| # taz.de -- Gabriel auf dem SPD-Parteitag: Der Dreiviertel-Vorsitzende | |
| > Bei seiner Wiederwahl fährt Sigmar Gabriel ein miserables Ergebnis ein. | |
| > Auch weil er sich mit der Linken in der Flüchtlingspolitik anlegt. | |
| Bild: Glücklich sieht er nicht aus: Sigmar Gabriel (links) mit Frank-Walter St… | |
| Berlin taz | 74,27 Prozent. Das ist ein Nackenschlag für Sigmar Gabriel, | |
| vielleicht schon eine Demütigung. Als die Versammlungsleiterin das Ergebnis | |
| bekannt gibt, ist vielen Delegierten der Schock anzusehen. Unsicher stehen | |
| sie auf, mit ernsten Mienen, fangen an zu applaudieren. Gabriel brummt am | |
| Rednerpult: „Ihr müsst nicht dagegen stimmen und dann aufstehen.“ Er wisse, | |
| dass er einigen nicht links genug sei. Jedem sei klar, was er wolle. „Jetzt | |
| ist mit Dreiviertelmehrheit in dieser Partei entschieden, wo es langgeht – | |
| und so machen wir das auch.“ | |
| Eigentlich sollte es ein SPD-Parteitag der Geschlossenheit werden. Drei | |
| Tage diskutieren rund 600 Genossen auf dem Berliner Messegelände. Sie | |
| bekräftigen den Kurs in der Flüchtlingspolitik, beschließen eine Offensive | |
| in der Familienpolitik, diskutieren über den Syrieneinsatz der Bundeswehr. | |
| Aber Schlagzeilen wird jetzt nur die Abstrafung des SPD-Chefs machen. | |
| Als Gabriel 2013 auf dem Parteitag gut 83 Prozent bekam, war das schon | |
| wenig – ein „ehrliches Ergebnis“ nannte er das selbstironisch. Zum | |
| Vergleich: Matthias Platzeck, der 2005 als Parteichef antrat, bekam das | |
| Rekordergebnis von 99,4 Prozent. Auch wenn das ein unfairer Maßstab ist, so | |
| ist doch unübersehbar: Ein großer Teil der SPD-Basis ist unglücklich mit | |
| diesem Vorsitzenden. | |
| Dabei hatte alles gar nicht schlecht ausgesehen. Gabriel ist ein guter | |
| Redner, einer, der Delegierte von den Stühlen reißen kann. 26 Seiten hat | |
| das Manuskript seiner Grundsatzrede, fast zwei Stunden spricht der SPD-Chef | |
| am Freitagvormittag. Er wirbt für seinen Kurs, Politik für die arbeitende | |
| Mitte der Gesellschaft zu machen. Er erklärt, dass damit keine elitäre | |
| Mitte gemeint sei. Die SPD müsse auch Nichtwähler ansprechen. Zu ihnen | |
| zählten Menschen, die hart arbeiteten, denen aber trotzdem für ein gutes | |
| Leben zu wenig übrig bleibe. „Um die müssen wir uns kümmern.“ | |
| Als Gabriel über Flüchtlinge spricht, kritisiert er die „dumme | |
| Obergrenzendiskussion“ der Union. Beifall rauscht auf. Gabriel könnte es | |
| dabei bewenden lassen, ein sicherer Punkt. Aber er setzt nach. Damit eines | |
| klar sei: „Ich bin dafür, die Geschwindigkeit des Zuzugs zu verlangsamen.“ | |
| Das ist ein mutiger Satz. Viele SPD-Linke glauben fest an das Ideal, alle | |
| Verzweifelten müssten kommen dürfen. | |
| Wie skeptisch die Partei ist, zeigte sich schon am Donnerstag in der | |
| Debatte über die Flüchtlingspolitik. Ein Satz im Leitantrag des Vorstands | |
| sorgte für Streit: „Über die Grenzen der Aufnahmefähigkeit zu sprechen ist | |
| für uns nicht das Ende der Willkommenskultur, sondern die Voraussetzung für | |
| ihren Erfolg.“ „Grenzen“, das ist das böse Wort, das einige nicht in dem | |
| Beschluss lesen wollen. „Lasst uns diesen Satz streichen“, ruft ein Juso | |
| unter Beifall. Gabriel hält eine engagierte Gegenrede. Das wird er tags | |
| darauf noch einmal tun, als ihn Juso-Chefin Johanna Uekermann attackiert. | |
| ## Ein Stopp von TTIP ist mit Gabriel nicht drin | |
| Die Attacke auf Uekermann wird ihn Stimmen gekostet haben. Goliath gegen | |
| David, das löst Reflexe aus. Er verschweigt den Delegierten nicht, welche | |
| linken Wünsche mit ihm nicht zu machen sind. Steuererhöhungen etwa, | |
| schließlich brächte dem Staat Wirtschaftswachstum mehr. Oder ein Stopp von | |
| TTIP. An diesen Stellen klatscht keiner im Saal. | |
| Gabriel, das ist in solchen Momenten unübersehbar, will führen. Aber ein | |
| Teil der Partei folgt nicht. Das sei etwas zu viel der Ehrlichkeit gewesen, | |
| vermuten manche SPDler. Trotz der Schwächung setzt Gabriel seine Inhalte im | |
| Großen und Ganzen durch. Der Antrag zur Flüchtlingspolitik wird – mit einer | |
| Abmilderung, die ohne das böse Wort auskommt –, mit großer Mehrheit | |
| angenommen. | |
| Eigentlich wollte Gabriel seiner Partei noch elegant beibringen, was er | |
| zuvor schon in Medien andeutete. Am Ende erzählt er eine Anekdote von zu | |
| Hause. Er habe Marie, seine dreieinhalbjährige Tochter, neulich abends ins | |
| Bett gebracht. Morgen früh müsse er wieder nach Berlin, habe er ihr | |
| erzählt. Marie fragte zurück: „Sag mal, wie lange musst du denn noch immer | |
| zu Angela Merkel fahren?“ „Keine Angst, nur noch bis 2017.“ Das sollte | |
| selbstbewusst klingen, als könne Gabriel Kanzler werden. Vielleicht wird | |
| auch ein Abschied daraus. | |
| 11 Dec 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
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