| # taz.de -- Die Wahrheit: Schnee, der auf Haufen fällt | |
| > Das winterliche Schneeschippen ist eine Bewährungsprobe für jede | |
| > Hausgemeinschaft – besonders wenn der Vermieter die Regie übernimmt. | |
| Bild: Die Rollatorschieber im Ruhrgebiet können bald richtig auf die Tube drü… | |
| Unsere Hausgemeinschaft besteht aus sieben Mietparteien und funktioniert | |
| vorbildlich. Der letzte Störenfried ist seit circa 2010 mausetot und wurde | |
| durch einen umgänglicheren Nachfolger ersetzt. Es herrscht ein erträglicher | |
| Geräuschpegel, außer wenn das junge Ding im Mittelgeschoss die Mädels zu | |
| Besuch hat. Die Treppen werden wöchentlich gewischt und die Kellerräume | |
| monatlich vom gröbsten Dreck befreit. | |
| Zuverlässig eingehende Beträge lassen unseren Vermieter an jedem Ersten des | |
| Monats an das Gute in der Welt glauben. Es ist die pure Idylle. Sie endet, | |
| wenn der erste Schnee fällt. Denn der Vermieter hat uns ein Angebot | |
| gemacht, das wir nicht ablehnen konnten. Kümmert euch gefälligst selbst ums | |
| Schneeschippen, sagte er – sonst stelle ich jemanden dafür ein. Und ihr | |
| Pfeifen zahlt extra. | |
| Extra zahlen wollten wir nicht. Wir begannen also, uns zu kümmern. Im | |
| ersten Jahr geschah das auf geradezu anarchische Weise. Wer Schnee sah und | |
| sich fürs Beseitigen zuständig fühlte, schritt zur Tat. Oder ließ es eben | |
| bleiben. | |
| Ein Herr im Parterre reagierte schon auf zaghaften Schneefall mit dem | |
| Verteilen einer Wagenladung Granulat. Das junge Ding aus dem Mittelgeschoss | |
| war der Ansicht, Schnee müsse sich bloß festtreten und taue ja eh | |
| irgendwann. Ich bin ein Mensch des Ausgleichs, mag keine Extreme und | |
| entwickelte darum die moderate Hundehaufen-Regel. Sie lautet: Schnee an | |
| sich ist eigentlich gar nicht so schlimm. Liegt er aber so hoch, dass der | |
| durchschnittliche Kackhaufen eines mittelgroßen Tiers davon bedeckt wird, | |
| die Gefahr des versehentlichen Hineintretens sich also erhöht, besteht | |
| Handlungsbedarf. Sonst nicht. | |
| Unser Vermieter, weniger anarchisch veranlagt als unsere muntere kleine | |
| Truppe, sah sich das eine Weile an und verfügte schließlich, dass es ein | |
| festes Regelwerk brauche. Die Konsequenz war ein strikt festgeschriebener, | |
| wöchentlicher Wechsel der Schneezuständigkeit. Brillant in der Theorie – | |
| ein Debakel in der Praxis: Es schneite in jenem Winter exakt eine Woche | |
| lang. | |
| Ausbaden musste es die tüdelige Alte nebenan. Weil allerdings das | |
| Sanitätshaus auf die Schnelle keine Schneepflug-Aufsätze für ihren Rollator | |
| beschaffen konnte, übernahmen die übrigen Mitglieder unserer | |
| Hausgemeinschaft den Schneejob nach Gutdünken, Laune und individueller | |
| Tagesform. Womit wir wieder bei der Anarchie waren. Na gut, die Sache mit | |
| dem Wochenplan sei gescheitert, erklärte der Vermieter zerknirscht. Er | |
| kündigte fürs Folgejahr ein neues Verfahren zur Schneeproblematik an. | |
| Wie das aussieht, erfuhren wir nun am Totensonntag. Es gibt jetzt die | |
| Schneekarte. Wer sie im Briefkasten findet, behält sie bis zum nächsten | |
| Schnee, räumt das Zeugs weg und wirft die Karte dem Nachbarn in den Kasten. | |
| Es wird sich zeigen, ob diese Methode taugt. Es sind schon weniger brisante | |
| Schriftstücke auf diesem Planeten, nun ja, „verschwunden“. Und apropos | |
| Planet: Ich vertraue darauf, dass die globale Erwärmung unser kleines | |
| Problem eines Tages löst. | |
| 8 Dec 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Milk | |
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