# taz.de -- „Tatort“-Folgen an den Feiertagen: Eine definitive Warnung | |
> Sechs „Tatort“-Folgen laufen zwischen den Jahren, vier davon sind neu. | |
> Aber nur eine ist eine Perle. Und zwar der beste „Tatort“ der letzten | |
> Jahre. | |
Bild: Er kann es wirklich: sehr lustig sein. Ulrich Tukur. | |
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zu sehen! Verzeihung, aber das ist einer der raren Fälle, in denen man als | |
Rezensentin den Redakteur in letzter Minute anrufen und sagen möchte: | |
„Sorry, Kollege, pack auf die Seite einen anderen Text. Ich kann unmöglich | |
etwas über diese eine „Tatort“-Folge verraten! Sie ist zu großartig. Und … | |
gebaut, dass der Zauber auffliegt, sobald man nur anfängt, sie zu | |
beschreiben.“ | |
Verflixt an der Sache ist nur, dass die Folge „Wer bin ich?“ des Hessischen | |
Rundfunks mit Ulrich Tukur (27. 12.) eine derart funkelnde Perle in der | |
geballten Ladung an Feiertags-„Tatort“-Folgen ist, die die ARD da zwischen | |
Weihnachten und Anfang Januar platziert hat. | |
Gleich vier Erstausstrahlungen hat man für diese Zeit ins Programm gehievt. | |
Zuerst die Folge „Benutzt“ aus Köln mit Ballauf und Schenk (26. 12.), der | |
Jahreswechsel wurde dann sogar zur Til-“Nick Tschiller“-Schweiger-Woche | |
hochgejazzt (zuerst die zwei alten als Wiederholung, dann die Doppelfolge | |
„Der große Schmerz“: 1. 1. und „Fegefeuer“: 3. 1., hierhin verschoben … | |
der Pariser Attentate). Und mittendrin eben „Wer bin ich?“, für die sich | |
wirklich jeder rechtzeitig eine Ausrede parat legen sollte, um sich am 27. | |
12. abends ums Familienessen oder sonstige Nebensächlichkeiten drücken zu | |
können. | |
Dass seit etwa drei Jahren überhaupt so viele Krimis zwischen den Jahren | |
gezeigt werden, spricht für neue Sehgewohnheiten wie für eine veränderte | |
Gesellschaft. „Früher wurde an kirchlichen Feiertagen gar kein ‚Tatort‘ | |
gezeigt“, sagt ARD-„Tatort“-Koordinator Gebhard Henke. „Mord und Totsch… | |
fand man, passten nicht zum Fest des Friedens und der Liebe.“ Aber seit | |
Netflix, Amazon Prime und andere Streamingdienste uns kollektiv zu | |
Binge-Watchern gemacht haben, schwenkt man halt um. Zeigt die dritte | |
Staffel „Weißensee“ en bloc, im Januar „Die Stadt und die Macht“ | |
hintereinander weg – und eben die kommenden Tage „Tatort“, „Tatort“, | |
„Tatort“. | |
Um beim Vergleich zu bleiben: „Wer bin ich?“ wird einen Kultstatus wie die | |
Netflix-Serie „Fargo“ haben. Es ist eine jener Folgen, die mit Preisen | |
zugeworfen werden muss. Die mit Konventionen spielt wie „House of Cards“ | |
oder „River“. Die spalten wird, aber auch beim zweiten Mal schauen nichts | |
an Faszination einbüßt, die man rezensieren möchte, indem man einfach nur | |
zwei Seiten lang Dialoge abschreibt (alles wieder gelöscht). Und die | |
künftig als Lehrmaterial im Medienwissenschaftsstudium herhalten muss. Die | |
so viel über dieses besondere deutsche Sonntagsgenre erzählt, dass sie | |
unter Garantie sofort im Klassikerhimmel landet. | |
## Ausnahme bleibt Ausnahme | |
Denn dass jene 90 Minuten mit Ulrich Tukur quasi für alle verquasten | |
Gähnepisoden der letzten Monate entschädigen, steht außer Frage. Aber: | |
„Eine Ausnahme ist nur dann eine Ausnahme, wenn es auch die Regel, | |
traditionelle Ermittlerfolgen, gibt“, ordnet Koordinator Henke den HR-Film | |
fast nüchtern ein. Die „Regel“, das ist also so etwas wie „Benutzt“ aus | |
Köln (26. 12): solide, mit einem sechs Jahre alten Todesfall und was man im | |
Inhaltsgenre „schmutzige Geschäfte“ nennt. Ein passabel gezapftes Kölsch | |
eben, das Duo Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär). | |
