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# taz.de -- HR-Tatort „Wer bin ich?” mit Tukur: „Ich bin nur eine Idee“
> Von „Casino Kobra“ bis Fellinis „8 ½“: Der Ulrich-Tukur-Tatort feier…
> die Metaebenen. Ein paar der Referenzen haben wir hier aufgedröselt.
Bild: Ist das jetzt noch Ulrich Tukur als Ulrich Tukur? Oder schon Ulrich Tukur…
Wir müssen hier gar nicht diskutieren, der HR-Tatort „Wer bin ich?” war
schon ab der ersten Minute ein Klassiker. Aber weil wir uns wegen
Spoiler-Alarm [1][vorab zurückgehalten hatten], hier noch einmal ein paar
Sätze darüber, wieso diese Folge so unfassbar geknallt hat. Und der
Versuch, natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit, ein paar der
Anspielungen aufzudröseln.
Dass die kompletten 90 Minuten als Referenz-Spektakel konstruiert waren,
hatte vor allem einen Effekt: Der „Tatort“ feierte sich selbst mit jener
Folge, in der gleich zwei hessische Tatortfolgen gedreht wurden, in der die
Schauspieler sich selbst spielten, sich mittags in der HR-Kantine durch die
Bayerische Woche fraßen (Metaebene n+1 [2][hier]) und der
Kommissardarsteller Tukur zum Mordverdächtigen wurde – und dekonstruierte
sich damit zugleich in einer einzigen geschmeidigen Bewegung.
Selbstreferentielle Spielereien in Filmen lenken die Aufmerksamkeit immer
auf die Gemachtheit dessen, was wir da sehen, die sogenannte Vierte Wand
zwischen Realität und Fiktion wird eingerissen. Die Geste ist: Schaut her,
Leute, alles nur Show. Allein dass der HR sich zu dieser endlos coolen
Selbstironie hinreißen ließ, läßt einen schmachten.
Die Lässigkeit, mit Film- und Popkulturzitaten um sich zu werfen, machte
schon das Herz des vorigen Tukur-Tatorts „Im Schmerz geboren“ aus:
Shakespeare, Tarantino, Italo-Western, die Folge war vollgestopft wie eine
Weihnachtsgans. Aber nun, in „Wer bin ich?“, legten die Kollegen noch eine
Schippe „Meta“ drauf.
Genauer: Sie schoben verschiedene Zitat-Kategorien ineinander, verwiesen
auf die TV-Gattung „Tatort“ in toto, auf die Murot-Folgen im Speziellen,
auf das Œuvre von Ulrich Tukur selbst sowie die ARD-Politik von
Spielfilmredaktionen – und natürlich auf das gesamte Genre „Filme über
Filme“. Bis hin zu vollkommen abseitigen Referenzen wie sie sich im
Spielhallen-Securitytypen Wegmann zeigen, Spitzname „Casino Kobra“ – eine
Anspielung auf Jürgen „Kobra“ Wegmann, jenem Fußballprofi aus den 80ern,
der für die Borussen, dann Schalke, dann die Bayern legendäre Tore schoss,
und für seine giftigen Sprüche bekannt wurde, à la: „Zuerst hatten wir kein
Glück, dann kam auch noch Pech dazu“.
## Irgendwas zwischen hasenfüßig und opportunistisch
Wie souverän ARD und vor allem Hessischer Rundfunk mit den eigenen
Klischees umgehen, ist sagenhaft: Nicht nur dass ein Großteil der Folge im
HR spielt, auf den Behördenfluren, in der Kantine, in den Studios von
Mittagssendungen wie „Hallo Hessen“, wo sich das neue Kommissarduo Broich
und Koch vorstellt. Der mächtige „Tatort“-Entscheider im Haus, der Leiter
der Redaktion Fernsehspiel und Spielfilm Jörg Himstedt, ist als „Jens
Hochstätt“ (umwerfend karikiert von Michael Rotschopf) zudem eine der
Hauptfiguren: irgendwas zwischen hasenfüßig und opportunistisch - ein
großer Spaß.
Was die Tatort-Welt angeht, reicht das Spektrum von der schimanskihaften
„Scheiße“-Flucherei von Ulrich Tukur als Ulrich Tukur über den geradezu
lehrbuchhaft heruntergeklapperten Dialog am inszenierten Tatortdreh mit
Leiche: Zeugen, Fundort, Tatzeit, Tatwaffe. So dröge wie eben in den
schlechtesten Teilen dieser Reihe üblich.
