# taz.de -- Wider den Dumpinglohn: Einseitige Verhandlungen | |
> Wohlfahrtsverbände und Ver.di verhandeln in Hannover über einen | |
> Tarifvertrag für Altenpfleger. Die Arbeitgeber halten nichts davon. | |
Bild: Bis Jahresende einen Tarifvertrag in der Altenpflege? Daran glaubt keiner… | |
HANNOVER taz | Erstmals in Deutschland soll es in der Altenpflege einen | |
landesweiten Tarifvertrag geben, in Niedersachsen. Und anschließend soll | |
den, das ist zumindest der Plan der Beteiligten, Wirtschaftsminister Olaf | |
Lies (SPD) für allgemeinverbindlich erklären. Die Verhandlungen führen die | |
Gewerkschaft Ver.di und die Wohlfahrtsverbände. Am Donnerstag geht‘s in die | |
nächste Runde. Aber während ursprünglich bis Ende des Jahres die Sache | |
geklärt sein sollte, glaubt daran keiner mehr. „Wir haben Termine bis März | |
vereinbart“, sagt Gewerkschaftssekretärin Aysun Tutkunkardes. „Ein Ergebnis | |
werden wir am Donnerstag nicht haben.“ | |
Vor dem 10. Dezember wäre eine Einigung auch gar nicht sinnvoll. Denn am 10 | |
Dezember tagt der Tarifausschuss. Der soll darüber entscheiden, ob die am | |
17. Februar 2015 unterzeichnete Tarifvereinbarung für Azubis in der Pflege | |
für allgemeinverbindlich erklärt wird. Oder eben nicht. Und wenn das bei | |
den Azubis nicht klappt, bei denen es finanziell um wenig bis nichts geht, | |
dann wird bei den anderen Beschäftigtengruppen erst recht nichts draus. Und | |
dafür spricht viel: Zwar wünschen alle VerhandlungspartnerInnen die | |
Allgemeinverbindlichkeit, auch Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) tritt | |
mit einiger Vehemenz dafür ein. | |
Die Arbeitgeberverbände aber, in denen die privaten BetreiberInnen von | |
Pflegeeinrichtungen organisiert sind, laufen Sturm: „Wir lehnen dieses | |
Ansinnen ab“, stellt Steffen Ritter vom Arbeitgeberverband Pflege (AGVP) | |
klar. Und der konkurrierende Berufsverband privater Anbieter sozialer | |
Dienste (BPA) sieht das genauso: „Auch Ver.di geht es nicht um die | |
Auszubildenden“, unterstellt Henning Steinfhoff, der Leiter der | |
niedersächsischen BPA-Geschäftsstelle. Der Tarifvertrag für die sei „doch | |
nur vorgeschoben, um einen generellen Tarifvertrag durchzusetzen“. Dafür | |
werde es keine Rückendeckung geben. | |
Einen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich zu erklären, ist zwar seit 2014 | |
leichter geworden. Er muss nicht mehr, wie früher, für mindestens die | |
Hälfte der in diesem Beruf Beschäftigten ausgehandelt worden sein. | |
Allerdings: Im Tarifausschuss braucht der Antrag eine Mehrheit. Und in dem | |
sitzen von der Arbeitgeberseite eben nicht die Wohlfahrtsverbände, sondern | |
der Unternehmerverband, dem BPA und AGVP angehören, der Handels- und der | |
Handwerksverband. Ein Patt bedeutet Ablehnung. „Das wird ein heißer Ritt“, | |
bestätigt Ver.di-Sekretärin Tutkunkardes. | |
Die Ausgangslage ist komplex. Während die angestammten Wohlfahrtsverbände | |
und kirchlichen Träger durch finanziell schlagkräftige Dachorganisationen | |
und durchs Renommee erkennbare Wettbewerbsvorteile haben, sehen sie sich | |
bei der Entlohnung benachteiligt. Sie selbst sind Haustarifen in Anlehnung | |
an den öffentlichen Dienst verpflichtet. | |
Und Ver.di kämpft zwar für eine bessere Entlohnung, hat aber auch ein | |
starkes Interesse daran, überhaupt in dem wachsenden Feld einen Fuß in die | |
Tür zu kriegen: Der Organisationsgrad in der Altenpflege liegt bundesweit | |
bei gerade mal 15 Prozent. Das ist auch für den seit jeher eher | |
gewerkschaftsskeptischen Dienstleistungssektor unterdurchschnittlich. | |
Folgerichtig nutzt die Gewerkschaft die Flyer zu der | |
Tarifverhandlungspremiere auch zur Mitgliederwerbung. | |
Für Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) wiederum, die früher | |
hauptamtlicher Vorstand beim Paritätischen Wohlfahrtsverband war, geht es | |
in dieser Frage auch ums Prestige: Mehrfach hatte sie auf landesweite | |
Tarifverhandlungen gedrängt, und auch schon als sie 2014 den „Masterplan | |
soziale Gesundheitswirtschaft“ vorstellte, hat sie von „Dumpinglöhnen in | |
der Pflege“ gesprochen, die es zu bekämpfen gelte. | |
„Das ist alles heiße Luft“, ätzt diesbezüglich AGVP-Sprecher Ritter. Ihm | |
zufolge ist die Überlastung „Hauptproblem der Pflegebeschäftigten“. Und | |
daran lasse sich „per Tarifvertrag nur sehr bedingt etwas ändern“. Das | |
Instrument seiner Wahl wäre der Pflegeschlüssel, also die Bestimmung | |
darüber, wie viele Hilfsbedürftige eine Vollzeitkraft betreuen darf. Anders | |
als die Einmischung in die Tarifautonomie gehöre es zu den Aufgaben der | |
Sozialministerin diesen – in Absprache mit den Kommunen, die für die | |
Mehrkosten aufkommen müssten – festzulegen: „Niemand verbietet es Frau | |
Rundt, den Pflegeschlüssel zu erhöhen“, stellt Ritter klar. | |
Der sei nämlich in Niedersachsen so schlecht wie nirgends sonst. Dass | |
diesen Negativrekord Ostfrieslands Altenpfleger auch in Sachen Bezahlung | |
halten, lässt er nicht als Argument pro Tarifvertrag gelten. „Da sind die | |
Lebenshaltungskosten ja auch viel niedriger.“ | |
Tatsächlich hatte Rundt bei Amtsantritt ein ruiniertes Feld übernommen: So | |
hatte die Vorgängerregierung die Ausbildungsumlage 2004 abgeschafft, die | |
auch Betriebe ohne Lehrlinge zwingt, den Nachwuchs mitzufinanzieren – so | |
wie das in Hamburg, Bremen und auch Schleswig-Holstein üblich ist. Ab 2016 | |
gibt es diese Umlage auch wieder in Niedersachsen. Das Schulgeld, das | |
Azubis zahlen mussten, hat Rundt schon 2014 beseitigt. „Die politischen | |
Rahmenbedingungen sind verbessert worden“, stellt Ver.di-Frau Tutkunkardes | |
klar. Jetzt gehe es darum, „den Wettbewerb an dieser Stelle einzugrenzen“. | |
Der dürfe „nicht über die Personalkosten geführt werden“. | |
26 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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