# taz.de -- Gewerkschaft der Gefangenen: Arbeitskampf im Knast | |
> Ihre Heroinsucht hat Anja Meyer hinter Gitter gebracht. Auch dort wird | |
> gearbeitet. Sie organisiert Mitgefangene in einer Gewerkschaft. | |
Bild: Trostloser Knastalltag: „Hier drin ist es eine Welt für sich“. | |
WILLICH taz | Wenn Anja Meyer Besuch bekommt, sitzt sie hinter einer | |
Trennscheibe aus Glas. Oder eine Gefängnisangestellte bewacht sie. Mit | |
ihren kurzen braunen Haaren, der kräftigen Statur und dem Tattoo am Hals | |
wirkt Meyer burschikos. Sie spricht mit fester Stimme: „Im Knast nehmen sie | |
einem alles.“ | |
Eine Spur Hilflosigkeit dringt durch den Lautsprecher in den Besucherraum | |
des Gefängnisses. Aber Anja Meyer hat beschlossen, zu kämpfen. Sie ist die | |
Sprecherin der Frauensektion der Gefangenen-Gewerkschaft. „Es ist an der | |
Zeit, uns für unsere Rechte im Gefängnis stark zumachen“, sagt die | |
41-Jährige. | |
Die bundesweite Gefangenen-Gewerkschaft hat sich im Mai 2014 im Berliner | |
Gefängnis Tegel gegründet. Rund 600 Inhaftierte in 45 Knästen wollen auf | |
die Arbeitsverhältnisse hinter Gittern aufmerksam machen. Sie fordern den | |
Mindestlohn und Beiträge zur Rentenversicherung für Knastarbeit. | |
Die meisten Gefangenen in Deutschland müssen arbeiten. Sie verdienen | |
maximal 1,87 Euro die Stunde. Die von ihnen hergestellten Produkte gehen an | |
Behörden, Schulen oder Gerichte, aber auch an Unternehmen. Konzerne wie | |
Mercedes- Benz und BMW profitieren von der Arbeit der Inhaftierten. Da für | |
sie keine Rentenbeiträge gezahlt werden, droht ihnen Altersarmut. Deshalb | |
prüfen die Länder zurzeit eine Rentenversicherung für Gefangene. | |
„Hier drin ist es eine Welt für sich“, sagt Meyer. „Jemand, der noch nie… | |
Knast war, kann sich nicht vorstellen, wie das ist.“ Hier drin, das ist die | |
Justizvollzugsanstalt (JVA) Willich II, das einzige Frauengefängnis in | |
Nordrhein-Westfalen. Der Betonbau ist modern, massiv und einschüchternd. | |
Stacheldraht, Gitterstäbe, Kameras und hohe Mauern riegeln die Frauen vom | |
Alltag in Willich ab, der Stadt zwischen Krefeld und Mönchengladbach. 153 | |
Frauen sind hier inhaftiert. 65.000 Menschen sitzen in der Bundesrepublik | |
hinter Gittern. Nur knapp 6 Prozent davon sind Frauen. | |
## Zum dritten Mal im Gefängnis | |
Für drei Jahre und sieben Monate ist Anja Meyer eine von ihnen. | |
Aufgewachsen ist sie in einer gut situierten Familie in Gelsenkirchen. Als | |
sie 14 Jahre alt war, starb ihre Mutter. Seit der neunten Klasse ging sie | |
nicht mehr zur Schule, sie kiffte mit Freunden. Mit 17 wollte sie eine | |
Lehre zur Bäckerin beginnen und mit dem Kiffen aufhören. Prompt hatte sie | |
Schweißausbrüche, Gliederschmerzen, musste erbrechen – sie wäre krank, | |
dachte sie. Aber ein Freund erklärte ihr: „Das ist keine Grippe. Du bist | |
auf Entzug.“ Sie hatte kein Hasch-Öl, wie sie dachte, sondern Heroin | |
geraucht. „Hätte der mich doch im Glauben gelassen, ich hätte Grippe“, sa… | |
sie heute. Von dem Moment an, vor 24 Jahren, hatte sie dafür gesorgt, dass | |
sie sich nicht wieder so fühlte. | |
Heute sitzt sie zum dritten Mal im Gefängnis wegen | |
Beschaffungskriminalität, wegen Einbruch und Diebstahl. Aus Kaufhäusern und | |
Lagerräumen habe sie geklaut. Davor hat sie trotz ihrer Drogenabhängigkeit | |
in einem Hotel gearbeitet. Sie erzählt ihre Geschichte schnörkellos, | |
authentisch. „Eine Zeit lang schafft man, das Leben nebenher noch zu leben, | |
aber irgendwann ist das um“, sagt Meyer. „Die Sucht steuert einen.“ 400 b… | |
500 Euro hatte Meyer pro Tag für Heroin ausgegeben. | |
## Gegen Drogensucht und für bessere Arbeitsbedingungen | |
60 Prozent der weiblichen Gefangenen in Deutschland habe ihre Drogensucht | |
ins Gefängnis gebracht, schätzt die Anstaltsleiterin der JVA Willich II, | |
Ulrike Böhm. Also Verurteilungen wegen Drogenbesitzes oder | |
Beschaffungskriminalität. Viele Drogenabhängige kommen laut Böhm immer | |
wieder ins Gefängnis. Eine Untersuchung der niedersächsischen | |
Forschungsstelle zu Frauenkriminalität zeigt, dass etwa 50 Prozent nach | |
ihrer Haftentlassung früher oder später wieder straffällig werden. | |
Vor acht Jahren, mit 33, kam Meyer das erste Mal hinter Gitter. Mit 34, | |
nach ein paar Monaten in Freiheit, saß sie bereits zum zweiten Mal im | |
Knast. Anschließend war sie ein paar Jahre draußen. Seit zwei Jahren ist | |
sie wieder im Gefängnis. Sie holt ihren Schulabschluss nach. | |
Mit ihrer Sucht wird Meyer wohl immer zu kämpfen haben: Nein zu sagen fällt | |
schwer. Selbst im Gefängnis. Aber sie kämpft nicht mehr nur dagegen, | |
sondern auch für bessere Arbeitsbedingungen im Knast. Das macht Anja Meyer | |
stolz: Rund ein Drittel der Insassinnen der JVA Willich II, knapp 60 | |
Frauen, haben sich inzwischen der Gewerkschaft angeschlossen. In einem Jahr | |
und sechs Monaten wird Meyer ihre Strafe abgesessen haben. Dann will sie | |
eine Therapie beginnen. Und Gefangenen-Gewerkschafterin bleiben: „Das ist | |
eine Aufgabe, die ich mit nach draußen nehmen werde.“ | |
29 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Meriem Strupler | |
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