# taz.de -- Tierschutz versus Kunstfreiheit: Kein Platz für Papageien | |
> Kann Kunst die Gesellschaft verändern, ohne sich selbst aufzugeben? Nein, | |
> sagt eine brillante Ausstellung in der GAK - aber versuchen muss sie‘s. | |
Bild: Anetta Mona Chisa & Lucia Tkacova: Things in Our Hands, 2014 | |
BREMEN taz | Die Direktorin hatte einen Vogel, nein: zwei sogar. Jetzt hat | |
Janneke de Vries nur noch Pisse und LSD. Aber das macht nichts. Hier geht | |
es eh nicht um Effekthascherei. Nur der kryptische Titel „ah, soul in a | |
coma, act naive, attack“ hätte echt nicht sein müssen. Der schreckt ab. Was | |
schade ist! Denn diese Ausstellung ist eine der besten, die es in der | |
letzten Zeit in der [1][Gesellschaft für Aktuelle Kunst] (GAK) zu sehen | |
gab. | |
Eingeladen dazu hat die Direktorin das Künstlerinnenduo Anetta Mona Chisa | |
und Lucia Tkacova, die auch in Bremen schon mal zu sehen waren, mit | |
Pflastersteinen aus Porzellan. Ihnen geht es um eine große Frage der Kunst: | |
Kann sie die Gesellschaft verändern, ohne sich selbst instrumentalisieren | |
zu lassen? | |
Hier kommen nun Drogen ins Spiel, und Urin. Denn bevor am Ende, also dort, | |
wo anfangs die beiden Amazonas-Papageien saßen, der Neubeginn steht, wird | |
erst mal alles Bekannte über den Haufen geworfen: Sprache, Erziehung, | |
Kapitalismus. Dafür haben die beiden Künstlerinnen Geld eingeschmolzen, | |
dann, wie Kinder den Matsch, mit den Händen neu geformt, und auf Sockel auf | |
Schaumstoff gestellt. Gleich daneben stehen ein Totem aus gestapelten, auf | |
dem Grill geschwärzten Büchern sowie ein einzelnes Werk, von flüssigem LSD | |
aufgequollen und eben die erfreulich geruchsneutralen Gelatine-Pralinés, | |
für die die Künstlerinnen getrockneten Fliegenpilz in ihrem Körper | |
gefiltert haben. „Es ging ihnen richtig dreckig“, erzählt Janneke de Vries. | |
Hier taucht die erste Referenz an „Eiland“ auf, einen Roman von Aldous | |
Huxley, von seiner Dystopie „Brave New World“ wohl bekannt. „Eiland“ ist | |
zunächst ein positiver Gegenentwurf, doch auch diese Utopie endet finster. | |
Der völlige Kontrollverlust, auf den Anetta Mona Chisa und Lucia Tkacova | |
hinauswollen, wird im zweiten von drei Teilen der Ausstellungserzählung | |
ganz unmittelbar erlebbar. In einem schlichten Raum totaler Finsternis. | |
Natürlich ist das alles schon mal dagewesen – aber gerade darum geht es ja | |
auch: Jede Form von gesellschaftlichem Widerstand, den die Kunst formuliert | |
hat, ist am Ende gescheitert. Das ist die ernüchternde Grundthese. | |
Nun suchen die Künstlerinnen nach einem Neubeginn, jenseits des Bekannten. | |
Und hier wird es leider sehr vage. Und vogelig: Hier sollten die Papageien | |
den Raum bevölkern, dabei „Attention“, „Here and Now“ krächzen, also … | |
Achtsamkeit appellieren, noch so eine Referenz an Huxley. Aber Bremens | |
Veterinärdienst hat sie zurück in ihre Volièren gesperrt. In der GAK | |
durften sie frei fliegen, aber es fehlte der Rückzugsraum. Und dann - noch | |
schlimmer - dieser Teppich! Wenn der die Papageien nur halb so kirre macht | |
wie unsereinen, dann haben die Tierschützer wohl recht. Er ist eine Art | |
4D-Simulation, also der Versuch, das Zusammenspiel von Raum und Zeit | |
fassbar zu machen. Aber erstmal macht er einen ziemlich meschugge. | |
Ist der Tierschutz hier wichtiger als die Freiheit der Kunst? So hoch will | |
man den Konflikt nicht hängen. Der Teppich muss raus oder die Vögel, das | |
ist die Wahl, vor der die GAK stand. Dabei hatten sie eigens einen | |
Tiertrainer beauftragt, mit einer artgerechten Umsetzung der Idee. Am Ende | |
drohte das Papageienschutz-Centrum mit Anzeige. Es geht auch ohne Vögel. Am | |
Ende ist eh klar: Die destruktive Kraft der Kunst ist größer als ihr | |
utopisches Potenzial. Will sie die Gesellschaft zum Besseren wenden, | |
scheitert sie. Aber sie soll nicht aufhören, es zu versuchen. Um besser zu | |
scheitern. | |
Bis 31. Januar 2016 | |
7 Dec 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.gak-bremen.de | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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