| # taz.de -- Die Wahrheit: „I schpuiad gegar an jeden“ | |
| > Im Wahrheit-Interview spricht der Bairisch-Trainer der Bayern Tacheles | |
| > über Carlo Ancelotti, Sprach-Streber wie Philipp Lahm und andere Eleven. | |
| Bild: „Die Liebe zum bairischen Idiom steigt sakrisch in ihm hoch“: Trainer… | |
| taz: Herr Moser, ist Carlo Ancelotti ein guter Schüler? | |
| Marcel Moser: Ehrgeizig ist er jedenfalls. Es gibt sicher nur wenige, die | |
| sich auf einen derartigen Deal einlassen würden. Ancelotti hätte ja auch | |
| sagen können: Ich mache es wie Guardiola und gebe meine erste | |
| Pressekonferenz auf Deutsch. Nein, Ancelotti hat darauf bestanden, bei | |
| seiner ersten Pressekonferenz Bairisch zu sprechen. | |
| Aber das versteht ja auch in München nicht jeder. | |
| Allerdings. Es geht ja auch nicht darum, aus Herrn Ancelotti einen Urbayern | |
| zu machen, der in jedem Schuhplattlverein im bayerischen Oberland als | |
| Einheimischer durchgehen würde. Meine Aufgabe ist es, ihm ein gepflegtes, | |
| münchnerisches Stadtbairisch beizubringen. Sonst verstehen ihn ja seine | |
| eigenen Chefs nicht. Karl-Heinz Rummenigge und Matthias Sammer sind nun | |
| nicht gerade Urbayern. | |
| Aber just die beiden sollen es gewesen sein, die Ancelotti zum | |
| Bairischlernen verdonnert haben. | |
| Verdonnert würde ich nicht sagen. Jeder, der sich näher mit der bairischen | |
| Sprache beschäftigt, wird schnell spüren, wie die Liebe zu diesem Idiom in | |
| ihm hochsteigt. Das beobachte ich auch bei Ancelotti. Was die Herren | |
| Rummenigge und Sammer betrifft, haben sie schon vor einiger Zeit erkannt, | |
| dass es beim FC Bayern immer schwieriger wird, eine bayerische Identität | |
| auszumachen. Da werden Spieler aus aller Herren Länder geholt und da reicht | |
| es irgendwann nicht mehr, die jungen Männer zur Wies’nzeit in eine | |
| Lederhose zu stecken, um als bayerisch wahrgenommen werden. So ist die Idee | |
| mit dem Sprachunterricht entstanden. | |
| Demnach ist Carlo Ancelotti gar nicht ihr erster Schüler beim FC Bayern. | |
| Nein, die Idee ist viel älter. Ich habe schon viele Spieler der Bayern | |
| unterrichtet – mit mehr oder weniger großem Erfolg. Das hängt ganz von der | |
| jeweiligen Sprachbegabung ab. | |
| Wer war denn ihr talentiertester Schüler? | |
| Thomas Müller – keine Frage. Aber er war eben auch noch jung, als er unter | |
| meine Fittiche kam. Wie er heute spricht, das ist schon bewundernswert. Das | |
| hat nichts mehr mit dem schüchternen Jungen aus dem Emsland zu tun, der | |
| damals in das Jugendinternat des FC Bayern gezogen ist. Dass er heute als | |
| Urbayer gilt, als das Bayerische schlechthin beim FC Bayern, das hat viel | |
| mit meiner Arbeit zu tun. Es macht mich stolz, wenn ich ihn sprechen höre. | |
| Thomas Müller ist gar kein Bayer? | |
| Jetzt schon, wenn Sie so wollen. Er macht eben kaum Fehler. Manchmal ist er | |
| ein wenig schlampig, vor allem wenn es darum geht, die schönen bairischen | |
| Konjunktivformen zu verwenden. Vor der Auslosung zur Champions League hat | |
| er zum Beispiel gesagt: „Ich würde gegen jeden spielen, egal, wer da | |
| kommt.“ Schöner wäre natürlich gewesen, wenn er gesagt hätte: „I schpui… | |
| gegar an jeden, wuascht, wer da kimmt.“ Aber das sind Feinheiten. | |
| Machen Sie Thomas Müller auf solche Fehler aufmerksam? | |
| Natürlich. Für die, die schon länger dabei sind, gibt es einmal in der | |
