Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Entwurf für neues Prostitutionsgesetz: Der Idiotentest bleibt
> Eine Anmeldung als SexarbeiterIn soll zukünftig bundesweit gültig sein.
> Wer nach Ansicht der Behörden zu dumm ist, hat schlechte Karten.
Bild: Soll zukünftig bundesweit arbeiten dürfen: Eine Prostituierte sitzt in …
BERLIN taz | Mehr als ein Jahr haben SPD und CDU gebraucht, um sich auf
einen Entwurf für das neue Prostituiertenschutzgesetz zu einigen. Nun hat
das Frauenministerium unter Manuela Schwesig (SPD) Änderungen vorgenommen
und verkündet, in der alten Version werde das Gesetz nicht kommen. Die
Union tobt und fordert, der Koalitionspartner habe sich an getroffene
Vereinbarungen zu halten. Doch auch aus Sicht der SPD dürfte es Kritik am
neuen Entwurf geben. Immerhin formuliert dieser die generelle Ausrichtung
des Gesetzes um.
Die offensichtlichen Änderungen betreffen vor allem die umstrittene
Anmelde- und Beratungspflicht für SexarbeiterInnen. Diese soll nun
bundesweit gültig sein, statt auf einzelne Kommunen begrenzt.
Anmeldebescheinigungen sollen länger gültig sein. Wer über 21 ist, soll die
Bescheinigung elektronisch verlängern können. Die gesundheitliche Beratung
soll nur vor der ersten Anmeldung statt jährlich oder halbjährlich
stattfinden. Die Regelungen sollen erst zwei Jahre nach Verkündung des
Gesetzes in Kraft treten – vorher war dafür ein halbes Jahr vorgesehen.
Zudem soll „fehlende Einsichtsfähigkeit“ kein Grund mehr sein, die
Anmeldung zu verweigern. Gerade diesen Punkt hatten AktivistInnen und
SexarbeiterInnen scharf kritisiert und als „Idiotentest“ bezeichnet.
Fehlende Einsicht sei dem alten Entwurf nach anzunehmen, wenn etwa eine
„stark ausgeprägte Intelligenzminderung“ vorliege – frei übersetzt: Wenn
die Behörde der Meinung ist, eine Person sei zu dumm, um zu wissen, was sie
tut.
Doch ein genauer Blick zeigt: Die „fehlende Einsichtsfähigkeit“ ist nicht
gestrichen, sondern nur weniger prominent platziert. Etwas weiter hinten im
Entwurf steht nun, die Behörde habe unverzüglich die „zum Schutz einer
Person erforderlichen Schritte und Maßnahmen“ zu veranlassen, wenn sich
Anhaltspunkte dafür ergäben, dass „eine Person nicht über die zum eigenen
Schutz erforderliche Einsichtsfähigkeit verfügt“.
In der Gesetzesbegründung heißt es, dieser Absatz erfasse Konstellationen,
in denen „das Wohl einer Person in so gravierender Weise gefährdet
erscheint, dass auf behördlicher Seite eine Pflicht zur Veranlassung von
Schutzmaßnahmen ausgelöst wird“. Explizit verwiesen wird an dieser Stelle
auch auf Paragraf fünf – also auf die Gründe, eine Anmeldebescheinigung zu
verweigern. Die genaue Form der Schutzmaßnahmen wird nicht weiter
ausgeführt. Es liegt also im Ermessen der Behörden, ob eine Verweigerung
der Anmeldebescheinigung bei „fehlender Einsichtsfähigkeit“ unter
„erforderliche Schritte und Maßnahmen“ fällt.
## Keine Anmeldung für Schwangere
Auch schwangere Frauen sollen sich nicht anmelden dürfen. Zu groß sei die
in der Prostitution „typischerweise bestehende unverantwortbare Gefährdung
des Wohls des ungeborenen Lebens des Kindes“. Sollte eine Behörde die
Aussage einer Frau anzweifeln, kann sie eine ärztliche Bescheinigung oder
einen ähnlichen Nachweis fordern und die Erteilung der Bescheinigung bis
dahin aussetzen. Bei geschütztem Geschlechtsverkehr – den das Gesetz in
Form der Kondompflicht vorschreibt – ist das Infektionsrisiko von
SexarbeiterInnen allerdings nicht höher, als bei anderen Menschen mit einem
Sexualleben. Was der Entwurf in dieser Form vermittelt: Sex ist in der
gesamten Schwangerschaft prinzipiell gefährlich. Das ist schlicht falsch.
