# taz.de -- Narrative nach den Anschlägen von Paris: Give Peace a Chance | |
> Nach den Attentaten in Paris wird so viel über Krieg geredet – und was | |
> ist mit dem Frieden? Wer nimmt das Wort in den Mund? | |
Bild: Immerhin, eine Skizze des Eiffelturms, als Peace-Zeichen dargestellt, wur… | |
Seit den terroristischen Anschlägen des Islamischen Staates in Paris ist | |
vielfach das Wort „Krieg“ zu hören: Frankreichs Präsident François Holla… | |
spricht von „Kriegsakt“. Der französische Premierminister Manuel Valls | |
sagt. „Ja, wir sind im Krieg.“ Der Papst meint, „der dritte Weltkrieg“ … | |
begonnen. Der deutsche Präsident Joachim Gauck spricht davon, dass die | |
Attentate eine „neue Art von Krieg“ seien. | |
Die Medien übernehmen die Kriegsrhetorik. „Weltkrieg“ titelt die FAS. | |
„Frankreich erklärt Islamismus den Krieg“, schreibt der Tagesspiegel. | |
„Krieg“ titelt die Bild in riesigen Lettern und klein darunter: „gegen | |
unsere Art zu leben“. Und was ist mit dem Frieden? Wer nimmt das Wort in | |
den Mund? | |
Immerhin, eine Skizze des Eiffelturms, als Peace-Zeichen dargestellt, wurde | |
in Windeseile populär. Das Gute: Es ist ein Zeichen. Aber eines, das nun | |
nicht mit einer Forderung nach Frieden in Verbindung gebracht wird, wie es | |
das Peace-Zeichen doch nahelegt, sondern durch die Abbildung des | |
Eiffelturms mit Terror. Und? | |
Die Reaktionen der Politiker auf das Attentat forcieren die Kriegsdynamik. | |
Frankreich bombardiert den IS in Syrien verstärkt. Das ist Krieg. Oder? Und | |
die USA vermelden, dass sie einen IS-Führer eliminiert haben. Das ist | |
vielleicht kein Krieg, obwohl mit kriegerischen Mitteln inszeniert. Aber | |
niemand sagt: Wir machen jetzt Frieden. – Der Einbruch an den Börsen blieb | |
bisher auch aus. Einige vermuteten ihn. Warum nur? Waffengeschäfte sind gut | |
für die Rendite. | |
## Für Frieden auf die Straße gehen | |
Die Friedensbewegung hat eine lange Tradition. Vor 200 Jahren, 1815, gab es | |
in den USA die erste nationale Friedensgesellschaft, weitere folgten in | |
anderen Ländern. Viel Zulauf hatte die Friedensbewegung im Kalten Krieg und | |
nach dem Nato-Doppelbeschluss, der die Stationierung von Atomwaffen in | |
Westeuropa ermöglichte. Aber auch als sich abzeichnete, dass George W. Bush | |
nach den Attacken auf das World Trade Center 2001 den Irakkrieg wollte, | |
gingen weltweit Millionen für den Frieden auf die Straße. Jetzt nach den | |
Attentaten in Paris: nichts. Bisher nur ein verhaltenes Dementi der | |
katholischen Friedensorganisation Pax Christi: Die Attentate seien keine | |
Kriegserklärung, sondern ein Verbrechen. Immerhin widerspricht sie so auch | |
dem Papst. | |
Den Frieden denken: es ist so kompliziert geworden. Weil die Weltlage | |
kompliziert ist. Weil Kriege dort und Flüchtlingsbewegungen hier | |
deckungsgleich geworden sind. Weil Reichtum da und Armut dort nicht mehr zu | |
trennen sind. Weil das Primat der Wirtschaft und die Schwäche der Politik | |
offengelegt sind. Wer Frieden schaffen will, muss viel durchschauen. | |
Am Wochenende war der Friedensforscher VamikVolkan in Berlin. Volkan, | |
bereits viermal für den Friedensnobelpreis nominiert, ist Psychoanalytiker. | |
Volkan analysiert die Psychodynamik von verfeindeten Großgruppen. Er | |
versucht also, aggressive Handlungen oder die Bereitschaft zu aggressiven | |
Handlungen durch psychoanalytischen Spürsinn mit Identitätsbildung zu | |
verknüpfen und sie über diesen Umweg zu verstehen. Einmal verstanden, und | |
das mag Old-School-mäßig daherkommen, soll Aggression im Gespräch | |
transformiert werden. Frieden, das ist, was kaum überrascht, in erster | |
Linie demnach Dialog. | |
Volkan nutzt gerne eine Zeltmetapher, um zu verdeutlichen, wie die | |
Identität einer Großgruppe entsteht. Im Zelt sind viele Leute einer | |
bestimmten Gruppe, beispielsweise Menschen eines Landes. Normalerweise, so | |
argumentiert er, nehmen sich die Leute im Zelt nicht als Menschen eines | |
Landes wahr, sondern jeder nach seinen Vorlieben, etwa als Vegetarier oder | |
als Mutter oder als Taxifahrer. Wird das Zelt aber von außen mit Dreck | |
beworfen, von außen angegriffen, sehe man sich nicht mehr in seiner je | |
einzelnen Identität, sondern in seiner Gruppenidentität angegriffen. | |
## Plötzlich kommt das Wir-Gefühl | |
Etwas in der Art passiert gerade in Europa. Europa ist eigentlich kein | |
Konstrukt mit einer gemeinsamen Identität, da es ausschließlich aus | |
wirtschaftlichen Interessen zu einer EU verschweißt wurde. Sobald es Krisen | |
gibt wie die Flüchtlingsbewegung, zeige sich dies, und das Konstrukt fällt | |
auseinander. Durch die Ereignisse in Paris aber wurde – so wird das unisono | |
interpretiert – das europäische Zelt angegriffen. Und plötzlich ist das | |
Wir-Gefühl da. Es ist ein kindhaftes Wir, weil es außer dem Angriff kaum | |
identitätsstiftende Gemeinsamkeiten, die als solche auch erlebt werden, | |
hat. Reaktion kommt da wenig überraschend vor Dialog. | |
Aber, kann man einwenden, der IS will auch keinen Dialog. Der IS will | |
Gewalt. Nur, der IS ist das Symptom. Die Ursachen sind auf Zusammenhänge | |
zurückzuführen, für die die europäischen Länder durchaus mitverantwortlich | |
sind und die sie beeinflussen könnten: ungleiche Verteilung von Ressourcen, | |
Armut, Ausbeutung. | |
Ein wenig Hoffnung gibt es: [1][Die internationale Syrienkonferenz], auf | |
der derzeit viel geredet wird, soll den Frieden nach Syrien bringen. | |
17 Nov 2015 | |
## LINKS | |
[1] /Syrienkonferenz-in-Wien/!5242713/ | |
## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
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