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# taz.de -- Antikorruptionsexperte über Fifa: „Nicht alle sind Gangster“
> Er wollte die Fifa reformieren – und ist gescheitert. Der
> Antikorruptionsexperte Mark Pieth über den Zustand des
> Fußball-Weltverbands.
Bild: „Wir brauchen einen in der Wolle gefärbten echten Demokraten an der Fi…
taz: Herr Pieth, im Herbst 2011 sind Sie angetreten, die Fifa zu
reformieren …
Mark Pieth: … ja, wir haben daran bis Ende 2013 gearbeitet.
Sie haben da etwas ins Rollen gebracht. Richtig?
Ich hätte mir gewünscht, dass der Reformprozess schneller und glatter geht.
Ich hätte nicht gedacht, dass man erst die staatlichen
Strafverfolgungsbehörden einspannen und die ganze Institution köpfen muss.
Vielleicht war es naiv zu glauben, die würden sich durch Statutenänderung
zu einer Einstellungsänderung bewegen. Auf dem Papier kann man die tollsten
Dinge verfassen, solange sich nichts in den Köpfen verändert, bringt es gar
nichts. Es braucht einen kulturellen Wandel.
Der Druck, den die US-Justizministerin Loretta Lynch und auch die Schweizer
Bundesanwaltschaft aufgebaut haben, ist in den vergangenen Monaten groß
gewesen. Im ehemaligen Führungszirkel des Weltverbands konnte sich niemand
mehr sicher sein.
Durch die Verhaftungen und Ermittlungen wurden die Funktionäre
aufgerüttelt. Das hat dazu geführt, dass sie bereit sind, nahezu alles zu
schlucken, was an Reformvorschlägen auf dem Tisch liegt.
Warum mussten erst Strafverfolgungsbehörden aktiv werden, damit sich etwas
ändert?
Wir haben es über die Selbstregulierung versucht. In den letzten zehn
Jahren haben auch die Medien und manchmal auch die Sponsoren versucht,
Druck auf die Fifa aufzubauen. Aber all das hat nichts bewirkt. Erst als
die staatlichen Instanzen sich eingeschaltet haben, ist wirklich etwas ins
Rollen gekommen. Indirekt ist das die Konsequenz der Bemühungen unserer
Reformkommission. Denn die beiden unabhängigen Fifa-Ethikkammern, die wir
installiert haben, haben jeweils in der Schweiz und in den USA die
Strafverfolger gerufen.
War Joseph Blatter seinerzeit klar, als er Sie als Reformer zur Fifa geholt
hat, dass es derart eskaliert könnte?
Wir haben ihn damals sehr direkt gefragt: Warum machen Sie das? Sie müssten
ja nicht, Sie haben schon so viel ausgesessen. Er hat geantwortet: Damit
ich erhobenen Hauptes zur Vordertüre hinausgehen kann. Der hatte damals die
Vorstellung: Ich räume auf, und dann gehe ich. Wir haben gesagt, okay,
darauf lassen wir uns ein. Man muss aber auch sagen, dass Blatter nicht die
treibende Kraft in der Fifa war. Das waren eher Leute aus der Verwaltung
wie Marco Villiger, Chefjurist der Fifa, oder Markus Kattner, der heute
vorübergehend als Geschäftsführer fungiert. Als Blatter dann im Herbst 2013
angekündigt hat, noch einmal als Präsident antreten zu wollen, war klar:
Das geht gegen alles, was wir gemacht haben.
Er konnte nicht von der Macht lassen.
Wir haben ihm gesagt: Sie waren wirtschaftlich extrem erfolgreich, aber Sie
haben auch ein großes Patronage-Netzwerk aufgebaut – und jetzt wollen Sie
nicht einmal gehen?
Und?
Er hat gesagt, dass er keinen Nachfolger habe. Er finde niemanden, der das
kann.
Nur Blatter kann Fifa?