| Woche ein Sprechtraining. Da wird einfach ungezwungen Bairisch miteinander | |
| gesprochen. Und nur wenn es unbedingt sein muss, greife ich korrigierend | |
| ein. | |
| Das heißt, es gibt mehrere Spieler, die bei Ihnen Bairisch gelernt haben? | |
| Ja, die Gruppe ist zwar kleiner geworden, seit der Bastian Schweinsteiger | |
| nach Manchester gezogen ist, aber ein paar Leute kriegen wir immer | |
| zusammen. Viele fühlen sich auch verpflichtet zu kommen, immerhin gehört | |
| der Kapitän auch zu unserer Bairisch-Gruppe. | |
| Philipp Lahm? Ich dachte, der kommt nun wirklich aus München. | |
| Ja, das ist seine Legende. Die hat man einst für ihn zurechtgeschneidert. | |
| Wer Lahm gesehen hat, wie er damals aus Algier nach München gekommen ist, | |
| der hätte diese Entwicklung nie für möglich gehalten. Heute glaubt sogar | |
| seine Frau, dass er aus gutbürgerlichem Haus im Münchener Villenstadtteil | |
| Gern stammt. Ich weiß gar nicht, ob er sie eingeweiht hat. | |
| Aber so richtig bairisch spricht Lahm ja nun nicht. | |
| Immerhin spricht er ohne arabischen Akzent. Den hat er abgelegt. Jetzt | |
| redet er mit leichtem bairischen Einschlag. Aber Sie haben recht. Für mich | |
| hört sich das manchmal auch ein wenig gekünstelt an, wenn er was sagt. Aber | |
| so ist er nun mal. Lahm war auch in unserer Lerngruppe immer ein Streber. | |
| Ich finde, man hört regelrecht, wie er sich bemüht, jedem Wort ein | |
| bairisches Gesicht zu geben. Das ist auf eine gewisse Art unnatürlich. Der | |
| Philipp ist eben ein Auswendiglerner. | |
| Herr Moser, was haben Sie Carlo Ancelotti heute beigebracht? | |
| Neben dem täglichen Vokabeltraining, ohne das es beim Erlernen einer | |
| Fremdsprache nun mal nicht geht, versuche ich immer ein kleines Schmankerl | |
| in den Unterricht einzubauen. Heute haben wir uns mit den Bindelauten | |
| beschäftigt, die notwendig werden, wenn zu viele Vokale aufeinandertreffen. | |
| Da taucht dann etwa ein r auf, wo eigentlich gar kein r ist. | |
| Das müssen Sie erklären. | |
| Der Satz: „Wir können aber auch ein andermal kommen“ heißt auf Bairisch: | |
| „Mia kennar awar aar an andersmoi kemma“, obwohl können eigentlich kenna, | |
| aber eigentlich awa und auch eigentlich aa heißt – also ohne r. | |
| Ganz schön kompliziert. Kann das jemand verstehen, der – nun ja – nur | |
| Fußballtrainer ist? | |
| Ja, ja, so schwer ist das doch gar nicht. Und für einen Italiener wie den | |
| Herrn Ancelotti ist zumindest die korrekte, rollende Aussprache des r kein | |
| größeres Problem. | |
| Welcher Lerntyp ist der Carlo denn? | |
| Er hat jedenfalls keine Hemmungen, die neu gelernten Wörter auch | |
| anzuwenden. Wir sollten uns also nicht wundern, wenn er in seinem ersten | |
| Training, das er bei den Bayern leitet, einen Spieler als Zipfelklatscher | |
| oder Brezensoizer bezeichnen würde. | |
| Unterweisen Sie den neuen Bayerntrainer auch in bairischer Lebensart? | |
| Nein, dafür hat der Verein einen eigenen Trainer angestellt. Da wäre ich | |
| auch nicht der richtige. Ich weiß zwar, wie man den bairischen Konjunktiv | |
| korrekt bildet – aber nicht, wie man eine Weißwurst von der Haut befreit. | |
| Da müssen Sie andere fragen. Als Vegetarier bin ich in dieser Hinsicht | |
| ungeeignet. | |
| 28 Dec 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Rüttenauer | |
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