| # taz.de -- Schauspieler über Mord im „Tatort“: „Böse Rollen sind viel … | |
| > Achtmal hat Florian Bartholomäi im „Tatort“ schon den Mörder gespielt. | |
| > Reizt das? Ein Gespräch über fiese Rollen und die Grenzen der Moral. | |
| Bild: Für seine Doppelrolle in „Bloch:Schattenkind“ erhielt Bartholomäi d… | |
| taz.am wochenende: Herr Bartholomäi, als Schauspieler haben Sie im Tatort | |
| Menschen ertränkt, geschubst, erwürgt, vergewaltigt, vergiftet, erschlagen | |
| und erstochen. Immer sind Sie der Mörder. | |
| Florian Bartholomäi: Nicht immer. | |
| Schon acht Mal. | |
| Mir fällt gerade auf: Ich habe noch nie jemanden erschossen. | |
| Würden Sie gerne? | |
| Auf jeden Fall! Ich würde auch gern mal erschossen werden. | |
| Sie sehen total harmlos aus. Wieso werden Sie so oft als Mörder gebucht? | |
| Es hat damit angefangen, dass man mir eine Rolle als der typische | |
| Opfer-Täter anbot. Der Typ, der nur „aus Versehen“ jemanden umbringt, der | |
| normal aussieht und dem man nichts Schlimmes zutraut. Ich habe aber auch | |
| schon durch und durch böse Typen gespielt. Ich bin unsicher, weshalb mein | |
| filmisches Strafregister solche Ausmaße angenommen hat. Vielleicht ist es | |
| ja gerade spannend, wenn der Mörder nicht aussieht wie der typische | |
| Bösewicht. | |
| Welche Mörderrollen haben Ihnen am besten gelegen? | |
| Den vergewaltigenden Kinderschänder-Psychopathen im Dortmunder Tatort „Auf | |
| ewig Dein“ fand ich schon gut. Der war von Grund auf böse. Der musste | |
| nichts mit einem Lächeln verstecken und den Leuten weismachen, er sei ja | |
| eigentlich ganz nett. | |
| Was macht Ihre Mörder aus? | |
| Die meisten Mörder, die ich gespielt habe, sind eher Opfer-Täter. Der | |
| Charakter im Dortmunder Tatort war schon ziemlich artifiziell, obwohl es ja | |
| auch Psychopathen im richtigen Leben gibt, die Empathie einfach an- und | |
| ausschalten können. Die brechen dir jeden Finger und fühlen nichts dabei. | |
| Verstehen Sie diese Menschen besser, weil Sie sich viel mit ihren Psychen | |
| beschäftigen? | |
| Ich will sie jedenfalls nicht einfach als „Mörder“ abstempeln, sondern | |
| verstehen, warum jemand etwas tut. | |
| Wieso? | |
| Ich will verstehen, was einen Menschen in die Lage bringt, so etwas zu tun. | |
| Ich habe viele Gerichtsprotokolle gelesen, in denen Menschen sagen: Ich | |
| wollte das eigentlich gar nicht. Ich finde es unfassbar, dass es diesen | |
| einen Moment geben kann, in dem alle gesellschaftlichen und sozialen Filter | |
| abgeschaltet sind. Und auch die Phase nach dem Mord, wenn versucht wird, | |
| das Ganze zu verstecken, finde ich psychologisch spannend. Das kann man mit | |
| Schachspielen vergleichen. | |
| Haben Sie mal einen wirklichen Mörder getroffen? | |
| Jeder von uns hat schon einen Mörder getroffen. Statistisch gesehen haben | |
| wir alle schon einen Menschen getroffen, der jemanden umgebracht hat, und | |
| sei es als Soldat in einem Krieg. | |
| Trotzdem kann man einen Mörder nicht einfach zu einem Hintergrundgespräch | |
| treffen, um für eine Filmrolle zu recherchieren. Wie bereiten Sie sich auf | |
| diese Rollen vor? | |
| Beim Autofahren. Wenn jemand seeeehr laaangsam vor mir fährt, habe ich | |
| mörderische Fantasien und schreie: „Ich bring den um!“ Wirklich jemanden | |
| als Vorbereitung umlegen geht ja nicht. Nein, Spaß! Ich lerne ja mit jeder | |
| Rolle mehr über die Psychologie des Menschen und lese nebenher darüber. Als | |
| Letztes hab ich ein Buch darüber gelesen, welche Techniken das FBI | |
| anwendet, um Leute zu verhören. Da stand zum Beispiel drin, wie man einen | |
| Narzissten so an seinem Ego kratzt, dass er dir beweisen will, wie toll er | |
