# taz.de -- Bücher zur Zukunft der Mode: Nachdenken über den Dress | |
> Mode findet sich nicht nur auf dem Laufsteg, sondern auch in den | |
> Universitäten. Vier Bücher über eine neue Wissenschaftsdisziplin. | |
Bild: Hier gäbe es sicherlich einiges zu analysieren: Lady Gaga auf der London… | |
Die Erneuerung in der Mode geschieht heutzutage nicht modisch, sondern | |
performativ. Das ist die These der Untersuchung „Modeschauen. Die | |
Behauptung des Neuen in der Mode“ der Kulturwissenschaftlerin Alicia Kühl. | |
Da die Zeiten, in denen genuin neue Mode gezeigt wurde, nach ihrer Analyse | |
spätestens in den 1960er Jahren vorbei waren, wird seither versucht, über | |
andere Wege etwas Neues zu kreieren und dabei spielen die Modenschauen, die | |
bekanntlich zu immer aufwändigeren Spektakeln geraten, eine wesentliche | |
Rolle. Das kann so weit gehen wie bei Alexander McQueen, der bekannte, er | |
konzipiere immer zuerst die Laufstegschau, erst danach entwickle er eine | |
Vorstellung der Kollektion. | |
Trotz der Autorität Alexander McQueens bedarf es einer substanziellen | |
Recherche, um die These zu stützen, und die liefert Alicia Kühl in aller | |
akademischen Ausführlichkeit. Von der Definition des | |
Untersuchungsgegenstands über die modetheoretischen Grundlagen der Studie, | |
einen Abriss der Geschichte der Modenschauen und der Hinterfragung des | |
Neuen in Modegeschichte und -theorie bis hin zu einer grundlegenden | |
Erörterung der Atmosphäre der Modenschau reicht das Themenspektrum. Dann | |
steht die These von der Mode als der Kopplung des immateriellen Neuen an | |
die Kleidung. Ein spannender Querschlag im Diskurs der Mode. | |
Alica Kühl ist auch in dem von Rainer Wenrich herausgegebenen Band | |
„Medialität der Mode. Kleidung als kulturelle Praxis. Perspektiven für eine | |
Modewissenschaft“, vertreten. Der Band erscheint in der von Gertrud | |
Lehnert, Kulturwissenschaftlerin in Potsdam, verantworteten Reihe Fashion | |
Studies im Transcript Verlag. Der Bielefelder Verlag, spezialisiert auf | |
knochentrocken Akademisches, hat durchaus sein Ohr am Puls der Zeit. | |
Wenige Bereiche wurden durch Digitalisierung, Internet und Social Media so | |
stark in Mitleidenschaft gezogen wie die Mode und die traditionellen Formen | |
ihrer Vermittlung. Diese Entwicklung analysieren 21 international | |
renommierte Autoren und Autorinnen. Eine der auffälligsten Veränderungen | |
allerdings hat nichts mit den vorgenannten Phänomenen zu tun: Die | |
zunehmende, weil überaus erfolgreiche Präsentation von Mode im Kunst-, | |
statt im Kunstgewerbemuseum. | |
## Mode trifft Theorie | |
Die längste Zeit undenkbar, feierte man(n) doch gerne das Geistige in der | |
Kunst, um gleichzeitig die Mode als weiblich und damit als verlogen und | |
oberflächlich zu schmähen: Wie kam es zu dieser Entwicklung? Valerie Steel | |
vom Fashion Institute of Technologies in New York sagt, dass mit Designern | |
wie Issey Miake, Yoshi Yamamoto und Rei Kawakubo von Comme des Garçons, die | |
in den 1980ern und 1990ern Furore machten, Kritikerinnen und Intellektuelle | |
begannen, einen anspruchsvollen Diskurs über die japanische Mode zu führen. | |
Die Herausbildung eines ästhetischen und theoretischen Rahmenwerks für das | |
Verständnis von Mode war ein Schlüsselkriterium, Mode als dem System der | |
zeitgenössischen Kunst zugehörig zu begreifen. | |
Inzwischen sucht sich der Modediskurs als Modewissenschaft in den | |
Universitäten zu etablieren. Bis heute sind es freilich noch Soziologie, | |
Kulturwissenschaften, Kunstgeschichte und Europäische Ethnologie, die sich | |
mehr und mehr dem Forschungsgegenstand Mode öffnen. Entsprechend heißt ein | |
von Gudrun M. König, Gabriele Mentges und Michael R. Müller herausgegebener | |
Reader „Die Wissenschaften der Mode“. | |
Unter der Vielzahl lesenswerter Beiträge zur Modernität der Mode führen | |
Annelie Lütgens, Leiterin der Grafischen Sammlung der Berlinischen Galerie, | |
mit „Mode als museale Inszenierung“ oder Ulrich Lehmann von der englischen | |
School of Fashion die Debatte über das Verhältnis Mode und Kunst fort. | |
## Nur die Werkbänke der westlichen Hemisphäre | |
Lehmann skizziert die Beziehungen zwischen Kunstmarkt und Modeindustrie, | |
die sich beide erstmals um 1850 in Paris herausbilden. Dabei, so seine | |
These, hat „die Mode bei der Formierung des Kunstmarkts eine sehr prägende | |
Rolle gespielt“. Um als Kunsthändler neuen Typs Erfolg zu haben, gilt es | |
einen breiteren Bedarf an Kunst zu schaffen, was über Verknappung geschehen | |
kann, aber mehr noch über die Akzentuierung des individuellen Künstlertums | |
und seines ihm zurechenbaren Stils. Diese Prämissen gab die Kleidermode | |
vor, so Lehmann, „die in der Moderne die Idee des Einzelnen als | |
selbstbestimmtes, aber nicht selbstbestimmendes Objekt in der Gesellschaft | |
und in der Ökonomie des Marktes zelebriert“. | |
Reflektiert wird in den Modewissenschaften und im anspruchsvollen | |
Modediskurs der Bereich des Designs und des Marketings, der vorausgehende | |
Herstellungsvorgang bleibt unterbelichtet. Die Textilarbeiter leben | |
unterprivilegiert in den ehemals kolonialisierten Ländern, die als | |
Werkbänke der westlichen Hemisphäre fungieren, wo die kreative | |
Wissensgesellschaft und ihre Designer sowie die Theorie zu Hause sind. | |
Darauf macht Barbara Schmelzer-Ziringer in ihrem Kompendium „Mode Design | |
Theorie“ aufmerksam. | |
„Die Entscheidung für eine Materialmodifikation hat nicht nur Auswirkungen | |
auf die Kollektionen, die auf dem Laufsteg zu sehen sein werden, sondern | |
wirkt global auf ökologische, ökonomische soziale und kulturelle | |
Kreisläufe“. Entsprechend ist die Thematik weit gespannt, Aspekte der | |
Kultur-, Kommunikations- und Medienwissenschaften, der Gender, Postcolonial | |
und Cultural Studies wie der Kunst- und Architekturtheorie, der Soziologie | |
und Philosophie spielen eine Rolle. | |
Glücklicherweise weiß Schmelzer-Ziringer klug zu hinterfragen. Sie dreht | |
gewissermaßen das Kleid der Vorannahmen und der Theorie um und schaut sich | |
die argumentativen Nähte an: Sind sie richtig gefertigt oder gehören sie | |
noch einmal aufgetrennt? Die Lektüre ist anregend und sehr instruktiv, man | |
kann auch sagen, ein Vergnügen. | |
29 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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