# taz.de -- Die Wahrheit: Immer diese Wissenslücken | |
> Es gibt da einige Unzulänglichkeiten, die einen das Leben lang begleiten. | |
> Und ausgerechnet der Telekom-Mitarbeiter muss einen mal wieder darauf | |
> stoßen. | |
Bild: Die Rollatorschieber im Ruhrgebiet können bald richtig auf die Tube drü… | |
Von der Außenwelt abgeschnitten zu sein, halte ich im Prinzip für einen | |
erstrebenswerten Zustand. Was ich allerdings an der Kundenhotline der | |
Deutschen Telekom erfuhr, hat mich dann aber doch überrascht und ein wenig | |
nachdenklich gestimmt. Ich hatte dort über mein Handy angerufen, um eine | |
Störung meines Festnetzanschlusses zu melden. Der Telekom-Mitarbeiter | |
teilte mir mit, ja ja, da gebe es eine kaputte Leitung in unserem Viertel, | |
Baustelle zwei Straßen weiter, zack, ein Bagger, schon andere Kunden hätten | |
angerufen, man kümmere sich bereits darum, blablabla ... | |
Aber, so der Telekom-Mann weiter, er wundere sich doch ein bisschen, dass | |
ich mich erst jetzt bemerkbar mache. Denn der Schaden bestehe schon seit | |
drei Tagen. Bäähm! Ich war entlarvt als Soziopath, der ewig lang nicht | |
mitkriegt, dass er gar kein Telefon zur Verfügung hat. Bitter. Wenigstens | |
war der Anruf bei der Telekom gebührenfrei. Es soll Leute geben, die zahlen | |
viel Geld dafür, vom Dienstpersonal gedemütigt zu werden. | |
Immerhin merkte ich diese Woche auch, dass ich in unserem Städtchen nicht | |
der Einzige bin, an dem einiges vorbeigeht. Bei meinem Stammdiscounter | |
beäugte mich eine Dame um die achtzig, während ich meine Einkäufe | |
verstaute. Die Alte guckte und guckte und fragte endlich: „Herr Milk?“ | |
Glückwunsch. Ich nickte. Wir würden uns doch aus der Kämerstraße kennen, | |
sagte die Alte. Von ganz, ganz früher! Ob es denn meinen Eltern gut gehe? | |
Für genau diese Situation hatte ich mir irgendwann einmal den Satz „Och, | |
denen geht’s eigentlich unverändert!“ zurechtgelegt. Aber ich wollte denn | |
doch halbwegs anständig antworten und erklärte wahrheitsgemäß, Mutter und | |
Vater seien seit Jahren tot. „Ach“, sagte die Alte. Und für dieses „Ach�… | |
taufte ich sie auf den Namen Frau Hoppenstedt. Denn wer sie tatsächlich war | |
– ich habe nicht die geringste Ahnung. | |
Die folgenreichste Wissenslücke meines Lebens liegt allerdings weit länger | |
zurück. 1985, Abiturprüfung am städtischen Gymnasium. Mathematik als | |
viertes, das heißt mündliches Prüfungsfach. Ich hatte eine Aufgabe der | |
Differenzialrechnung zu lösen. Dazu hätte es eine bestimmte Formel | |
gebraucht, die mir aber nicht einfiel. Meine Mathelehrerin gab sie | |
schließlich auf mein kleinlautes Nachfragen hin mit enttäuschter Miene | |
preis, sodass ich die Aufgabe lösen konnte, mir die Note aber versaut | |
hatte. Resultat: ein Abischnitt von 3,1. | |
Zumindest war damit meine berufliche Laufbahn schon früh vorgezeichnet. | |
Numerus-clausus-untaugliches Zeugnis, dazu im entscheidenden Moment keinen | |
Plan: also Journalist werden. | |
Einer meiner ersten Einsätze fürs Lokalblatt sollte mich ins Bürgerhaus | |
führen. Ich radelte los. Unterwegs hielt ein Kollege mit dem Auto neben | |
mir: Wo ich denn hinwolle? Bürgerhaus, hm, so, so. Da erfuhr ich, dass ich | |
zwar Kurs auf das Bürgerhaus genommen hatte, aber auf das im falschen | |
Stadtteil. Schon erwartete ich den Rauswurf, doch er kam nicht. Lag | |
womöglich an meinem stummen Telefon. | |
27 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Andreas Milk | |
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