# taz.de -- Streifzug am Gender-Tag der COP21: Der kleine Unterschied | |
> Arme Frauen leiden besonders unter den Auswirkungen des Klimawandels. | |
> Zugleich profitieren sie stark von erneuerbaren Energien. | |
Bild: Demonstration zur COP21 in Bogotá am 29. November. | |
PARIS taz | Sie ist Ingenieurin für Maschinenbau und jetzt platzt ihr | |
förmlich der Kragen beziehungsweise ihr knallbuntes traditionelles Gewand | |
samt beeindruckendem Kopfputz aus geblümten Tuch. Bahijathu Abubakar ist | |
laut, lustig und herrisch. Die 49-Jährige koordiniert in nigerianischem | |
Umweltministerium das Programm für Erneuerbare Energien. Und jetzt möchte | |
sie auf dem Klimagipfel warmen Kakao trinken. Deshalb schickt sie Henry, | |
ihren persönlichen Assistenten, ebensolchen aufzutreiben. | |
Und dann legt Abubakar los. Sie ist Mitglied der rund 70-köpfigen | |
Delegation ihres Landes. Und ihr reicht es: „Wir brauchen Aktion. I am | |
tired of talk. Es muss Geld her aus den Industriestaaten, damit wir in den | |
Entwicklungsländern flächendeckend umweltfreundliche, saubere Energie | |
installieren können.“ Nigeria, Afrikas größter Öl- und Gasproduzent ist | |
gesellschaftlich stark gespalten: Es gibt eine kleine, extrem reiche | |
Oberschicht, über 60 Prozent der rund 170 Millionen Einwohner leben jedoch | |
von weniger als einem Euro pro Tag. | |
Abubakar ist Muslima und stammt aus der Großstadt Kaduna im Norden des | |
afrikanischen Landes. Nigerianische Ölbarone, die zusammen mit Shell | |
verantwortlich sind für die Umweltzerstörungen in Ogoniland im Nigerdelta, | |
zählen nicht zu ihren Fans, wie sie sagt. Abubakar ist überzeugt: Die | |
Erneuerbaren helfen in Nigeria besonders armen, benachteiligten Frauen dem | |
Klimawandel entgegenzutreten. | |
Nicht erst seit Paris ist bekannt, dass weltweit wirtschaftlich und | |
gesellschaftlich benachteiligte Frauen am stärksten unter dem | |
Temperaturanstieg und seinen Folgen leiden. In ländlichen Gebieten etwa | |
sind oft sie es, die allein für die Familie sorgen und körperlich die | |
Hauptarbeitslast tragen, deren Gesundheit am stärksten gefährdet ist, wenn | |
es zu Dürren und Überflutungen kommt. | |
## Die Mehrheit der Klimaflüchtlinge sind Frauen | |
Die Mehrzahl der Menschen, die schon heute wegen des Klimawandels ihre | |
Heimat verlassen, sind Frauen: 20 Millionen der 26 Millionen weltweit, | |
schätzt das [1][Women’s Environmental Network]. Werden Frauen speziell | |
gefördert dem Klimawandel entgegenzuwirken, etwa in Programmen zur | |
nachhaltigen Energiewirtschaft, so zeige sich, sagt Sabine Bock von | |
[2][Women in Europe for a Common Future] (WECF), „dass Frauen meist klüger | |
und nachhaltiger wirtschaften als Männer“. | |
Das stimmt auch für ein Modellprojekt in Papua Neuguinea, das auf dem | |
Gipfel-Gender-Tag am Mittwoch prämiert wurde. Tulele Peisa, übersetzt: „Wir | |
nehmen die Welle alleine“, heißt die melanesische Bürgerorganisation der | |
Carteret Inseln. Die Indigene Ursula Rakova leitet sie. Gestiftet hatte den | |
Preis die WGC, die [3][Women and Gender Constituency], die | |
UN-Beobachterstatus hat und in der sich weltweit 15 Frauen- und | |
Umweltverbände zusammengeschlossen haben. | |
Das Atoll der Carteret-Inseln, rund 1,5 Meter über dem Meeresspiegel | |
gelegen, wird unwiderruflich bis spätestens 2040 im Meer versinken. Es sind | |
meist die Frauen, die dort schon heute nicht mehr genug Lebensmittel | |
anbauen können, weil die Erosion der Eilande immer schneller vorangeht. | |
Effiziente Hilfe gibt es bis heute keine von der Regierung von Papua | |
Neuguinea, sodass sich Tulele Peisa auf Wunsch des Ältestenrates der Inseln | |
gegründet hat. | |
„Was tust du für deine Heimat?“, fragten die Ältesten Ursula Rakova. Die | |
gab ihren Job bei Oxfam auf und startete ein Umsiedlungsprogramm für die | |
insgesamt 2.600 InselbewohnerInnen, das speziell Frauenbelange | |
