# taz.de -- Schlammlawine in Brasilien: Kein Unglück, sondern ein Verbrechen | |
> 100 Tage nach der größten Umweltkatastrophe ist der Schlamm immer noch | |
> allgegenwärtig. Die Unternehmer sollen zur Verantwortung gezogen werden. | |
Bild: Gewaltiger Schaden für Mensch und Natur: Auch die Fischerei leidet unter… | |
RIO DE JANEIRO taz | Eine beliebte Verkleidung beim diesjährigen Karneval | |
in Mariana war Schlamm. Einfach brauner, lehmiger Schlamm von Kopf bis Fuß. | |
Die Bewohner der kleinen historischen Stadt mitten im gebirgigen | |
Bundesstaat Minas Gerais erinnerten damit an die wohl größte | |
Umweltkatastrophe Brasiliens. | |
Vor hundert Tagen, am 5. November, brach der Damm eines Klärbeckens einer | |
Eisenmine im gleichnamigen Bezirk. Eine riesige Schlammlawine raste bergab, | |
begrub das Dorf Bento Rodrigues unter sich und verwüstete weite Teile der | |
Umgebung. Über 850 Kilometer weit floss der Schlamm durch zwei | |
Bundesstaaten bis zum Meer, legte wochenlang die Trinkwasserversorgung der | |
ganzen Region lahm und hinterließ eine ökologische Katastrophe. | |
17 Tote wurden in der Region Mariana geborgen, zwei Menschen werden noch | |
vermisst. Anwohner sprechen von weiteren Toten, die nicht in der | |
offiziellen Statistik auftauchen. Nach drei Monaten erhöht die Polizei nun | |
den Druck auf das Bergbau-Unternehmen Samarco, das die Eisenmine betrieb. | |
Es wird nicht mehr von einem „Unglück“, sondern von einem „Verbrechen“ | |
gesprochen: „Heute können wir sagen, dass die Unternehmen und ihre | |
Direktoren für das Geschehen verantwortlich sind und dass wir zur gegebenen | |
Zeit die kriminelle Verantwortung jedes Einzelnen ermitteln werden“, so | |
Rodrigo Bustamente von der Zivilpolizei in Minas Gerais. | |
Samarco gehört zu gleichen Teilen dem brasilianischen Minenkonzern Vale und | |
dem australischen Bergbaumulti BHP Biliton. Das Konsortium steht im | |
Verdacht, schon seit Längerem gewusst zu haben, dass der Damm nicht sicher | |
ist. Die Rede ist von Fahrlässigkeit oder Vertuschung. | |
Das Unternehmen weist das zurück: Zu keiner Zeit habe es Hinweise auf ein | |
bevorstehendes Unglück gegeben, „jede Spekulation über diesbezügliche | |
Kenntnisse unsererseits wird zurückgewiesen“, heißt es in einer Erklärung, | |
mit der Samarco auf die polizeilichen Ermittlungen reagierte. Kurz zuvor | |
waren vergangene Woche die Büros der Firma in Mariana und der Stadt Belo | |
Horizonte durchsucht worden. | |
## Düstere Bilanz nach drei Monaten | |
Die vorläufige Bilanz des Desasters nach drei Monaten fällt düster aus. | |
Allein im Bundesstaat Minas Gerais schätzt die Regierung die | |
sozioökonomischen Kosten auf rund 400 Millionen Euro. Über 320.000 Menschen | |
in 35 Städten und Ortschaften waren direkt von den fast 40 Millionen | |
Kubikmetern Schlamm betroffen. Hinzu kommen die ökologischen Schäden, die | |
bislang kaum zu beziffern sind. | |
Strittig ist zudem, inwiefern giftige Metalle mit der Schlammlawine | |
talabwärts gespült wurden. Während Anwohner von teils heftigen chemischen | |
Verschmutzungen sprechen, kam eine von der Bundesregierung beauftragte | |
Messung zu dem Schluss, dass Giftstoffe nur in geringer Menge freigesetzt | |
wurden. | |
Obwohl Samarco erste Entschädigungsleistungen gezahlt hat, monieren | |
Umweltschützer, dass die Aufräumarbeiten noch gar nicht richtig begonnen | |
haben. „Noch immer werden nur Notsituationen beseitigt, statt endlich einen | |
Plan zur Räumung des Schlamms insbesondere im Flussbett anzugehen“, | |
kritisiert Malu Ribeiro von der Stiftung SOS Mata Atlântica. | |
An die 5 Millionen Euro Schadenersatz soll Samarco bezahlen. Auch | |
Brasiliens Regierung kündigte vollmundig an, juristisch die Interessen des | |
Landes gegen die Bergbauindustrie zu verteidigen. Ökologen und viele | |
Betroffene in Mariana bezweifeln dies, denn die sozialdemokratische | |
Präsidentin Dilma Rousseff hält meist zu den Unternehmern – sei es beim | |
Streit über große Wasserkraftwerke oder bei der Vertreibung von Indígenas | |
oder Kleinbauern aus wirtschaftlichen Interessen. | |
12 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Andreas Behn | |
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