| ist und sich dabei verrät. | |
| Macht es mehr Spaß, den Bösen als den Guten zu spielen? | |
| Klar. Wer spielt schon Faust, wenn er Mephisto sein kann? Böse Rollen haben | |
| eine Anarchie, die gute nicht haben. Als guter Charakter haben Sie viel | |
| engere moralische Grenzen und sind in diesen Grenzen gefangen. Wenn Sie | |
| böse sind, sind Sie viel freier und können austesten, wie weit Sie gehen | |
| können, wie sehr Sie Menschen mobben, beleidigen und verletzen können. | |
| Geben Regisseure Ihnen, als bösem Charakter, auch mehr schauspielerische | |
| Freiheiten? | |
| Klar. Es gibt ja tausend verschiedene Arten von Wut: hysterische Wut, | |
| panische Wut, unterdrückte Wut, Hass-Wut … Da darf ich meistens schon ein | |
| paar ausprobieren. | |
| Dauernd wird in Filmen und im Fernsehen gemordet. Warum, glauben Sie, reizt | |
| das Böse so? | |
| Ich glaube nicht, dass Menschen Horrorfilme oder Thriller gucken, weil sie | |
| von Gewalt geschockt werden wollen. Maschinengewehrgeballer berührt uns | |
| nicht mehr, dazu sind wir zu abgestumpft. Was den Zuschauer an bösen | |
| Charakteren im Film interessiert, ist, zu testen, wie viel Böses in einem | |
| selbst steckt. Jeder von uns unterdrückt dunkle Fantasien und Seiten seiner | |
| Persönlichkeit. Anstatt sie auszuleben, schaut man lieber einem | |
| Schauspieler dabei zu und beobachtet, wie man sich dabei fühlt, verliert | |
| sich in ihm, versteht ihn vielleicht oder beneidet ihn sogar. | |
| Hinterlassen die Mörder, die Sie spielen, Spuren? | |
| Das ist die ewige Frage, die sich ein Schauspieler stellt: Wie viel deiner | |
| Rolle nimmst du abends mit aufs Hotelzimmer? Bei mir ist es jedes Mal | |
| anders. Manchmal schminke ich mich ab, lasse die Rolle am Set und manchmal | |
| schleppe ich sie mit mir rum, genauso wie mir ein Streit beim Einkaufen im | |
| Supermarkt nicht aus dem Kopf geht. Und dann spiele ich gerade einen | |
| Kinder-Vergewaltiger und laufe an einem Spielplatz vorbei. Und natürlich | |
| sehe ich die spielenden Kinder und denke: „Oh Gott. Furchtbar!“ Du kannst | |
| solche Gedanken aber auch mit Humor vertreiben. Ich gehe dann zum | |
| Kameramann und frage ihn: „Sag mal, hast du eigentlich Kinder?“ Und er | |
| antwortet: „Flo, halt die Fresse, ich hab ’ne 12-jährige Tochter.“ Sowie… | |
| wird bei der Produktion von Dramen immer viel mehr gelacht als bei | |
| Komödien. | |
| Mussten Sie in Ihrer ersten Rolle auch direkt jemanden umbringen? | |
| Nein. Da habe ich einen Jungen gespielt, der meinte, seine Mitte gefunden | |
| zu haben. Die wurde aber noch nie überprüft. Dann zieht er um, und in | |
| seiner Klasse fragt man ihn: „Bist du rechts oder links?“ Er wird dann ein | |
| Skinhead, bringt aber niemanden um. | |
| Wie kamen Sie zu dieser Rolle? | |
| Ich war 17 und ging in Frankfurt am Main zur Schule. Seit meiner Kindheit | |
| war Kampfsport mein Hobby. Eines Tages gab mir mein Trainer einen Flyer, | |
| mit dem die Hauptrolle für diesen kleinen Kinofilm namens „Kombat 16“ | |
| gesucht wurde. Sie suchten jemanden, der Kampfsport macht, also habe ich | |
| ihnen eine Bewerbung geschickt – eine, wie man sie in der Schule lernt zu | |
| schreiben. Das fanden sie, glaube ich, komisch und luden mich deshalb zu | |
| einem 11-stündigen Casting ein – um zu schauen, ob ich einen ganzen Drehtag | |
| durchstehe. Das habe ich und dann bekam ich die Rolle. Der Film lief auf | |
| ein paar Festivals und irgendwann fand ich eine Agentur. Mein zweiter Film | |
| war dann gleich ein Leipziger Tatort. | |
| Und, haben Sie getötet? | |
| Nein, aber die Rolle war genauso schlimm: Ich musste Behinderte verhauen. | |