Es gibt eine noch viel grundlegendere Änderung am Gesetzesentwurf. Der
SPD-Bundestagsfraktion ging es von Anfang an darum, eine effektivere
Regulierung legaler Prostitution zu ermöglichen. So ist es auch im
Koalitionsvertrag festgehalten. Immer wieder betonte die SPD, eine klare
Trennung zu illegalem Menschenhandel sei unbedingt aufrechtzuerhalten. In
der Einleitung des Entwurfs für das Prostituiertenschutzgesetz heißt es
nun, das Gesetz biete die Möglichkeit, die „Kriminalität im Bereich des
Rotlichtmilieus insgesamt zurückzudrängen“. Das Gesetz diene der Abwehr
„erheblicher Gefahren“ für die „Gesamtheit der in der Prostitution täti…
Personen“.
Diese Gefahren sind laut Entwurf solche der Gesundheit und der Sicherheit,
aber eben auch des Menschenhandels – ein Aspekt, zu dem das
Bundesjustizministerium einen eigenen Gesetzesentwurf vorgelegt hat und der
genau dort richtig aufgehoben ist. Immerhin hat das Prostitutionsgesetz aus
dem Jahr 2002 erstmals rechtlich klargestellt, dass Sexarbeit nicht
sittenwidrig ist, sondern ein Gewerbe. SexarbeiterInnen sind also nicht per
se Zwangsprostituierte und Opfer von Menschenhandel – sondern in erster
Linie DienstleisterInnen.
29 Nov 2015
## AUTOREN
Dinah Riese
## TAGS
Prostitution
Gesetz
Familienministerium
Sexarbeit
Prostitution
Prostitutionsschutzgesetz
Prostituiertenschutzgesetz
Sexarbeit
Prostitution
Bordell
Große Koalition
## ARTIKEL ZUM THEMA
Prostitutionsgesetz in Frankreich: Freier sollen bestraft werden
Die französische Nationalversammlung hat erneut dafür gestimmt, Geldstrafen
gegen Freier zu verhängen. Doch das Prostitutionsgesetz muss nochmals in
den Senat.
Problematisches Prostitutionsschutzgesetz: Zweifelhafte Hilfe für Sexarbeiteri…
Das neue Prostitutionsgesetz verzögert sich, weil Union und SPD über die
Zielgruppe streiten. Hilft es gegen Menschenhändler – oder gerade nicht?
Geplantes Prostituiertenschutzgesetz: Geregelter Sex
Koalition will per Gesetz bessere Bedingungen für Prostituierte schaffen.
Lobbyverbände befürchten mehr Kontrolle als Schutz.
Neue Strafen für Bordellbetreiber: Wie sehen die Räume aus?
Die Koalition legt einen Entwurf zum Schutz von SexarbeiterInnen vor. Es
sieht Strafen vor für Verstöße von Prostituierten und Bordellbetreibern.
Verschärfung des Prostitutionsgesetzes: Nur mit Schein auf den Strich
Schwesig ändert den Entwurf fürs Prostitutionsgesetz im Sinne der Union.
Wer keine Anmeldebestätigung vorweisen kann, muss zahlen.
Kommentar Prostitutionsgesetz: Sexarbeit unter Kontrolle
Bezahlter Sex soll reguliert werden. Doch die neuen Regeln setzen auf
Zwang, statt auf Eigenverantwortung. Andere Lösungen wären denkbar gewesen.
Neues Prostitutionsgesetz: Nie mehr ohne Gummi
Das Kondom soll in der Sexarbeiter-Branche verpflichtend werden. Darauf
verständigten sich SPD und Union in einem Eckpunktepapier.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.