# taz.de -- Debatte „White Trash“ in den USA: Schmerzmittel, Schnaps, Selbs… | |
> Am Ende: Die Sterberate von mittelalten Weißen in den USA steigt an. Denn | |
> gebraucht werden sie nur noch als Wähler der Republikaner. | |
Bild: Trumps Zuhörer und Zielgruppe: weiße, mittelalte Amerikaner | |
Den Weißen in den USA geht es schlecht. War das bislang nicht viel mehr als | |
eine gefühlte Wahrheit, eine Beobachtung in einem Land, dessen Gesellschaft | |
und Demografie sich in einem radikalen Veränderungsprozess befinden, so ist | |
es nun belegt. Mittelalten weißen Männern und Frauen bleibt nicht viel mehr | |
als Drogen und Selbstmord. Der bisherige gesellschaftliche Kern Amerikas | |
steckt in einer tiefen, selbstzerstörerischen Krise. | |
Eine [1][Untersuchung] der Ökonomen Anne Case und Angus Deaton der | |
Eliteuniversität Princeton zeigt, dass die Sterblichkeitsrate von weißen | |
Amerikanern zwischen 45 und 54 Jahren steigt. Ein Trend, der entgegen den | |
Sterblichkeitsraten in anderen Industrienationen verläuft – und auch gegen | |
den Trend in den Vereinigten Staaten selbst. Denn Afro-Amerikaner und | |
Amerikaner mit lateinamerikanischen Wurzeln in diesem Alter folgen dieser | |
Tendenz nicht. | |
Noch bemerkenswerter ist jedoch, wie die Weißen sterben: durch Selbstmord, | |
Drogenvergiftungen und chronische Leberkrankheiten, die oftmals Ausdruck | |
von Alkoholmissbrauch sind. | |
Schmerzmittel, Schnaps, Selbsttötung – was ist passiert mit den einst so | |
selbstbewussten Amerikanern, die keine Zweifel kannten und darauf | |
vertrauten, dass das Leben ihnen nicht weniger als die Erfüllung des | |
amerikanischen Traums bringen wird? Bis auf wenige Ausnahmen ist der | |
amerikanische Traum für die weiße Mittelschicht ausgeträumt, die | |
Verzweiflung groß. | |
## Die Jobs liegen anderswo | |
Zwar ist die Arbeitslosigkeit im Land so gering wie seit Jahren nicht mehr, | |
und die Wirtschaft hat sich erholt. Doch die Jobs liegen nicht unbedingt | |
dort, wo der mittelalte weiße Mann zur Flasche greift. An den Ost- und | |
Westküsten, im Silicon Valley mit seiner Hightech-Industrie und in den | |
urbanen Zentren New York und Washington leben die Macher, die sich einem | |
Wandel stellen und vom ihm profitieren. | |
Dort ist die Lebenserwartung höher als im Rest des Landes, den Amerikaner | |
selbst „fly over states“ nennen: Staaten, über die man nur schnell | |
hinwegfliegt auf dem Weg von einer Küste an die andere. Es ist das rurale, | |
konservativere Amerika, das in Country-Songs als ursprünglich und ehrlich | |
idealisiert wird, das „heartland“, Herz Amerikas. | |
Diejenigen aber, die dieses Herz zum Schlagen bringen, fühlen sich | |
abgehängt, die Angst vor dem Bedeutungsverlust ist so groß, dass das Leben | |
für viele nur noch dumpf mit Drogen zu ertragen ist. Das Land verändert | |
sich und nimmt keine Rücksicht auf die traditionellen Werte des weißen | |
Amerikas. | |
Das Geld, das den amerikanischen Traum wahr werden lassen sollte, verdienen | |
andere. Moralische und ethische Fragen nach Gleichstellung sind längst zu | |
ihren Ungunsten entschieden – ein US-Präsident, der es jüngst als erster | |
Präsident auf das Cover eines Schwulenmagazins schafft, kann nicht mehr | |
„ihr“ Präsident sein. Religion funktioniert nicht mehr als verbindendes | |
Element in der Gesellschaft, und die Angst vor dem Fremden und der | |
Überfremdung hat sich trotz der Jahre, die seit den Terroranschlägen des | |
