# taz.de -- Umweltkatastrophe in Brasilien: Die Angst am Rio Doce | |
> Ein Bergwerksdammbruch in Minas Gerais sorgte für eine Katastrophe. Dort | |
> wurden die Sicherheitsstandards im Bergbau nun noch gelockert. | |
Bild: Schlamm, überall: Luftaufnahme des Ortes Bento Rodrigues in Minas Gerais. | |
BUENOS AIRES taz | „Der Fluss liegt im Sterben,“ sagt Sebastião Salgado | |
über die Folgen der Katastrophe am brasilianischen Rio Doce. Nie zuvor, so | |
der berühmte Fotograf, habe er so viele große tote Fische gesehen. Da es | |
ein nationaler Strom ist, 853 Kilometer lang und sehr breit, lebten hier | |
ungeheuer viele Fische. „Jetzt, da der Fluss stirbt, lernen wir die | |
kennen.“ | |
Am 5. November war ein Rückhaltebecken der Mine Samarco bei der Stadt | |
Mariana im südlichen Bundesstaat Minas Gerais geborsten. Die rund 60 | |
Millionen Kubikmeter Abfallschlamm mit einem noch unbekannten Gehalt an | |
Eisen, Quecksilber, Schwermetallen und Arsen der Mine Samarco rissen | |
zunächst das kleine Dorf mit, ergossen sich in den Rio Doce und erreichten | |
Hunderte Kilometer flussabwärts den Ozean. | |
Betroffen ist inzwischen eine Region größer als die Schweiz. Mindestens 13 | |
Menschen kamen bisher ums Leben, 40 werden noch immer vermisst. In den rund | |
230 Ortschaften entlang des Flussufers geht die Angst um, für 280.000 | |
Anwohner ist die Trinkwasserversorgung zusammengebrochen. | |
Experten warnen davor, dass die Auswirkungen noch hundert Jahre lang zu | |
spüren sein werden. Umweltministerin Izabella Teixeira spricht von 30 | |
Jahren. Der für Flora und Fauna tödliche Schlamm überzieht nun flussabwärts | |
der Unfallstelle den Grund des Rio Doce mit einer sich verfestigenden | |
Kappe, die alles erstickt. | |
## Weitreichende Folgen | |
Schon die Anzahl der Arten, die der Katastrophe unmittelbar zum Opfer | |
fallen, ist nicht zu zählen. Da der Beginn der Nahrungskette aus Algen, | |
Krustentieren und Insekten von Grund auf zerstört sei, dürfte auch mit | |
mittelbar katastrophalen Folgen für die Tier- und Pflanzenwelt zu rechnen | |
sein. Und was dies für das maritime Leben – dort, wo sich die Schlammmasse | |
in den Atlantik ergießt – bedeutet, ist noch offen. Neben den | |
Mangrovenwäldern sind Schildkröten, Delfine und Wale in Gefahr. | |
Die Regierung von Dilma Rousseff hatte erst eine Woche nach dem Dammbruch | |
reagiert. Per Dekret verfügte die Präsidentin, dass der Vorfall als | |
Naturkatastrophe eingestuft wurde: Damit konnte zumindest eine schnelle | |
finanzielle Hilfe aus dem dafür vorgesehenen staatlichen Fonds für die | |
unmittelbar Betroffenen bereitgestellt werden. | |
Allerdings erhielt das Ganze so fälschlicherweise den Anstrich einer | |
natürlichen Katastrophe, sagt Rechtsanwalt Danilo Chammas von der | |
brasilianischen Vereinigung der Betroffenen von Vale. Die NGO organisiert | |
seit sechs Jahren die von den Aktivitäten des Konzerns betroffenen | |
Personen. | |
Die Mine Samarco wird von dem Konsortium des brasilianischen | |
Bergbaukonzerns Vale und des englisch-australischen Unternehmens BHP | |
Billiton betrieben. Als Ursache für den Bruch geben die Betreiber ein | |
Erdbeben an, dessen Epizentrum in Chile lag. | |
Anwalt Chammas hält das für eine Ausrede: Bereits vor zwei Jahren seien in | |
einem technischen Untersuchungsbericht Schäden an den Dämmen des | |
Rückhaltebeckens aufgelistet und die notwendige Reparatur angemahnt worden, | |
so der Anwalt. Passiert sei das Gegenteil, so Joana Barros von der | |
Menschenrechts- und Umweltorganisation Fase. Auf die seit nunmehr zwei | |
Jahren fallenden Weltmarktpreise für Metalle hätten die Bergbauunternehmen | |
reagiert, in dem sie die Produktion ausweiteten und die Kosten senkten. | |
Gerade bei den Sicherungsmaßnahmen wurde gespart, so Barros. | |
## Wie ein Staat im Staate | |
Das Unternehmen Vale handle zudem wie ein Staat im Staat. Trotz seiner | |
Privatisierung in den 1990er Jahren seien die Verbindungen zwischen den | |
Vertretern von Staat und Parteien bestens und versorge die staatliche | |
Entwicklungsbank das Unternehmen reichlich mit günstigen Krediten. Gerade | |
in der vergangenen Woche habe das Parlament im Bundesstaat Minas Gerais die | |
gesetzlichen Bestimmungen für den Bergbau weiter gelockert anstatt diese zu | |
verschärfen, so Barros. | |