Das war seine Vorstellung, ja. Er mag im persönlichen Umgang ein durchaus
witziger und charmanter Typ sein, aber da haben wir gemerkt, dass er an
Realitätsverlust leidet. Das war ein Grund, warum wir aufgehört haben. Der
zweite Grund war, dass die Uefa unsere wichtigsten Reformen blockiert hat.
Das war von der Uefa absolut reaktionär. Wir wollten nicht noch einen
Kongress erleben, auf dem alles von den Fifa-Funktionären torpediert wird.
Ist Ihre Rechnung dennoch aufgegangen?
Schon, aber der Reformprozess ist nun mit sehr viel mehr Kollateralschäden
verbunden, mit Verhaftungen und kaputten Karrieren. Das ist ja nicht
unbedingt das, was man will.
Eine Eskalation hätte man vermeiden können?
Ja, ich denke schon, wenn Blatter rechtzeitig gegangen wäre und Michel
Platini problemlos auf den Posten des Präsidenten gekommen wäre.
Die verspätete Zweimillionen-Zahlung von Blatter an Platini wäre nicht
publik geworden?
Das wäre wohl nicht herausgekommen. Aber ich denke, wir werden mit einer
viel größeren Problematik konfrontiert sein.
Mit welcher?
Die Kandidaten fürs Präsidentenamt sind entweder hochproblematisch oder
schwach. Da gibt es niemanden, der etwas taugt.
Es gibt fünf Bewerber, zwei aus dem arabischen Raum, einer aus Südafrika,
zwei aus Europa. Als Favorit gilt derzeit der Bewerber aus Bahrain.
Der ist hochproblematisch. Es ist von Menschenrechtsorganisationen gesagt
worden, dass er in seinem Land Präsident einer Kommission gewesen ist, die
Sportler aus der schiitischen Opposition hart sanktioniert hat. Dazu muss
sich der Bewerber äußern oder öffentlich befragen lassen. Was hat er
konkret getan? Diese Prüfung muss jetzt stattfinden.
Sie sprechen von Scheich Salman bin Ibrahim al-Khalifa. Er war zu der Zeit
der blutigen Niederschlagung der Proteste im Golfstaat Präsident des
bahrainischen Fußballverbands. Seit 2013 ist er Chef des asiatischen
Fußballverbands AFC. Ein Sprecher des Bahrain Center for Human Rights sagte
unlängst der FAZ: „Er hat Spieler nicht persönlich gefoltert. Gleichwohl
gilt er sowohl mir als auch den Menschen in Bahrain als Folterer.“
So einer darf nicht Präsident der Fifa werden. Ich verlange jetzt eine
Prüfung von al-Khalifa durch die Wahlkommission der Fifa und die
Ethikkommission. Er muss Rede und Antwort stehen.
Warum wurde das nicht schon gemacht?
Weil die Fifa in vielen Bereichen derzeit nicht handlungsfähig ist. Die
Frage ist: Kommt jetzt ein Präsident, der keine ethische und moralische
Legitimation besitzt und noch dazu aus einem autokratischen Regime. Was hat
uns jemand zu sagen, der aus einem Land mit einem solchen Demokratiedefizit
kommt? Wir brauchen jetzt einen in der Wolle gefärbten echten Demokraten.
Wie wäre es dann mit einem Präsidenten aus Europa, beispielsweise dem
ehemaligen stellvertretenden Fifa-Generalsekretär Jérôme Champagne oder
dem aktuellen Uefa-Generalsekretär Gianni Infantino?
Die wären auch nicht meine erste Wahl. Infantino hat 2012 beim Torpedieren
unserer Reformen eifrig mitgemacht.
Die wichtigste Reform, die beim Fifa-Kongress am 26. Februar zum Beschluss
steht, betrifft eine neue Führungsstruktur in der Fifa. Anstelle des
25-köpfigen Exekutivkomitees soll es künftig einen 36-köpfigen Aufsichtsrat
geben, das Council, und eine Geschäftsführung mit weitreichenden
Befugnissen. Sie stellt wohl das neue Machtzentrum der Fifa dar.
