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# taz.de -- Anschlagserie in Paris: Im Stadion
> Unsicherheit, Panik, Angst: Im Stade de France erlebt unser Autor, wie
> ein Spiel und seine ZuschauerInnen mit dem Unfassbaren konfrontiert
> werden.
Bild: Die Zuschauer auf dem Rasen des Stade de France.
Paris taz | Die Menschen rennen nicht mehr. Sie versuchen, ein wenig
Fassung zurückzuerlangen. „Es war ein Motorrad. Ich habe es euch gleich
gesagt, es war doch nur ein Motorrad.“ Der junge Mann, an dessen Backen die
aufgemalten französischen Nationalfarben vom Schweiß fast weggewaschen
sind, versucht sich und die anderen zu beruhigen. „Da war nichts, glaubt es
mir.“
Die Fans, die sich auf dem Weg vom Stadion zum S-Bahnhof St. Denis Stade de
France befinden, wirken gehetzt. Sie rennen nicht mehr und sind doch
rastlos. Sie wollen weg. Wohin? Nach Hause? Ins Hotel? Aber wie
hingelangen? „Das war eine Panik, hey, das war eine Panik!“, sagt eine
Frau.
Das Stadion ist schon fast leer, als ein Geräusch die Fans aufschreckt. Sie
rennen los. Die einen in die eine, die anderen in die andere Richtung. „Ins
Stadion“, ruft einer. Hunderte folgen ihm. „Die sind noch hier“, rufen
andere. Für die ist das Stade de France in den Minuten nach dem Abpfiff des
Freundschaftsspiels zwischen Frankreich und der deutschen
Fußballnationalmannschaft der gefährlichste Ort, den man sich vorstellen
kann. Die anderen suchen Zuflucht genau da. „Wenn es irgendwo sicher ist,
dann da, wo die Spieler sind“, vermutet einer. Am Ende haben es die
Menschen nicht unbedingt selbst in der Hand, in welche Richtung sie
gedrängt werden.
Durchatmen. Es zumindest versuchen. Und nachsehen, was es Neues gibt. Ein
Verletzter. Mehrere Tote. Dutzende Tote. Über Hundert Tote. Es waren noch
keine 20 Minuten gespielt, da war eine schwere Explosion im Stadion nicht
nur zu hören. Sie war zu spüren. Auch wenn ein paar Zuschauer johlten, wie
sie wahrscheinlich immer johlen, wenn jemand im Stadion einen Böller zündet
– es war zu spüren, dass das mehr war als Fanzündelei. Noch eine Explosion.
Wer das Stadion jetzt verlassen will, darf das nicht. Die Tore bleiben zu.
Was genau passiert ist, weiß niemand. Twitter und Newsportale schaffen
keine Klarheit. Schießerei in der Innenstadt. Geiselnahme. Noch eine
Schießerei. Selbstmordattentäter am Stadion.
## Bewaffnet, gepanzert
15 Minuten vor dem Abpfiff des Spiels darf das Stadion wieder verlassen
werden. Ein paar Ausgänge bleiben verschlossen. Die Polizei hat größere
Gebiete abgeriegelt. „Dahinten muss es gewesen sein“, sagt eine ältere
Frau, die ihre blau-weiß-rote Fahne längst zusammengerollt hat. Die
Schaulust ist nicht allzu groß. Die Lage ist zu ernst.
Ein Sportlehrer, der mit seiner Nachwuchsmannschaft das Spiel besucht hat,
versucht seine Kindergruppe zu sortieren. Die Kleinen werden sich noch
lange erinnern an diesen Abend und es ist ihnen zu wünschen, dass sie nie
mehr so viele Maschinenpistolen und Gewehre sehen müssen. Alles, was die
Polizei aufbieten kann, ist an diesem kriegerischen Abend bewaffnet und
gepanzert in Paris unterwegs.
Dann das Geräusch. Ob es wirklich ein aufheulender Motor war, der die Menge
in Panik versetzt hat, wird sich vielleicht nicht mehr klären lassen.