Der Widerstand gegen solche Minen ist schwer zu organisieren. Die Region | |
ist abhängig von den Bergbaufirmen: Sollte die Mine jetzt geschlossen | |
werden, könne man auch gleich den Ort Mariana dichtmachen, so Bürgermeister | |
Duarte Junior. 80 Prozent der Einkommen hängen an der Mine. | |
Sebastião Salgado, der beim Rio Doce eine Farm besitzt und dessen Instituto | |
Terra just einen Vorschlag zu Verbesserung der Situation des seit Jahren | |
unter mangelndem Wasserzufluss leidenden Rio Doce vorgelegt hatte, | |
bezifferte die notwendige Summe für die Instandsetzung auf 27 Milliarden | |
Dollar. Dagegen wirken die von Vale und BHP Billiton schnell versprochenen | |
260 Millionen Dollar sowie die angekündigten staatlichen Strafen in Höhe | |
von 175 Millionen Dollar wie Peanuts. Auch die medienwirksam von | |
Präsidentin Rousseff auf der Klimakonferenz in Paris am Montag angekündigte | |
Schadenersatzforderung von rund 5,3 Milliarden Dollar verblasst dagegen. | |
Danilo Chammas treibt noch eine weitere Sorge um. Flussaufwärts von Mariana | |
liegen noch weitere Auffangbecken der Mine Samarco. Deren Zustand sei so | |
bedenklich, dass als Vorsichtsmaßnahmen ein Stausee unterhalb der Becken | |
entleert wurde, um den Schlamm bei einem eventuellen Beckendurchbruch | |
auffangen zu können. | |
3 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
## TAGS | |
Brasilien | |
Bergbau | |
Umweltkatastrophe | |
Staudamm | |
Brasilien | |
Brasilien | |
Brasilien | |
Wale | |
Brasilien | |
Brasilien | |
Umweltkatastrophe | |
Brasilien | |
Brasilien | |
Palmöl | |
Brasilien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Hauptversammlung der Deutschen Bank: Aktivist*innen konfrontieren Banker | |
Organisationen werfen der Deutschen Bank vor, in Firmen zu investieren, die | |
Menschenrechte missachten. Jetzt wollen sie ihre Geschichte erzählen. | |
Minenkatastrophe hat ein Nachspiel: Mordanklage gegen Manager | |
19 Menschen starben, als in Brasilien die Mauer eines Klärschlammbeckens | |
brach. Die Staatsanwaltschaft sagt: kein Unfall, sondern Folge von | |
Profitgier. | |
Nach Giftschlamm-Unglück in Brasilien: 4,6 Milliarden Euro Strafzahlung | |
Die Regierung und das Bergbauunternehmen Samarco haben sich auf eine | |
Entschädigung geeinigt. Sie soll in den kommenden zehn Jahren geleistet | |
werden. | |
Schlammlawine in Brasilien: Kein Unglück, sondern ein Verbrechen | |
100 Tage nach der größten Umweltkatastrophe ist der Schlamm immer noch | |
allgegenwärtig. Die Unternehmer sollen zur Verantwortung gezogen werden. | |
Walforscher zu verendeten Pottwalen: „Fehlgeleitet durch den Lärm“ | |
Ölförderung, Militärübungen, Bauarbeiten für Windanlagen: Der Mensch macht | |
im Meer zu viel Krach und stört die Tiere. | |
Nach Giftschlamm-Unglück in Brasilien: Firmenvermögen blockiert | |
Die Bergbauunternehmen Vale und BHP Billiton sollen insgesamt 4,8 | |
Milliarden Euro für die Beseitigung von Umweltschäden sowie für | |
Schadensersatz hinterlegen. | |
Proteste in Brasilien: Jetzt für Rousseff | |
In mehreren Städten protestieren Zehntausende gegen die geplante Absetzung | |
von Präsidentin Dilma Rousseff. Zuvor demonstrierten bereits deren Gegner. | |
Nach Umweltkatastrophe in Brasilien: Kein Gift im Fluss nachweisbar | |
Die neuesten Wasserproben aus dem Rio Doce geben Anlass zu vorsichtiger | |
Entwarnung: Die Prüfer konnten keine giftigen Metallstoffe nachweisen. | |
Nach Schlammlawine in Brasilien: Rousseff attackiert Unternehmen | |
Die Schlammkatastrophe könnte die verantwortlichen Unternehmen teuer zu | |
stehen kommen. Präsidentin Dilma Roussef fand in Paris klare Worte. | |
Umweltkatastrophe in Brasilien: Schlammlawine erreicht das Meer | |
20.000 olympische Schwimmbecken voll Giftschlamm wälzen sich dem Meer | |
entgegen. Menschen sterben, Lebensräume sind zerstört. Die Regierung will | |
klagen. | |
Initiative von Indonesien und Malaysia: Eine Opec für Palmöl | |
Einen Rat für die Palmöl produzierenden Länder wollen Indonesien und | |
Malaysia einrichten. Damit wollen sie die Preise auf dem Weltmarkt | |
stabiliseren und Bauern stärken. | |
Umweltkatastrophe in Brasilien: 15 Meter dicker Schlamm | |
Ein Bergwerksdammbruch verursacht die größte Umweltkatastrophe in der | |
Geschichte Brasiliens. Nun sind die ersten Entschädigungen fällig. |