11. September vergangen sind, nicht gelegt; sondern eher noch potenziert. | |
Die USA haben ihre Identität und Stärke immer aus der Tatsache gezogen, ein | |
Einwanderungsland zu sein. Daraus sind die Vereinigten Staaten entstanden, | |
und diese Vielfalt wird gern als Aushängeschild der Nation genutzt. Das hat | |
für viele Konservative aber nur so lange funktioniert, in der die Vielfalt | |
zwar schön, aber auch in der Minderheit war. Das weiße Leben, die weiße | |
Kultur hat stets dominiert. Diese Dominanz jedoch erodiert immer mehr. 2050 | |
ist für viele konservative Weiße das Jahr, das sie fürchten: Spätestens | |
dann, so sehen es Prognosen, werden Weiße in den USA in der Minderheit | |
sein. | |
## Steile Thesen statt Inhalte | |
Diese Identitätskrise des konservativen weißen Amerikas ist nicht nur ein | |
gesellschaftliches Problem – das sich unter anderem in dem in den | |
vergangenen zwei Jahren wieder sehr öffentlich ausgelebten Alltagsrassismus | |
im Land zeigt –, es ist auch ein Problem der Republikanischen Partei. Einer | |
Partei, die in immer schrilleren Tönen genau jene Zielgruppe anspricht und | |
nach wie vor darauf hofft, aus ihr politisches Kapital schlagen und den | |
Sieg erringen zu können. | |
Im derzeitigen Vorwahlkampf der Republikaner sind die momentan in den | |
Umfragen mit Abstand beliebtesten Anwärter der Chirurg Ben Carson und | |
Donald Trump: beides keine Berufspolitiker. Gerade Trump hat dabei in | |
seiner lautschreierischen Art, die statt auf Inhalte auf steile Thesen | |
setzt, nur ein echtes Thema: sich selbst, als Präsident der USA. | |
Von Experten und Linken wird er gern als ein schnelllebiges Phänomen in | |
einem ohnehin stets leicht absurden Wahlkampfzirkus abgetan. Dass das | |
Phänomen Trump nun aber schon seit Monaten andauert, liegt eben daran, dass | |
er noch geschickter als seine Konkurrenz die Ängste und die Identitätskrise | |
der weißen, älteren Generation aufgreift. Sein Slogan: „Make America Great | |
Again“, Amerika wieder groß machen. Er zielt damit direkt ins „heartland�… | |
## Bei Reagan geklaut | |
Bezeichnenderweise hat Trump seinen Slogan geklaut. Eine der Ikonen der | |
Partei, Ronald Reagan, erfand den Spruch für seinen | |
Präsidentschaftswahlkampf 1980. Reagan brachte für das weiße Amerika der | |
80er Jahre die Erfüllung des amerikanischen Traums. Es ist die Sehnsucht | |
nach dem, was einmal war, die Trump bedient. | |
Seine Popularität und der grundsätzliche Rechtsruck bei den Republikanern, | |
die sich immer mehr extrem konservative Thesen zu eigen machen, ist | |
Ausdruck des vielleicht letzten Aufbäumens einer Zielgruppe, deren Kern | |
zwangsläufig zerfallen wird, aber darauf hofft, die eigene Identitätskrise | |
noch überwinden zu können. Es ist der verzweifelte Wunsch, das | |
Unaufhaltsame noch einmal abzuwenden. | |
Wenn die Republikaner so weitermachen und nicht die Chance sehen, dass sie | |
mit der Besinnung auf konservative Werte Latinos als bedeutende Zielgruppe | |
ansprechen könnten, statt sie mit rechte Einwanderungsthesen zu verprellen, | |
werden sie irgendwann politisch am Ende sein. Der weiße, wandlungsunfähige | |
Mann ist es schon jetzt. | |
21 Nov 2015 | |
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[1] http://www.pnas.org/content/early/2015/10/29/1518393112.full.pdf | |
## AUTOREN | |
Rieke Havertz | |
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