| # taz.de -- Die Wahrheit: König, Kaiser, Gott und Mutti | |
| > Wie die Kanzlerin nicht begreifen wollte, dass Werbetexter Andi Wainald | |
| > ihr den besten Slogan aller Zeiten geschenkt hatte. | |
| Er wusste alles über die Kanzlerin. Dachte er. Er war ihr nahe gekommen wie | |
| kaum ein zweiter. Er hatte sie angefasst. Er hatte ihre Hände in seine | |
| eigenen genommen. Immer wieder. So lange, bis sie es endlich konnte. Die | |
| Raute der Macht – er, Andi Wainald, war es, der die Raute der Macht | |
| erfunden hatte. | |
| Das erste Shooting, es war ein Qual. Sie könne doch mit ihren Händen | |
| machen, was sie wolle, hatte die Merkel gesagt. Immer wieder. Hatte es | |
| nicht geheißen, sie sei blitzgescheit? | |
| Mit Engelszungen hat er damals auf sie eingeredet. Und endlich, der | |
| Fotograf wollte schon aufgeben, hatte sie kapiert, dass sie hier nicht als | |
| Physikerin steht, die es zur Regierungschefin bringen wollte, sondern als | |
| Marke. Microsoft, Mercedes, Merkel. Das Shooting war sein Durchbruch. Die | |
| Merkel-Raute, die er mit dem Art Director der Agentur entwickelt hatte, | |
| wurde zum Symbol einer Ära. Und er, Andi Wainald, hatte sie erfunden. Er | |
| war König, Kaiser, Gott. Er war der gefeierte Star der Agentur. | |
| Und wenn sie mit der Merkel nicht absolutes Stillschweigen vereinbart | |
| hätten über die Zusammenarbeit mit der Agentur, er wäre König, Kaiser, Gott | |
| der ganzen Branche. Er war groß. Er war der Größte. | |
| ## Wie aus dem Bilderbuch | |
| Vorbei. Die Party war zu Ende. Es war ein Fest, von dem er sich lang nicht | |
| hat vorstellen können, dass es jemals enden würde. Er konnte die | |
| Praktikantinnen irgendwann nicht mehr zählen, die ihre Körper an den seinen | |
| gedrückt haben, wann immer in der Agentur ein neuer Abschluss gefeiert | |
| wurde. Das Konto war voll, das Loft, das er bezogen hatte, wie aus einem | |
| Bilderbuch für betuchte Neuberliner und sein Targa genauso geil, wie er ihn | |
| sich vorgestellt hatte, als noch nicht abzusehen war, dass er sich jemals | |
| einen Porsche würde leisten können. | |
| Das große Merkelportrait im Andy-Warhol-Stil, das er sich über sein Bett | |
| gehängt hatte, er küsste es, wenn Champagner und Koks seine Sinne noch | |
| leichter gemacht hatten, als sie ohnehin schon waren. Er hatte der Merkel | |
| alles zu verdanken. Und sie ihm. Er war sich sicher, dass sie ihm ewig treu | |
| bleiben würde, die Frau, die er zur Marke gemacht hatte. | |
| Aus, Ende, Amen. Vor einem Jahr feierten sie die letzte Party in der | |
| Agentur für ihn. Es war ein letzter großer Rausch. Die Magnumflasche in der | |
| Hand, die prickelnde Soße, die sich, nachdem er sie geöffnet hatte, über | |
| seine Hand ergoss, die Lobrede, die der Boss auf ihn gehalten hatte, und | |
| die roten Lippen der jungen Mitarbeiterinnen, die alle nur eines wollten: | |
| einen Abdruck auf einer seiner Wangen hinterlassen. | |
| ## Ein deutsches „Yes we can!“ | |
| Die Bilder dieses Abends, er wird sie nicht vergessen. „Wir schaffen das!“ | |
| Noch einmal hatte er einen großen Wurf gelandet. Er war Merkels Bester. Das | |
| deutsche „Yes we can!“. Er hatte es entwickelt. Tage-, wochen, -monatelang | |
| hatte er gebrütet. | |
| Die Merkel brauchte noch einmal neuen Schwung. Sie vertraue ihm. Die SMS, | |
| die sie ihm damals geschickt hatte, er würde sie nie löschen. König, | |
| Kaiser, Gott. Es sah so aus, als hätte er, Andi Wainald, noch einmal einen | |
| ganz großen Wurf gemacht. | |
| Und dann das. Es war ein Desaster. Die Merkel hatte nichts, aber auch | |
| wirklich gar nichts kapiert von dem, was er ihr versucht hatte zu erklären. | |
| „Wir schaffen das!“ – das sollte doch nur ein Slogan sein, einer dieser | |
| Sprüche, die alles sagen und nichts, aber auch gar nichts meinen. So etwas | |
| wie „Wir sind bereit“ oder „Zeit für Taten“. Aber das kapierte die Frau | |
| einfach nicht. Der Worst Case war eingetreten. | |
| Schon in seinem ersten Praktikum hatte er gelernt, dass nie passieren darf, | |