berücksichtigt. Die ersten acht Häuser für Familien sind auf der rund 86 | |
Kilometer entfernten Nachbarinsel Bougainville entstanden. Die ist | |
zumindest ob ihrer relativen Größe vorerst nicht vom Untergang bedroht. | |
„Frauen haben in unser matriarchalisch organisierten Gesellschaft auf dem | |
Carteret-Atoll zu viel Verantwortung und sie arbeiten zu viel“, erklärt | |
Rakova lebhaft und ihre Ohrringe in Form von pinken Mini-Eiffeltürmen | |
wippen. Auf Bougainville hat die 52-Jährige, die drei Kinder hat, eine | |
Kakao-Kooperative gegründet, in der meist Frauen arbeiten, auch die bereits | |
umgesiedelten der Carteret-Inseln. Bis ins neuseeländische Wellington, nach | |
Hawaii und Hamburg exportieren Rukova und ihr Team an kleine | |
Fairtrade-Unternehmen. | |
## „Gründlicher analysieren“ | |
Zurück auf den Gipfel. Fleur Newman, Programmkoordinatorin Gender und | |
Nachhaltige Entwicklung beim UN-Klimasekretariat in Bonn, steht in einem | |
sterilen, neonbeleuchteten Raum und lächelt. „Die Begeisterung bei | |
Genderfragen ist immer groß – auch bei Männern.“ Dann zwinkert sie mit | |
ihren flinken, wachsamen Augen: „Doch die entscheidenden Finanzzusagen der | |
Regierungen bleiben bis jetzt klein.“ Es brauche an Schaltstellen wie etwa | |
in Ministerien weltweit noch viel mehr Frauen als bisher. „Und wir müssen | |
gründlicher analysieren, warum und wie besonders Frauen vom Klimawandel | |
betroffen sind.“ | |
Immerhin heißt es schon mal bei den 17 nachhaltigen Entwicklungszielen, den | |
Sustainable Goals der UN, unter Punkt 5: Gender Equality, | |
Gleichberechtigung der Geschlechter. Und nochmal zurück zu Bahijathu | |
Abubakar aus Nigeria. Die Koordinatorin für Erneuerbare Energien im | |
dortigen Umweltministerium stammt aus einer Großfamilie, hat 21 Geschwister | |
und keine eigenen Kinder, dafür in zweiter Ehe einen Mann, der sie gerne | |
mehr zu Hause wüsste. „Aber ich bin halt eine ständige Handlungsreisende in | |
Sachen sauberer Energie.“ | |
Abubakars Haupteinsatzgebiet ist der ländliche und von Dürren geprägte | |
muslimische Nordosten und Nordwesten Nigerias, wo es “hot, hot, hot“ ist | |
und die Ernte mäßig. Feldarbeiterinnen müssen mittlerweile eine Stunde eher | |
morgens raus, weil ab 12 Uhr die Hitze unerträglich wird. Und sie können | |
ihre Ernte gerade mal einen Tag verwenden. „Früher haben die Frauen das | |
Obst und Gemüse eine Woche auf Märkten verkauft oder selbst genutzt. Heute | |
verfault es bis zum Abend.“ | |
Abubakars Ministerium fördert etwa mit Hilfe des Umweltprogramms der UN | |
Kooperativen von Frauen, die pro Dorf einen solarbetriebenen Trockener | |
bekommen, mit dessen Hilfe sie die Ernte länger frisch halten. Mehr als | |
zwei Millionen Frauen sind mittlerweile in solchen Initiativen organisiert. | |
Regelmäßig treffen sie sich, Expertinnen sprechen über den Klimawandel und | |
seine Folgen, beraten. Viele muslimische Bauern, so Abubakar, sahen das | |
zuerst mit Argwohn, waren gegen eine Beteiligung von Frauen außerhalb von | |
Feld- und Hausarbeit. Erst durch die von ihr eingeleitete Vermittlung durch | |
das geistige Oberhauptes der nigeranischen Muslime, dem Sultan von Sokoto, | |
begann ein Teil der muslimischen Männer umzudenken. | |
Bahijathu Abubakar wird immer wieder bedroht von Boko Haram. Sie macht | |
weiter, sie will, dass immer mehr Frauen ein Licht aufgeht, dass immer mehr | |
Frauen selbstbestimmt handeln – für ihr eigenes Leben und gegen den | |
Klimawandel. Egal welcher oder gar keiner Religion diese Frauen angehören. | |
„Love life“. Abubakar lächelt beherzt. Und jetzt endlich kommt auch ihr | |
Assistent Henry mit dem gewünschten Kakao for the lady! | |
10 Dec 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.wen.org.uk/#home | |
[2] http://www.wecf.eu/german/ | |
[3] http://womengenderclimate.org/ | |
## AUTOREN | |
Harriet Wolff | |
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