Dazu kommt die entzückend zur Schau gestellte Hierarchie unter den
Kommissardarstellern: denjenigen, die schon länger dabei sind (Tukur und
Barbara Philipp), den neuen (Wolfram Koch und Margarita Broich), den gerade
frisch geschassten (Martin Wuttke, der einst in Leipzig ermittelte),
denjenigen, die ihrem fixen Honorar hinterhertrauern, jenen mit oder ohne
festen Vertrag, und dann sind da noch diejenigen, die so einen Posten noch
bekommen könnten. Oder wie in „Wer bin ich?“ gemauschelt wird: „Habt Ihr
den Schweighöfer schon angerufen?“.
Mehr noch: Andere Tatort-Niederlassungen poppen hier und da auf, sei es,
dass der Regisseur beim Dreh nach einer klamaukigen Improvisation von
Wolfram Koch als Kommissar Paul Brix brüllt: „Wir sind hier doch nicht in
Münster!“, sei es, dass Kabarettist Eisi Gulp einen Barkeeper spielt, wie
schon im vorletzten Joachim Król-Tatort; und dann sind da noch die
Schweinemasken, mit denen sich die Typen tarnen, die Tukur nachts
entführen, und schwer an die Hasenverkleidungen aus dem NDR-Tatort
[3][“Frohe Ostern, Falke“] aus dem Frühjahr 2015 erinnern (oder ans
„Kettensägenmassaker“).
## „Gibt’s nicht irgendeinen schönen Nazifilm?“
Besonders hinreißend sind jene Momente, in denen sich die Schauspieler als
sie selbst in Szene setzen – abgesehen von Wuttke, der als Wuttke alle
gegen die Wand spielt, allen voran Tukur selbst. Er, der privat und auch in
„Wer bin ich?“ in 20er-Jahre-Klamotten rumläuft, und berüchtigt ist für
seine Rollen in Historienschinken aus der Nazizeit, wird nicht nur so zu
Klump geschlagen, dass er morgens mit einer Schramme in Hitlerbartform
aufwacht. Er muss auch noch mit anhören, wie seine Kollegin Barbara Philipp
mit ihrem Agenten telephoniert und rummault, sie wolle auch endlich mal
einen Preis: „Gibt’s nicht irgendeinen schönen Nazifilm?“ (was wiederum …
ein Zitat jener erstklassigen [4][“Extras”-Folge von Ricky Gervais mit Kate
Winslet] wirkt).
Die genialsten Momente sind aber fraglos jene, in denen „Wer bin ich?“ jene
Filmklassiker zitiert, die vor allem eines tun: ihre eigene Konstruiertheit
zur Schau stellen. Da sind die Dreh-Szenen mit Kameramann, Regisseur,
Tonangeln wie in [5][“Singin’ in the Rain“], das Nebeneinander von
Filmfigur und Schauspieler wie in Woody Allens [6][“Purple Rose of Cairo“]
oder [7][“Being John Malkovich”]. Und natürlich die Schlusssequenz wie im
Finale von [8][Fellinis „8 ½“], in dem das leere Set vom Außendreh vor si…
hinstaubt, die Reste des Drehs noch rumstehen.
Nur eines bleibt offen: Wie der HR das nun noch toppen will. Es ist nicht
auszudenken, wie Murot weiterexistieren kann, der von Folge Eins an unter
den Halluzinationen seines Hirntumors (Anagramm von Murot, schon das eine
Metaebene) arbeitete und im aktuellsten Fall nun als Tukur neben dem Dreh
im Hotelzimmer seinen eigenen alten [9][Edgar-Wallace-Reminiszenztatort
„Das Dorf“] mit den Kesslerzwillingen anschaut, um dann gegen sich selbst
zu ermitteln. Bis hin zu jener selbstreferentiellen Descartes-Idee des „Wer
bin ich?“, die in der finalen High Noon-Szene geradezu explodiert: Da sitzt
Schauspieler Tukur seiner Figur Murot gegenüber, und Murot sagt zu Tukur:
„Ich bin doch nur eine Idee“.
Kristallklar ist jedoch: Bitte mehr davon.
28 Dec 2015
## LINKS
[1] /Tatort-Folgen-an-den-Feiertagen/!5260271
[2] https://twitter.com/HeikHogan/status/681211802387136517
[3] https://www.youtube.com/watch?v=mj5_ZdCeFXg
[4] http://www.dailymotion.com/video/x8hlun_extras-kate-winslet-vostfr_fun
[5] https://www.youtube.com/watch?v=SND3v0i9uhE
[6] https://www.youtube.com/watch?v=SRSyme8tFqU
[7] https://www.youtube.com/watch?v=Q6Fuxkinhug
[8] https://www.youtube.com/watch?v=EW1rL8ae3_c
[9] /ARD-Tatort-mit-Ulrich-Tukur/!5106139
## AUTOREN
Anne Haeming
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