# taz.de -- Nach den Anschlägen von Paris: Die Angst vor dem Draußen | |
> Lieber nicht am Hauptbahnhof umsteigen? Die Furcht vor einem Anschlag | |
> begleitete mich jahrelang. Jetzt, nach dem Blutbad in Paris, ist sie weg. | |
Bild: Winter, Gllitzer, Menschenmassen. Ein „weiches Ziel“? | |
Es gibt Sätze, die hängen bleiben. Einen davon sagte ein Freund vor fünf | |
Jahren. Gerade war der Bundesinnenminister an die Presse getreten und hatte | |
vor konkreten Anschlagsplänen gewarnt. In Deutschland. In Berlin. | |
„Wenn ich so ein irrer Dschihadist wäre“, überlegte der Freund abends beim | |
Bier, „dann würde ich mir einen Weihnachtsmarkt aussuchen, am besten einen | |
mit Rummel. Oder einen dieser großen Konzertschuppen. Damit hätte ich alles | |
getroffen, was ich am Westen hasse.“ | |
Einen Zyniker nannte ich den Freund. Warum in Angstlust schwelgen, wenn | |
doch das Risiko, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, objektiv klein | |
sei und unbeherrschbar? | |
Und doch ging ich in jenem Jahr nicht zum Weihnachtsmarkt. Und ertappte | |
mich dabei, dass ich an kleineren Bahnhöfen umstieg statt an den großen | |
Drehkreuzen Hauptbahnhof und Alex. Risikominimierung. Nach außen hätte ich | |
das niemals zugegeben. Aber manchmal, wenn ich mich in einer Menge bewegte, | |
spürte ich ein Ziehen im Bauch: Was, wenn jetzt hier ...? Und im Kino | |
suchten meine Augen unauffällig den Notausgang. | |
## Paranoia in der U-Bahn | |
Soll man den neuen James- Bond-Film lieber in einem versteckten | |
Programmkino sehen statt im Multiplex am Alex? Kann man mit den Eltern auf | |
die Reichstagskuppel steigen? Solche bangen Fragen stellen sich auch jetzt | |
wieder, nach den Anschlägen in Paris. Es heißt zwar immer: bloß keine Angst | |
zeigen! Rausgehen! Damit „die“ nicht gewinnen. Doch das ist leichter gesagt | |
als getan, wenn einen urplötzlich im voll besetzten U-Bahn-Waggon die | |
Paranoia anfällt, weil da zwei Typen losrennen, einer mit einem Rucksack. | |
Vor fünf Jahren ließ mein Angstgefühl bald wieder nach. Niemand kann | |
permanent in Alarmbereitschaft leben. Und es war ja nichts passiert. Das | |
öffentliche Leben ging weiter, die schwer bewaffneten Polizisten standen | |
bald nicht mehr am Hauptbahnhof. Und ich hörte auf, nach den grünen | |
Notausgangsschildern zu suchen. | |
Nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo im Januar war das Ziehen im Bauch | |
wieder da. Es begleitete mich morgens, wenn ich mit der taz in der Hand aus | |
dem Haus trat. Wenn ich an den Polizisten vorbeimusste, die das Gebäude | |
unserer Redaktion bewachten. Diesmal war es ein anderes Ziehen: viel mehr | |
Wut als Angst. Dass ich als Redakteurin möglicherweise zum erstem Mal real | |
gefährdet war, spielte plötzlich keine Rolle mehr. | |
Im Gegenteil: Ich war stolz auf meine KollegInnen, die sich nicht | |
einschüchtern ließen. Von Leuten, die Menschen mit konträrer Meinung | |
einfach umbrachten. Dieser Menschenhass, gepaart mit einer | |
Steinzeitideologie, der sich in Paris manifestierte, befreite mich von | |
meiner Furcht. Aus einer diffusen, schicksalhaften Bedrohung (“Es kann | |
überall passieren“) war der Ärger darüber geworden, persönlich angegriffen | |
zu werden. Meinungsfreiheit, Bewegungsfreiheit, Menschlichkeit – mir ist | |
das wichtiger als Religion. Nehmen soll mir das keiner. | |
## Nach Paris ist meine Angst weg | |
Jetzt, nach dem zweiten Blutbad in Paris, habe ich komischerweise kaum noch | |
Angst. Obwohl mit jedem neuen Anschlag die statistische Wahrscheinlichkeit | |
steigt, dass es auch Berlin trifft. Verhindern kann ich das nicht, auch | |
wenn ich mich noch so vorsichtig durch die Stadt bewege. Und Berlin ist | |
eben doch nicht Paris. Also denke ich nicht zweimal darüber nach, ob ich am | |
Potsdamer Platz ins Kino gehe. Oder mit den Kindern zum Alex. | |
Denn mir ist klar geworden: Wir sind im Krieg. Geführt von irrationalen | |
„Kriegern“, die Schiiten, russische Urlauber oder französische Fußballfans | |
abknallen und sich hinterher eine Rechtfertigung dafür basteln. Man weiß | |
nicht, wo sie als Nächstes zuschlagen werden. Und ich weigere mich, darüber | |
nachzudenken. Statt „was wäre, wenn“ denke ich: „dann sollen sie halt | |
kommen“. | |
Das ist kein Defätismus, sondern rationales Denken: Die Abwehr von Gefahren | |
ist Sache der Profis: Polizei, Justiz,Geheimdienste müssen jetzt tun, was | |
sie können, um das Schlimmste für Berlin zu verhindern. Ich aber gehe | |
weiter in Bars. Und wenn am Potsdamer Platz bald wieder diese unsägliche | |
„Winterwunderwelt“ ist, werde ich mit den Kindern auch dorthin gehen. Was | |
denn auch sonst? | |
16 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Nina Apin | |
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