| was mit der Merkel passiert ist. Wenn der Kunde anfängt, selbst an einen | |
| Slogan zu glauben, dann ist er tot. Das ist ein ehernes Gesetz der Branche. | |
| ## Ein schmutziger Anschiss | |
| Und ihm wurde die Schuld an diesem Desaster in die Schuhe geschoben. | |
| Stinksauer war der Boss auf ihn. Er habe die Merkel nicht gut genug | |
| gebrieft. Gott war tot. Es war ein Anschiss, wie er schmutziger nicht sein | |
| konnte. | |
| Und auch die Merkel war stinksauer. Da habe er ihr ja was Schönes | |
| eingebrockt, textete sie. Diese SMS vom Kanzlerhandy hat er sofort | |
| gelöscht. „Wir schaffen das!“ Wie konnte die Frau auch nur auf die Idee | |
| kommen, daran wirklich zu glauben. Ein Gedanke, der ihm so absurd vorkam | |
| wie die Vorstellung, dass die Brauer von Warsteiner wirklich glauben, ihr | |
| Bier sei das einzig Wahre. | |
| Das Merkel-Camp war einer der besten Kunden der Agentur. Der Boss sprach | |
| klare Worte. Alles, aber auch wirklich alles müsse er daran setzen, die | |
| Merkel zu versöhnen. Plötzlich stand alles auf dem Spiel für ihn. Das Koks, | |
| das Loft, der Targa. Und nicht nur er würde seinen Job verlieren, wenn ihm | |
| nicht bald etwas einfiele, was die Kanzlerin retten würde. | |
| Er stand unter Druck. Es war nicht der übliche Deadline-Druck. Den kannte | |
| er. Der machte ihm nichts aus. Er liebte ihn sogar. Whisky, Weiber, wenig | |
| Schlaf. Irgendwann war ihm immer etwas eingefallen. Jetzt merkte er, wie | |
| plötzlich Versagensängste an ihm zu nagen begannen. | |
| Er probierte es mit Whisky. Mit viel Whisky. Mit noch mehr Whisky. Doch die | |
| Ideen wollten nicht kommen. Stattdessen ertappte er sich dabei, wie er dem | |
| Barkeeper seines Lieblingslokals seine ganze Lebensgeschichte erzählte. | |
| Schlimmer konnte es nicht kommen. | |
| ## Leidiges Thema | |
| Er war in der Krise. Was musste Merkel den Slogan auch ausgerechnet bei dem | |
| leidigen Flüchtlings-Thema zum ersten Mal einsetzen. Irgendeine | |
| Grundsteinlegung, eine Preisverleihung oder ein Auftritt beim Bundesverband | |
| der deutschen Industrie – und alles wäre gut gewesen. Nein, es musste die | |
| Flüchtlingsfrage sein. Und er sollte das nun ausbügeln. Er marterte sich. | |
| Er beschäftigte sich sogar mit Politik, dachte an das Asylpaket eins, an | |
| das Asylpaket zwei, an Staaten, die man zu sicheren Herkunftsländern | |
| erklärt hatte. Ein Slogan dafür war schnell gefunden: „Ausländer raus!“ | |
| Aber den würde ihm die Merkel doch nie abkaufen, nicht einmal dann, wenn | |
| sie daran glauben würde. | |
| Leer. Es war nichts mehr drin in seinem Kreativzentrum. Der Konservatismus | |
| in der CDU. Ausgerechnet er sollte die Merkel wieder attraktiv machen für | |
| alle, die ans Gute im Gestern glauben. Würde noch eine Nase Koks helfen? | |
| Noch ein Whisky? Irgendetwas mit Familie vielleicht. | |
| Eine Schwangerschaft wäre nicht schlecht. „Mutti wird Mutter!“. Das war | |
| doch schon mal nicht schlecht. Wie alt war noch mal diese Berlinerin, die | |
| vergangenes Jahr Vierlinge zur Welt gebracht hat? 65? Die Merkel ist 62. | |
| Passt doch. „Mutti wird Mutter!“ Was wohl ihr Alter davon hält? Egal. Der | |
| muss einfach mitspielen. „Mutti wird Mutter!“ Das war die Lösung. Von wegen | |
| Kanzlerinnendämmerung! Von wegen Andi-Wainald-Dämmerung! | |
| ## Schon wieder leer | |
| Er war am Leben. „Mutti wird Mutter!“ Niemand würde mehr über Flüchtlinge | |
| sprechen. Keiner hätte mehr Angst vor irgendetwas und Die Bunte oder Die | |
| Aktuelle würden die wichtigsten Nachrichtenmagazine. Andi Wainald konnte es | |
| noch. Gott war wiederauferstanden. | |
| Am nächsten Morgen schon würde er seinen Boss für die Idee begeistern. Er | |
| wollte feiern, anstoßen mit sich selbst. Die Flasche war schon wieder leer. | |
| Egal. Er würde wieder ganz groß werden oder er würde untergehen. Und mit | |
| ihm die Merkel. Entweder oder. Noch einmal küsste er das Bild der | |
| Kanzlerin. | |
| 10 Sep 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Rüttenauer | |
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