre und den eigenen | |
Machterhalt. | |
Erst durch die hartnäckigen Ermittlungen US-amerikanischer und Schweizer | |
Justizbehörden, die Anklage gegen mehrere Fifa-Funktionäre in den USA wegen | |
Korruption, Geldwäsche und Betrug sowie den folgenden öffentlichen Druck | |
scheint die ungestörte Ruhe vorbei zu sein. Selbst die ehedem noch als | |
reines Feigenblattinstrument installierte hauseigene Ethikkommission zeigt | |
der Fifa und dem Immer-noch-Präsidenten Blatter nun offen die Zähne. Nach | |
einem Hausverbot verhängte sie eine achtjährige Sperre gegen ihn. Blatters | |
Tage an der Spitze des Fußballweltverbandes sind damit endgültig gezählt, | |
sein Rückzug vom eigenen Rückzug nach einer umstrittenen Wiederwahl im Mai | |
endgültige Makulatur. | |
## Verbandskultur grundlegend ändern | |
Doch damit darf sich die Fußballwelt nicht zufriedengeben. Gerade als | |
Fußballfan will ich es nicht zulassen, dass korrupte Funktionäre den Sport, | |
den Fußball weiter kaputt machen können. Dass sie es gar so weit treiben | |
können mit ihrem Traum einer jenseits des Gesetzes stehenden Macht, dass | |
sich Menschen angewidert abwenden von den sportlichen Wettbewerben. Aber | |
ich und Millionen andere Fans weltweit wollen uns nicht abwenden, sondern | |
feiern, mitfiebern und leidenschaftlich sein. Wir wollen genau hinschauen, | |
was auf und neben dem Platz passiert. Und wir wollen darüber reden. | |
Es darf uns nicht egal sein, dass sportliche Erfolge wie der Gewinn der | |
Weltmeisterschaft 2014 auf Kosten von Umweltzerstörungen, | |
Menschenrechtsverletzungen und der Einschränkung von Bürgerrechten errungen | |
werden. Wenn Fußball seine gesellschaftliche und friedensbildende Kraft | |
behalten soll, dann dürfen die Umwälzungen in der Fifa, aber auch bei uns | |
zu Hause beim DFB nicht auf halber Strecke steckenbleiben. | |
Angesichts des gigantischen Ausmaßes an Korruption und eines über | |
Jahrzehnte gewachsenen Systems gegenseitiger Vorteilnahme ist völlig klar, | |
dass es weitreichende Reformen braucht. Es geht um eine wahre | |
Demokratisierung der nationalen und internationalen Sportverbände. Allen | |
voran muss es Aufklärung geben, gefolgt von strukturellen Reformen, die | |
dafür sorgen, dass sich die Fehler der Vergangenheit in der Zukunft nicht | |
wiederholen. | |
Es braucht vor allem eine grundlegende Änderung in der Kultur der Verbände. | |
Denn strukturelle Reformen allein bringen noch keine Wende im Denken. Sie | |
sind die Grundlage dafür, dass Fehlentwicklungen behoben und ein Neustart | |
möglich wird. Aber ohne eine neue Kultur getragen von | |
Verantwortungsbewusstsein, Ehrlichkeit und transparentem Handeln bei den | |
Funktionären wird es nicht gehen. Nur so könnte der Fußball am Ende stärker | |
aus der Krise hervorgehen. | |
## Korrupte Funktionärsklüngel | |
Es geht nicht an, dass die Verbandswelt des Fußballs weiterhin eine | |
männliche Parallelwelt bleibt, die auf Kumpeleien, Pfründenvergaben und | |
Schweigekartellen basiert und sich nicht um rechtsstaatliche Normen, | |
demokratische Verfahren und klare Verantwortlichkeiten kümmert. Führende | |
Köpfe, die in dieser Umgebung als Teil des „Systems Fifa“ sozialisiert | |
wurden, werden die Chance zur Reform, die in dieser Krise steckt, kaum | |
glaubwürdig nutzen können. | |
Deswegen ist es ein Problem, wenn mit Issa Hayatou jemand | |
Interimsnachfolger von Blatter werden konnte, der vom IOC bereits wegen | |
Bestechlichkeit verwarnt wurde, oder wenn mit Michel Platini ein Vertreter | |
des korrupten Funktionärsklüngels sich ernsthaft und von den Europäern | |
getragen um das Amt des Präsidenten bewerben wollte. Da kann man nur von | |
Glück reden, dass die Sperre der Ethikkommission Platinis Plänen nun | |
zuvorkommt. | |
Notwendig wäre, dass endlich viel mehr Frauen in die Führungsgremien der | |
Fifa aufrücken, am besten festgelegt durch eine Quote. Und warum kann man | |
nicht künftig alle Mitglieder des Fifa-Exekutivkomitees nur nach | |
gründlicher Integritätsprüfung in das Gremium einziehen lassen? Auch | |
sollten sie einer Ämterzeitbeschränkung unterliegen, und es müssen | |
verbindliche Transparenzrichtlinien sowie klare Richtlinien in Bezug auf | |
die gesellschaftliche Verantwortung der Fifa gelten. | |
Einige dieser Vorschläge liegen nun auf dem Tisch, wenn am 26. Februar beim | |
Fifa-Kongress alle 209 Nationalverbände über eine neue Struktur und einen | |
neuen Präsidenten des Weltverbandes abstimmen. Wenn eine Zustimmung zu den | |
vorgeschlagenen Reformen gelingt und mit einem neuen Präsidenten auch eine | |
neue Kultur eine Chance in der Fifa bekommt, könnte das Jahr 2015 im | |
Rückblick als Wendepunkt für den internationalen Fußball gesehen werden. | |
Aber nur, wenn jetzt nichts bleibt, wie es war. Viel Zeit zur Umkehr bleibt | |
nicht mehr. | |
6 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Claudia Roth | |
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