# taz.de -- Debatte Koalitionsgipfel: Spiel um wertlose Positionspapiere | |
> Transitzonen werden eh nicht kommen, CDU und CSU bleiben sowieso | |
> zusammen. Alle Koalitionsparteien spielen mit gezinkten Karten. | |
Bild: Was die drei Parteichefs in ihren Parteiprogrammen stehen haben, ist gar … | |
Es gibt Dinge, die kommen verlässlich wie der Kälteeinbruch im Spätherbst. | |
So die Forderung nach einem Ende des „Parteienstreits“, wenn es um wichtige | |
Themen geht. Knapper lässt sich die Verachtung des parlamentarischen | |
Systems nicht auf den Punkt bringen. Betrüblich, dass auch Spitzenkäfte der | |
grünen Opposition derlei in diesen Tagen mit treuherzigem Blick in die | |
Kameras erklären. Worin sehen sie denn die vornehmste Aufgabe von Parteien | |
– in der Verteilung von Ämtern, Mandaten und Posten? | |
Der Sinn von Parteien besteht darin, das Meinungsspektrum abzubilden, das | |
in der Gesellschaft besteht. In der Flüchtlingsfrage ist dieses Spektrum | |
ziemlich breit. Manche Leute sollen einer Partei ja sogar deshalb | |
beitreten: weil sie deren grundsätzliche Positionen teilen. In einem | |
prinzipiellen Konflikt hilft deshalb die Aufforderung nicht recht weiter, | |
dass nun endlich Schluss sein müsse mit der Diskussion – und „ran an die | |
Arbeit“. So konnte man vielleicht früher mit Jugendlichen in einem | |
Zeltlager umgehen. Aber so kann man heute nicht mit Wählerinnen und Wählern | |
umgehen, will man die Wahlbeteiligung nicht in schwindelerregende Tiefen | |
treiben. | |
Wenn ein Grundsatzstreit nicht ausgetragen wird, dann leidet die | |
Glaubwürdigkeit aller Beteiligten. Das Problem: [1][Der Koalitionsgipfel im | |
Kanzleramt] hat diesen Grundsatzstreit nicht ausgetragen, nicht einmal | |
angerissen. Stattdessen vermittelte sich der Eindruck, dass alle Teilnehmer | |
mit gezinkten Karten spielten. | |
Nein, es ist nicht zu vermuten, dass die Bundeskanzlerin dem | |
SPD-Vorsitzenden zugezwinkert hat, bevor dieser die Sitzung verließ. Sie | |
wird den Blick starr auf ihre Akten gerichtet haben, alles andere wäre dumm | |
gewesen. Aber sie dürfte schon hoffen, dass sich die Sozialdemokraten im | |
Hinblick auf Transitzonen unnachgiebig zeigen. | |
## Transitlager sind nicht umsetzbar | |
In dieser Frage geht es nämlich nicht nur um Grundsatztreue, sondern auch | |
um Pragmatismus: Transitlager sind schon allein logistisch fast nicht | |
umsetzbar und in der öffentlichen Wirkung verheerend: Deutsche | |
Grenzschützer, die traumatisierte Familien mit Gewalt an der Weiterreise | |
hindern? Die ein brüllendes Kind zurücktreiben ins „Transitlager“? | |
Schauerlich. Man soll sich nichts vormachen: Solche Bilder wären in Ungarn, | |
in Griechenland und in Italien schwer erträglich. In Deutschland wären sie | |
unvorstellbar. So lange kann die deutsche Vergangenheit gar nicht | |
zurückliegen, dass derartige Aufnahmen nicht schreckliche Erinnerungen | |
wachriefen. | |
Transitlager, wie immer sie aussehen mögen, wird es deshalb vermutlich | |
nicht geben. Und es darf vermutet werden, dass alle Beteiligten das wissen. | |
In den letzten Wochen ist, auch in dieser Zeitung, eine Diskussion darüber | |
entbrannt, ob Angela Merkel angesichts der Flüchtlingskrise standhaft | |
bleibt, weil sie tatsächlich zutiefst von der Berechtigung des Asylrechts | |
überzeugt ist – oder ob sie einfach links blinkt und rechts abbiegt. Für | |