| Das war eine absolut miese Schlägerrolle. Ich werde nie vergessen, wie ich | |
| mit meinem Kollegen, der Down-Syndrom hatte, zusammensaß und ihm erklären | |
| musste, dass ich ihn gleich haue, aber danach gleich wieder nett zu ihm | |
| sein werde. Den Ablauf „Action, danke, aus“ hat er nicht immer verstanden. | |
| Und ich war 18 und total überfordert. | |
| Und sind auf keine Schauspielschule? | |
| Nein, ich treffe aber ab und zu einen Coach in Berlin. Es gibt noch viel zu | |
| lernen. | |
| Auch im Kampfsport? Machen Sie das weiterhin? | |
| Keinen Kampfsport, sondern Kampfkunst, zurzeit Wing Tai. Da geht es weniger | |
| darum, Pokale zu gewinnen, als sein Körperbewusstsein zu schärfen. Das ist | |
| ganz ähnlich wie bei der Schauspielerei. Alle Schauspielschulen in den USA | |
| haben mittlerweile verstanden, dass Kampfkunst zur Ausbildung gehört. In | |
| Deutschland ziehen sie langsam nach und bieten Tai Chi oder Aikido an. Der | |
| Körper ist schließlich das wichtigste Instrument eines Schauspielers, ihn | |
| kontrollieren zu können ist enorm wichtig. Beim Theater ist das noch viel | |
| wichtiger. Wenn man auf einer Bühne steht, muss man nicht nur gut spielen, | |
| sondern auch wissen, was man mit seinem Körper macht. Wenn ich ins Theater | |
| gehe und sehe, dass jemand das nicht kann, interessiert mich das Spiel auch | |
| nicht mehr wirklich, weil ich denke: Da fehlt ein Teil von ihrem | |
| Instrument. | |
| Tatort ist ja so ein Kollektivereignis: Sonntag, viertel nach acht – WGs | |
| gucken zusammen, Familien, Freunde. Saßen Sie früher mit Ihren Eltern vorm | |
| Fernseher? | |
| Ja. Und ich mochte das auch, diese sonntägliche Tradition. Ich bin immer | |
| wieder überrascht, wie Tatort schauen heute gehypt wird, in Bars oder beim | |
| Public Viewing. Der Tatort ist eine der wenigen beständigen Sachen, er ist | |
| kulturell in unserer Gesellschaft verankert. | |
| Im Schnitt hat er über 12 Millionen Zuschauer. Und damit er auch eine | |
| gesellschaftliche Verantwortung? | |
| Mit so einer großen Zuschauerzahl kann man auf jeden Fall ein Bewusstsein | |
| schaffen. Natürlich geht das auch in einem kleinen Kinofilm, aber den sehen | |
| halt nicht so viele Leute. In einem Stuttgarter Tatort ging es einmal um | |
| eine Mutter, die „illegal“ in Deutschland ist – und ihre zwei Kinder, die | |
| hier zur Schule gehen und auch hier geboren sind. Es gab damals für diese | |
| statuslosen Kinder keine gesetzliche Grundlage, die Schulpflicht gab es | |
| aber. Die Lage war furchtbar: Hätte man in der Schule diese Kinder | |
| gemeldet, dann wären sie abgeschoben worden. Hätte man die Kinder in der | |
| Schule nicht gemeldet, dann hätte man sich strafbar gemacht. Im Anschluss | |
| an den Tatort wurde diese Frage dann in einer Politikrunde diskutiert, | |
| mittlerweile gibt es auch ein Gesetz dazu. | |
| Was müsste der Tatort anders machen, um noch mehr jüngere Zuschauer | |
| anzuziehen? | |
| Der Hessen-Tatort „Im Schmerz geboren“ mit Ulrich Tukur wurde viel von | |
| Jugendlichen geschaut. Man kann keinen Tatort für 18- bis 88-Jährige | |
| machen. Was ich mir für den Tatort wünschen würde, sind Zeitsprünge. Dass | |
| man eine Geschichte mal über ein halbes Jahr erzählt. Die meisten Tatorte | |
| handeln innerhalb von einer Woche den Fall ab: Da gibt es eine Leiche, dann | |
| fängt die Ermittlung an und nach einer Woche haben sie den Typen. Wenn | |
| jemand stirbt und ich geschockt bin und dann ist der Tatort zu Ende: Wie | |
| sehr kann sich meine Figur dann verändern und entwickeln? | |
| Haben Sie das mal vorgeschlagen? | |
| Ja, immer wieder. Ich glaube, das wäre die Revolution für den Tatort. | |
| Überlebt er noch zwanzig Jahre? | |
