# taz.de -- Kommentar Worte in der Politik: Reden ist Gold | |
> Angela Merkel darf man nicht nur an den verschärften Asylgesetzen messen. | |
> Das wäre kleinlich und würde die Wirkung ihrer Worte verkennen. | |
Bild: Angela Merkel setzt ihr Ansehen und ihr Amt ein, um die Illusion von Absc… | |
Die Kanzlerin redet schön, aber handelt hässlich. Sie hat – frei nach Karl | |
May – Honig auf den Lippen, aber Galle im Herzen. Doch das ist eine | |
Erzählung, die in die Irre führt. Sie hilft Horst Seehofer und schadet den | |
Geflüchteten. | |
Ja, es ist richtig, dass viel an den neuen Asylgesetzen der alten | |
integrationsfeindlichen Abschottungslogik der Neunziger folgt; | |
beispielsweise der Plan, an die Stelle von eigenem Geld eine entwürdigende | |
Sachleistungsbürokratie zu setzen. Aber es ist kleinlich, Merkel nicht auch | |
an ihren Worten zu messen. Weil Worte in der Politik Taten sind. | |
Das zeigt sich nirgendwo so eindrücklich wie in der Debatte um Flucht und | |
Integration. Wenn Politiker in Merkels Partei mit Klischees Angst vor | |
Menschen in Not schüren, dann zündeln sie. Und wenn die Pegidisten hetzen, | |
dann muss man den Begriff Brandrede wortwörtlich nehmen. | |
Die Kanzlerin hält seit Wochen dagegen. Sie setzt ihr Ansehen und ihr Amt | |
ein, um die Illusion von Abschottung zu zerstören. Sie hält die Humanität | |
hoch, obwohl viele Deutsche Angst vor Einwanderung haben. Sie stellt sich | |
hinter die Ehrenamtlichen, die Kleidung sortieren, sie steht neben den | |
Friedlichen, Weltoffenen und Hilfsbereiten, die sich Pegidas kleingeistigem | |
Größenwahn entgegenstellen. Merkel beweist Würde in einer Krise, die | |
ihresgleichen sucht. Ihr Reden ist Gold. | |
## Es geht um Leben und Tod | |
Nörgler würden nun entgegnen, sie provoziere mit ihren Reden Seehofer erst. | |
Das ist Unfug. Dieser Mann würde auch Furcht vor Geflüchteten wecken, wenn | |
Merkel schwiege. Zudem, Entschuldigung, geht es hier nicht um einen | |
belanglosen Streit wie bei der Pkw-Maut. Es geht um Leben und Tod. Die | |
Fragen, was mit den Geflüchteten passiert, wer sie sind und was ihre | |
Zukunft sein kann, sind zu groß, als dass Merkel dazu schweigen dürfte. | |
Streit muss sein, er ist nötig. Seehofer bietet Angst an, Merkel | |
Solidarität. | |
Worte sind Macht. Das lässt sich daran sehen, wie sehr Seehofer sich | |
aufmandelt. Vor seinem Gespräch mit der Kanzlerin am Samstag und dem | |
Treffen der Spitzen von CDU, CSU und SPD am Sonntag haben er und seine | |
Flüsterer mit allem gedroht, was ihnen einfiel. Dass sie Merkel verklagen, | |
dass sie ihr die Koalition aufkündigen, dass sie die Union zerbrechen | |
lassen. Diese Rage zeigt, dass ihnen Merkel zu wort-, zu wirkmächtig ist. | |
Seehofer hätte gern, dass sie schweigt, oder noch besser: widerruft. Sie | |
wird es hoffentlich nicht tun. | |
## Eine andere Merkel | |
Denn für die Hunderttausenden, die in Deutschland Schutz suchen und | |
bekommen, ist es wichtig, wer diese Debatte gewinnt. Merkels Worte wirken | |
nur, wenn sie für glaubwürdig gehalten wird. Ist sie es? Das Misstrauen ihr | |
gegenüber rührt von ihrem Politikstil her. Die Kritik an der Kanzlerin war, | |
dass sie opportunistisch handelt. Dass sie Angst davor hat, Risiken | |
einzugehen. Dass sie sich nie exponiert, um sich Spielräume zu erhalten. | |
Merkel, das war lange eine gängige These, lähme dadurch den Meinungsstreit | |
in der Republik. | |
Nun sollten ihre Kritiker endlich zur Kenntnis nehmen, dass all dies seit | |
Wochen perdu ist. Wir sehen eine andere Merkel. Seit ihrer „Wir schaffen | |
das“-Rede hat sie sich immer wieder exponiert. Dass die Republik gerade | |
schläft, wird niemand ernsthaft behaupten. Und Merkels Spielräume? Die sind | |
eng geworden. Wichtige Landtagswahlen stehen bevor. Ihre Umfragewerte | |
rutschen. Der Streit wird die CDU im Wahlkampf tief verunsichern. Mehr | |
Risiko geht nicht für eine Kanzlerin. Das macht sie glaubwürdig. | |
Aber Politik ist eine Endlosschleife, und vielleicht fällt sie ja um beim | |
Koalitionsgipfel. Vielleicht fällt sie einfach wieder in ihr altes, | |
strategisches Schweigen zurück. Es wäre schade. Denn dafür, was sie mit | |
Worten leistet, muss man ihr dankbar sein. | |
31 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Georg Löwisch | |
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