beide Positionen gibt es überzeugende Argumente, aber schon jetzt zeichnet | |
sich ab, dass sie vor allem für Historiker und Biografen interessant sind. | |
Die Ereignisse haben die Frage nach der persönlichen Haltung der Kanzlerin | |
überholt. | |
## Niemand in komfortabler Lage | |
Es geht inzwischen um die Zukunft der traditionellen Parteien, nicht mehr | |
um die Haltung Einzelner. Nicht einmal mehr um die der Regierungschefin. | |
Wer eine Situation wie die bestehende am Reißbrett entwickelt, mag zu Recht | |
feststellen, dass weder Angela Merkel noch Sigmar Gabriel noch Horst | |
Seehofer die reine Lehre ihrer Parteien vertreten. Das bringt Realität | |
manchmal so mit sich. Und Parteien bestehen eben nicht nur aus deren | |
Programmen, sondern auch aus – internen und externen – Machtkämpfen. | |
Schaut man auf die Parteien der Großen Koalition im Einzelnen, dann ist | |
keine von ihnen in einer komfortablen Situation. Horst Seehofer von der CSU | |
kann ein Ultimatum nach dem anderen stellen – etwas kann er nicht tun, | |
jedenfalls nicht mit einer halbwegs realistischen Aussicht auf Erfolg: die | |
Fraktionsgemeinschaft mit der CDU aufkündigen und die CSU bundesweit zur | |
Wahl stellen. Das nämlich würde bedeuten, dass die CDU in Bayern antritt. | |
Und wenn sie auch nur 15 Prozent der Stimmen holte, dann würden viele | |
CSU-Landräte ihre Posten verlieren. | |
Vorstellbar, dass Seehofer diese Entwicklung unbeschadet überstehen könnte? | |
Nein, nicht vorstellbar. Seine Drohungen laufen ins Leere, wie Angela | |
Merkel sehr genau weiß. Warum erlaubt sie ihm dann trotzdem, das Gesicht zu | |
wahren und eine – nur scheinbare – Einigung auf ein Positionspapier der | |
Union als persönlichen Erfolg zu verkaufen? | |
## Wachsender Widerstand | |
Weil der Widerstand gegen sie in den eigenen Reihen so groß ist, dass sie | |
jede Unterstützung braucht, die sie bekommen kann. In der Unionsfraktion | |
brodelt es, und die Ursache liegt nicht allein – vielleicht nicht einmal | |
vorwiegend – im Flüchtlingsproblem begründet. | |
Angela Merkel erklärt sich nicht gern. Das war schon immer so, und daran | |
hat sich nichts geändert. Die Energiewende, die Abschaffung der | |
Wehrpflicht, die deutsche Position in der griechischen Finanzkrise: Stets | |
hat sie ihre Partei vor vollendete Tatsachen gestellt. Irgendwann bringt | |
ein Tropfen das Fass zum Überlaufen. Mit Rationalität hat das dann nichts | |
mehr zu tun. | |
Die Unionsfraktion will sich von der Kanzlerin nicht mehr in die | |
Solidarität zwingen lassen, egal zu welchem Thema. Viele Abgeordnete fühlen | |
sich erpresst und gedemütigt – für eine Regierungschefin gibt es kaum etwas | |
Gefährlicheres. | |
Aber warum spielt die SPD beim Spiel um wertlose Positionspapiere mit? Weil | |
sie eine unverhoffte Chance geboten bekommt, sich endlich wieder mal als | |
Hüterin der Menschenrechte zu präsentieren. Obwohl ihr Parteivorsitzender, | |
der zugleich Wirtschaftsminister ist, Waffenexporte in alle Welt genehmigt | |
– unter anderem nach Saudi-Arabien, einem Land, das derzeit | |
Kriegsverbrechen im Jemen verübt. Das ist alles ziemlich verlogen. Und? | |
Nach Alternativen wird gefahndet – bislang erfolglos. | |
3 Nov 2015 | |
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## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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