# taz.de -- Bildung in Weißrussland: Mit Alexijewitsch im Klassenzimmer | |
> Die Werke der diesjährigen Literaturnobelpreisträgerin werden in der | |
> Schule Pflichtlektüre. Damit enden über 20 Jahre staatliche Ignoranz. | |
Bild: Muss sich Präsident Lukaschenkos jüngster Spross jetzt auch mit den Wer… | |
Berlin taz | Überraschung in Weißrussland: Ab dem kommenden Schuljahr | |
werden die Werke der Schriftstellerin und Trägerin des diesjährigen | |
Literaturnobelpreises, Swetlana Alexijewitsch, Pflichtlektüre in den | |
zehnten und elften Klassen. Das kündigte der weißrussische Minister für | |
Bildung, Michail Zhuravkov, Mitte dieser Woche in Minsk an. | |
Alexijevitsch ist die erste Nobelpreisträgerin in der Geschichte der | |
unabhängigen Republik Weißrussland. Da sie dem weißrussischen Präsidenten | |
Alexander Lukaschenko stets kritisch gegenüber stand, strafte sie das | |
Regime mit Ignoranz. So wurde seit Lukaschenkos Machtübernahme im Jahre | |
1994 kein einziges ihrer Bücher in Weißrussland verlegt, obwohl ihre Werke | |
in 19 Ländern erschienen. | |
In den frühen 2000er Jahren wurden ihre Werke aus dem obligatorischen | |
Lehrplan gestrichen. Während sie im Ausland mit Preisen überhäuft wurde (so | |
mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 1998 und dem | |
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2013) wartet sie in ihrer Heimat | |
bis heute auf eine Auszeichnung. Viele Jahren lebte Alexijewitsch im Exil, | |
darunter auch in Deutschland, und kehrte erst 2011 nach Weißrussland | |
zurück. | |
Die Stellung von Alexijevitsch in Weißrussland kann mit einem Satz aus der | |
Bibel beschrieben werden: „Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seinem | |
Vaterland“. Dafür trägt jedoch nicht allein das Regime von Lukaschenko | |
Verantwortung. Auch regimekritische weißrussische Intellektuelle | |
kritisieren Alexijewitsch und werfen ihr vor, sie sei keine weißrussische | |
Schriftstellerin, weil sie auf Russisch schreibe. In einem Interview soll | |
sich sich zudem abfällig über die weißrussische Sprache geäußert und diese | |
als „bäuerlich“ bezeichnet haben. | |
## Roman der Stimme | |
Alexijewitsch hat eine eigene literarische Gattung, den „Roman der Stimme“ | |
, kontinuierlich weiterentwickelt. Mit diesem Ansatz ist sie dem bekannten | |
weißrussischen Schriftsteller Ales Adamovitsch verpflichtet, der das | |
Vorwort zu ihrem ersten Buch schrieb. In diesem Sinne setzt sie eine | |
Tradition der weißrussischen Literatur fort, auch wenn sie auf Russisch | |
schreibt. | |
Mit zahlreichen Interviews thematisiert sie das Leid der Menschen, u.a. | |
während des Zweiten Weltkrieges (“Der Krieg hat das kein weibliches | |
Gesicht“) sowie des sowjetischen Krieges in Afghanistan („Zinkjungen“) und | |
nach der Atomkatastrophe in Tschernobyl (“Tschernobyl - eine Chronik der | |
Zukunft“). Ihre Werke gelten aus diesem Grund als „düster und bedrückend�… | |
weswegen sie das weißrussische Bildungsministerium für die Lektüre in der | |
Grundschule für „ungeeignet“ hält. | |
Veronika Kuschnerevitsch lehrt Literatur am Lyzeum der Weißrussischen | |
Staatlichen Universität (BGU). Sie begrüßt die Aufnahme von Alexijevitschs | |
Werken in den Lehrplan. Sie hält die Werke von Alexijevitsch zwar auch für | |
schwer, ist aber der Meinung, dass die ganze anspruchsvolle Literatur kein | |
leichter Lesestoff sei, wie zum Beispiel die Romane von Dostojevskij, | |
Sartre oder Camus. „Man kann graue Haare kriegen, wenn man solche Werke | |
liest. Das ist aber die Wahrheit des Lebens und Schüler sollten sich mit | |
solchen Werken beschäftigen“, meint Veronika Kuschnerevitsch. | |
17 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Vitali Bahdanau | |
## TAGS | |
Weißrussland | |
Alexander Lukaschenko | |
Literatur | |
Swetlana Alexijewitsch | |
Spielfilm | |
Albert Camus | |
Weißrussland | |
Sasa Stanisic | |
Weißrussland | |
Weißrussland | |
Wahlen | |
Swetlana Alexijewitsch | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Zweiter Weltkrieg im russischen Kino: Wohin mit dem Grauen? | |
Einen anderen Blick auf den Zweiten Weltkrieg suchen: „Bohnenstange“ von | |
Kantemir Balagow spielt in einer traumatisierten Stadt. Leningrad 1945. | |
„Der Fall Meursault“ in München: Postkoloniales Spiegelgefecht | |
Die Kammerspiele München bringen „Der Fall Meursault“ auf die Bühne – e… | |
Gegendarstellung zu Camus' „Der Fremde“. | |
Shopping-Zentrum „Leningrad“ in Minsk: „Alle Macht den Kunden!“ | |
Weißrussland ist ein Reservat des Kommunismus. Dazu passt gut, dass in | |
Minsk ein Shopping-Zentrum namens „Leningrad“ eröffnet hat. | |
Hörbücher von Alexijewitsch und Stanišić: Wo der Sinn des Lebens kulminiert | |
Die Nobelpreisträgerin spricht mit den Lebenden und den Toten von | |
Tschernobyl. Saša Stanišić beschreibt die Verlassenheit der ostdeutschen | |
Provinz. | |
Kommentar Weißrussland: Sanktionen müssen bleiben | |
Die Wahl in Weißrussland hat mit Demokratie nichts zu tun. Trotzdem denkt | |
die EU ernsthaft darüber nach, die Sanktionen aufzuheben. | |
Präsidentenwahl in Weißrussland: Der ewige Lukaschenko | |
Niemand zweifelt daran, dass der Staatschef am Sonntag für eine weitere | |
Amtszeit gewählt wird. Er gilt vielen noch immer als Garant der Stabilität. | |
Wahl in Weißrussland: Schreckensszenario Maidan | |
Am Sonntag wird in Weißrussland ein neuer Präsident gewählt. Der Sieger | |
steht bereits fest – Alexander Lukaschenko. | |
Nobelpreis für Literatur 2015: Aus dem Alltag des Homo sovieticus | |
Sie ist die Archäologin der großen und kleinen Katastrophen im Kommunismus. | |
Das sind die Themen der Schriftstellerin Alexijewitsch. |