| Ja. Na ja. Noch mindestens zehn. | |
| Es gibt immer wieder anspruchsvolle deutsche Krimi-Formate wie Dominik | |
| Grafs Serie „Im Angesicht des Verbrechens“. In der ARD lief die Mini-Serie | |
| freitags um 21.45 Uhr – also zu einer eher ungünstigen Sendezeit. Sind die | |
| Deutschen an komplexeren Formaten, in denen der Mörder eben nicht schon | |
| nach 90 Minuten gefunden wird, weniger interessiert? | |
| Nein. Aber man muss das deutsche Publikum fordern. Je mehr man das tut, | |
| desto besser die Produktionen. Im Herbst startet bei RTL die Serie | |
| „Deutschland 83“, in der ich eine Nebenrolle habe. Da geht es um Spionage | |
| im geteilten Berlin 1983. Das läuft gerade auf dem Sundance Film Festival | |
| und die Amis lieben es. Dann gab es vor Kurzem die internationale | |
| Koproduktion „The Team“, vier Folgen, ein durchgehender Fall im ZDF. Das | |
| kam allerdings auch um 22.15 Uhr. „Weissensee“ ist auch eine tolle Serie. | |
| Wir haben schon ein paar gute Sachen im deutschen Fernsehen. | |
| Was fehlt? | |
| Es gibt zu wenig Science-Fiction bei uns. Klar können wir visuell nicht mit | |
| den Amerikanern mithalten, aber uns fehlt allein das Gedankenkonstrukt. | |
| Gerade habe ich eine Kurzgeschichte von Isaac Asimov, einem der Urväter von | |
| Science-Fiction, gelesen. Da geht es um einen Physikprofessor, der ein ganz | |
| normales Leben mit seiner Frau führt, ohne Raumschiffe oder Aliens. Eines | |
| Tages entdeckt er, dass er schweben kann. Seine Welt bricht zusammen, denn | |
| das verstößt gegen die Gravitationsregel und alles, was er glaubt. Das ist | |
| eine ganz simple, aber meiner Meinung nach wahnsinnig spannende Idee. So | |
| etwas könnte in Deutschland ruhig mehr gemacht werden, aber hier tendiert | |
| man eher zum Realismus. | |
| Apropos Realismus. Bartholomäi, woher kommt eigentlich Ihr Nachname? | |
| Bartholomäus war der Apostel, der als Märtyrer lebendig gehäutet und | |
| anschließend kopfüber gekreuzigt wurde. Die Bartholomäusnacht war ein | |
| Massaker an französischen Protestanten während der Hugenottenkriege. | |
| Vielleicht kommt ja daher mein Hang zum Bösen. | |
| Und der wieder und wieder zu sein, langweilt Sie nicht? | |
| Langweilig wird es nie, jede Rolle ist anders. Aber ich versuche schon, | |
| weniger Mörderrollen anzunehmen. Dieses Jahr habe ich noch gar keinen Krimi | |
| gedreht, sondern eine Indie-Produktion und eine Theaterverfilmung, über den | |
| Sommer bin ich in Stuttgart und drehe eine Komödie. Ansonsten liegt das | |
| Jahr blank vor mir und füllt sich langsam. | |
| Macht Sie das nervös? | |
| Nein, früher schon, aber man gewöhnt sich daran. Das ist halt so in diesem | |
| Beruf. Ich finde es immer witzig, wenn die Leute sagen: „Schauspieler ist | |
| doch so ein unsicherer Beruf.“ Was ist denn schon sicher in der heutigen | |
| Arbeitswelt? Die meisten meiner Freunde arbeiten frei, hangeln sich von | |
| Vertrag zu Vertrag. Und für junge Leute in anderen Ländern sieht es noch | |
| viel schlimmer aus. | |
| Also bleiben Sie beim Film? | |
| Ich liebe das Medium Film, würde aber gern mal Theater spielen. Langsam | |
| fühle ich mich beim Film so angstfrei, dass ich gern testen würde, ob die | |
| Angst im Theater zurückkommt. Ich stelle es mir toll vor, wenn Zuschauer | |
| dir direktes Feedback für dein Spiel geben. Die Möglichkeit, am Ende eines | |
| Stücks mit einem Kohlkopf beschmissen zu werden, ist super. Ich meine: Wie | |
| weit kann ein Manager schon fallen? Auf ein 8.000- Euro-Gehalt? Furcht ist | |
| eine super Motivation. | |
| 2 Aug 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Christina zur Nedden | |
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