Sie meinen, man müsste jetzt eher über den neuen Geschäftsführer der Fifa
reden und nicht über den künftigen Präsidenten?
Man kann den Eindruck gewinnen, der Fifa-Präsident wäre künftig eher eine
Art Frühstücksdirektor.
Man versucht, das Modell einer multinationalen Unternehmung zu rezipieren.
Der neue Präsident wird Vorsitzender des Aufsichtsrats, der die Politik und
Strategie überwacht. Das ist schon mehr als ein Frühstücksdirektor. Der
Geschäftsführer würde zu einer Art CEO, also zu einem
Vorstandsvorsitzenden. Ich traue dem Ganzen aber noch nicht, weil ich
gesehen habe, wie es bis jetzt immer im Hause Fifa gelaufen ist.
Ist dieser Umbau zu radikal für die Fifa?
Ich hätte mir ein anderes Modell gewünscht: eine Pause von zwei Jahren mit
einem Übergangspräsidenten, der eigentlich nur eine Funktion hat – das
Ganze zu beruhigen.
Theo Zwanziger haben Sie dafür einmal ins Spiel gebracht.
Ja, der ist aber nach dem Streit im DFB nicht mehr vermittelbar. Ich halte
es nicht für ausgeschlossen, dass die Fifa-Leute sich jetzt vor dem
Kongress so in die Haare kriegen, dass sie sagen: Domenico Scala, kannst du
nicht zwei Jahre übernehmen …
… Domenico Scala, Wirtschaftswissenschaftler der Uni Basel und Chef des
Fifa-Compliance-Komitees, das auf sauberes Geschäftsgebaren achtet. Scala
hat einmal gesagt, das „Netzwerk der alten Jungs“ müsse man eliminieren.
Darum geht es doch im Kern, oder?
Genau. Aber das ist extrem schwer, weil die Funktionäre ja schon in ihren
Heimat- und Kontinentalverbänden einem Old-Boys-Network entstammen. Sie
sind dort, noch bevor sie überhaupt zur Fifa kommen, so sozialisiert
worden.
In der Fifa sammeln sich „Weltprobleme“, haben Sie einmal gesagt. Was
meinen Sie damit?
Es gibt 209 Länder in der Fifa. Und in der Mehrzahl dieser Länder ist die
Politik hochgradig korrupt. Diese Länder entsenden Leute in die Fifa, die
ihre Probleme mitbringen. Das gilt auch für europäische Länder wie Spanien.
Interessant ist auch die Frage, wie es diese 209 Länder mit den
Menschenrechten halten, mit Rassismus und der Gleichstellung der Frau. Über
all dem besteht dann in der Fifa dieses Old-Boys-Network, das
Patronage-System, in dem sich die alten Männer die Pfründe zugeschoben
haben.
Wie kann eine neue Kultur Einzug halten?
Wenn der Machtschwerpunkt nun in eine Region abwandert, die sich immun
fühlt gegenüber Strafverfolgung, dann sehe ich schwarz für die Zukunft der
Fifa.
Wie hart sind Sie eigentlich selbst in der Fifa attackiert worden?
Man hat mich „Trottel“ genannt, viele sind mir nicht grün gewesen. Es sind
nicht alle Gangster in der Fifa, aber viele ambivalente Personen, zum Teil
windige Gestalten, Politiker. Ein Umbau wird dauern.
Wie lange?
Zehn Jahre bestimmt: zwei Jahre Großreinemachen, mehrere Jahre muss man dem
Aufbau von Glaubwürdigkeit und der Etablierung der Reformen widmen. Die
Frage ist, ob die in der Fifa es kapiert haben, dass sie sich ändern
müssen. Ich habe da meine Zweifel.
24 Jan 2016
## AUTOREN
Markus Völker
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Fifa
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