Und auf der anderen Seite stehen die Schweiger-Episoden, um die im Vorfeld | |
so viel Bohei gemacht wurde (“Helene Fischer im ‚Tatort‘!“). Die aber | |
derart nach Schema F wie „Ferdammt noch mal, immer die gleiche | |
Schweiger-Soße“ gestrickt sind, dass man nach einer Stunde spätestens | |
gelangweilt auf die Uhr schaut. | |
Zumindest im ersten Teil „Fegefeuer“: Vater (also Schweiger-Tschiller) mit | |
enger Tochterbindung, voller Reue, will ab jetzt alles besser machen, doch | |
Schurke entführt Frau und Tochter, und Vater (also Held, also Schweiger) | |
zieht allein los. Oder in den Kitschphrasen der Vorschau formuliert: Nick | |
im „Fegefeuer der Gefühle, im Kampf für seine Familie, im Kampf für | |
Hamburg, im Kampf gegen [die Schurken] – und im Kampf gegen sich selbst“. | |
Na ja, und deswegen gibt’s halt 30 Minuten lang gagaeskes Knallbummpeng, | |
wie in, sagen wir: einem x-beliebigen Vin-Diesel-Film. „Allein aus | |
Kostengründen wird in ‚Tatorten‘ weniger Action gezeigt und geballert“, | |
kommentiert Henke. „Wenn das mal einer macht, ist das eine Bereicherung des | |
Spektrums.“ | |
Nein, dass diese Tschiller-Folge hier in den Saure-Gurken-Topf kommt, hat | |
weder etwas damit zu tun, dass Schweiger offenbar die „Keine | |
Pressepreview“-Politik seiner Kinofilme auch beim NDR durchgesetzt hat, so | |
dass Rezensenten Teil 1 nur mit speziellem Screeninglink einmal anschauen | |
dürfen, Teil 2 gar nicht, weil: „Wir wollen, dass den ‚Tatort‘-Fans die | |
Spannung bis zum Schluss erhalten bleibt.“ | |
Und es liegt auch nicht daran, dass man das doofe Gebührenzahlergefühl | |
nicht loswird, Schweiger wird gepampert als sei er Günther Jauch, mit mehr | |
Produktionsbudget, einem Marketingtopf, der sogar für Kinowerbung reicht, | |
und einem eigenen Kino-„Tatort“, der 2016 anlaufen soll (und erst 2018 im | |
TV zu sehen ist). Auf diese Seltsamkeiten angesprochen, sagt Henke nur: | |
„Ich bin nicht derjenige, der dem NDR zu sagen hat, wie er mit Til | |
Schweiger umzugehen hat.“ | |
## Achtung, Spoiler! | |
So und nun: Achtung kurzer Spoiler! Dass man den Tschiller-Kram aushält, | |
liegt einzig daran, dass es das andere noch gibt: großes Fernsehkino. So | |
wie schon in den ersten fünf Minuten „Wer bin ich?“. Erste Szene, morgens, | |
Ulrich Tukur sitzt in einem rattigen Hotelzimmer, reibt sich den Kopf, | |
stöhnt. Und sagt: „Scheiße.“ Bumm! Schon das ein Verweis auf Schimanskis | |
legendäre Flucherei. Und das erste Indiz, dass es so weitergeht. | |
Denn die Folge ist eine einzige selbstreferenzielle Party: ein Film im | |
Film, in dem zwei HR-„Tatort“-Folgen gedreht werden und Tukur unter | |
Mordverdacht gerät. Tukur spielt also Tukur, Wolfram Koch Wolfram Koch, | |
Margarita Broich Magarita Broich und Martin Wuttke ist als Martin Wuttke | |
zum Niederknien. Vom verantwortlichen Redakteur (brillant: Michael | |
Rotschopf) über Schauspielerhierarchien, Lala-„Tatort“-Phrasen bis hin zu | |
alten „Tatort“-Filmen wird präzise seziert. Kurz: eine Folge, mit der sich | |
Drehbuchautor und Regisseur Bastian Günther sein eigenes Denkmal gebastelt | |
hat. Spoiler-Ende. | |
Ja, es ist ein Jammer, als berufliche Vorausguckerin dem umwerfenden Charme | |
von „Wer bin ich?“ nicht zum ersten Mal erliegen zu können. Aber dieser | |
filmgewordene Insiderwitz ist so verdammt gut, dass er auch beim vierten | |
Sehen richtig schön knallt. Und Sie, Sie warnen jetzt bitte alle, die Ihnen | |
am Herzen liegen, vor diesen lästigen Vorabrezensionen. Danke. | |
26 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Anne Haeming | |
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