„Monsieur!“ Immer wenn ein Polizeibeamter einen aus dem Menge anspricht,
weil er den Sicherheitskräften zu nahe gekommen ist, durchzuckt es die
Fans. Polizisten leuchten mit Taschenlampen in die Menge. Wer den Strahl
mitten ins Gesicht bekommt, wird nicht gerade ruhiger. Blickt sich einer
um, folgen alle seinem Blick. War da was?
Wieder die Smartphones. Chat mit der Familie. Twitter. Viele
Sportreporterkollegen sind noch im Stadion. Später werden sie schreiben,
dass sie die ganze Nacht dort verbracht haben. Wie die Spieler der
deutschen Mannschaft. Die hatten am Nachmittag noch lustige Bilder aus der
Tennisanlage der French Open gepostet, nachdem im Mannschaftshotel der
Deutschen eine Bombendrohung eingegangen war. Was am Nachmittag noch
daherkam, wie die Auffrischung der Erinnerung an den Probealarm in der
Schule, war bitterer Ernst geworden.
## Einsteigen, aussteigen, einsteigen
Die Hektik im Presseraum kurz vor dem Abpfiff hat sich an diesem Abend
anders angefühlt als sonst. Schlechte Verbindung. Der Text geht nicht raus.
„Die stören das Internet“, ist sich einer sicher. Noten für Müller? Die
Spieler in der Einzelkritik? „Können wir die nicht weglassen?“, fragt einer
seine Redaktion. Niemand will sich mit Fußball beschäftigen. Oder doch? So
wie viele Fans, die sich mit dem Jubel über das späte 2:0 der Franzosen
noch einmal kurz abgelenkt haben vom Terror in der Stadt.
Da war den meisten im Stadion schon bewusst, dass sie Zeugen eines
schrecklichen Abends waren. Von dem war noch lange nicht alles bekannt.
Doch so viel immerhin, dass alle wussten: es ist noch nicht vorbei. Im
vollen S-Bahn-Zug, eineinhalb Stunden nach dem Abpfiff, herrscht
Ratlosigkeit. Noch eine Schießerei im Stadtzentrum, da, wo die S-Bahn
hinfahren soll. Doch die S-Bahn fährt erst mal nicht. Aussteigen. Wieder
einsteigen. Nochmal aussteigen. Und wieder einsteigen. Die Menschen folgen
den Anweisungen des Security wie Lämmer. Noch sind sie beschützt. Später
müssen sie ihre Wege alleine fortsetzen. Angst kriecht in die Waggons. „Was
heißt Grenzen dicht?“, fragt eine Frau mit einem Fanschal der deutschen
Mannschaft um den Hals. „Wir wollen nach Hause.“ Wie sie zu ihrem Hotel
kommen soll, weiß sie noch nicht.
„Ein paar Münzen, Monsieur, ich bitte Sie!“ Die Bettler vor dem Gare du
Nord werden in dieser Nacht besonders unfreundlich behandelt. Blaulicht,
Sirenen. Ein Krankenwagen, noch einer, eine ganze Kolonne rast da vorbei in
Richtung Platz der Republik. Die Bettler vielleicht noch nicht, sonst
wissen alle von dem Massaker beim Rockkonzert im Bataclan. Die
Straßenjungs, die sich anbrüllen, weil irgendwer irgendetwas Schlechtes
über die Mutter gesagt hat, mögen an anderen Abenden furchteinflößend
wirken. In dieser Nacht, in der alle ganz besonders schnell gehen, ist ihr
Geschrei ein harmloses Hintergrundgeräusch. Wie weit ist es noch nach
Hause? 300 Meter noch. Alles gut? Nein. Es ist alles noch viel schlimmer.
Der Fernseher läuft. Der Nachtportier sagt: „Gute Nacht!“ Er zuckt die
Schultern. Er weiß. Und weiß es doch nicht.
14 Nov 2015
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
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