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# taz.de -- Popstar Joanna Newsom übers Texten: „Ich behandle Worte mit Piet…
> Die Kalifornierin Joanna Newsom über die Kunst zu texten und die
> Komposition ihres neuen Albums „Divers“, welches am Freitag erscheint.
Bild: Nicht in Straßenklamotten: Joanna Newsom am Pazifik mit Papagei.
taz.am wochenende: Joanna Newsom, es ist überwältigend, Ihrem neuen Album
„Divers“ zuzuhören und dabei Ihren Songtexten zu folgen. Ihr Landsmann, der
Dichter Ralph Waldo Emerson, beschrieb Worte einst als „Fakten der Natur“.
Was bedeuten Ihnen Worte?
Joanna Newsom: Wenn ich Worte in Songs oder Gedichten lese, kommt mir als
Erstes ihre Verwandtschaft zu anderen Arten von Kunst in den Sinn. Wir
versuchen, der Wahrheit mit Sprache auf die Spur zu kommen. Wie kompliziert
das ist, wird gerade bei unserem Gespräch deutlich.
Warum?
Ich versuche die Regeln der Konversation zu befolgen, aber stelle mich
dabei ungeschickt an. Anders in meinen Songtexten, darin kommen Gedanken
und Argumente in strukturierter Form zum Ausdruck. Ich behandle Worte mit
Pietät, das schaffe ich im Alltag nicht.
In Ihren Texten ist ein Motiv wahrnehmbar: Krieg als Ausdruck gewalttätiger
Zeiten, auf individueller Ebene auch Zweifel, innere Schlachten, die
ausgefochten werden. Sie knüpfen diese Turbulenzen an real existierende
Ortsnamen. In dem Song „Waltz of the 101st Lightborne“ ist die Rede von
Chabot, einem College in Kalifornien ...
Dort steht ein Observatorium, ich verbinde mit dem Ort etwas Romantisches.
Krieg als Motiv taucht mehrmals auf dem Album auf. Es geht um die
Frontlinie, aber auch um die Frontier, die Grenze der westlichen
Zivilisation. Und um die Grenze, die von Kalifornien aus den Horizont am
Himmel vom Wasser des Pazifiks trennt. Die Idee, dass eine Schlacht an
einer Grenze stattfindet, die unverrückbar erscheint, ist ein Gedanke, der
mich schon lange umtreibt.
Was gefällt Ihnen an altmodischen Begriffen, in denen es bei Ihnen nur so
wimmelt?
Jedes Wort, das es je gab, existiert weiterhin. Oftmals hat es seine
ursprüngliche Bedeutung beibehalten. Sprache kann sich wandeln, genau wie
Politiker ihre Ansichten ändern, deshalb verschwinden Worte nicht. Ich
arbeite nun mal mit Musik und Lyrik, da liegt es nahe, akkurat zu texten.
Worte müssen in Reimschemata und Silbenbetonungen passen. Von daher ist ein
breiter Wortschatz nützlich.
Alles in allem klingt „Divers“ panoramatisch, die Songs bauen dramatisch
aufeinander auf, jeder Ton sitzt an der richtigen Stelle. Welches Setting
schwebte Ihnen vor?
Für die Komposition von „Divers“ sind zwei Vorgänge erwähnenswert: Zum
einen habe ich vorab die Reihenfolge der Songs festgelegt, das harmonische
Prinzip von Song zu Song schrieb dies vor. Und daher beeinflusste die
Reihenfolge alle anderen Entscheidungen, etwa die Ausgestaltung der
Arrangements. Meine früheren Alben wurden erst nach den Aufnahmen gereiht,
das geschah intuitiv. Zum anderen habe ich in den neuen Songs beim
Komponieren Platz für Overdubs gelassen, im Studio wurden weitere
Klangschichten hinzugefügt. Außerdem habe ich nun für jeden Song andere
Arrangeure bestimmt, in der Vergangenheit ließ ich die Alben zur Gänze von
einem Musiker arrangieren, etwa von Van Dyke Parks.
Weil Sie gerade den Filmmusikkomponisten Van Dyke Parks erwähnen: Mit ihm
teilen Sie Erfahrungen in Hollywood, wo Sie kürzlich für Paul Thomas
Anderson in dessen Pynchon-Verfilmung „Inherent Vice“ eine tragende Rolle
spielten. Parks erklärte einmal über den Ethos in Hollywood, es fühle sich
an „wie im alten Rom. Glamourös, aber brutal“.
Meine Erfahrung ist sicher nicht die gleiche. Parks steht unter ganz
anderem Druck als ich. Paul Thomas Anderson, der Regisseur, ist ein
persönlicher Freund von mir. Ich musste nicht zum Vorsprechen. Allgemein
verkehre ich außerhalb der Filmwelt, obwohl ich die Dreharbeiten durchaus
inspirierend fand. Aber nicht inspirierend genug, um kopfüber ins
Haifischbecken von Hollywood einzutauchen. Dieser Aspekt der
Unterhaltungskultur bleibt mir fremd.
Und doch hat „Divers“ durchaus filmische Momente, jeder Song entspricht
einem Charakter, wie in einem Cast.
Da haben Sie recht. Man könnte das allerdings über alle meine Alben sagen,
es gibt wie bei „Inherent Vice“ immer eine Erzählerin, die jedes meiner
Alben strukturiert. Das ist jeweils eine Version von mir, die mit dem Wesen
des jeweiligen Albums korrespondiert. Also sind bestimmte Anteile meiner
Persönlichkeit immer von dieser Erzählerin ausgeblendet. Während andere
Anteile übertrieben dargestellt oder verfremdet sind, weil dies dem
Charakter der Musik dienlich ist. Das geht so weit, dass ich mich auf dem
Cover-Artwork abbilden lasse.
Etwa für „Divers“ mit einem Papagei auf der Schulter.
Das bin nicht ich in meinen Straßenklamotten, das ist eine ästhetische
Komponente des Albums. Ich stelle das auch bildlich dar und spreche damit
zum Spirit der Musik.
Hat die Rolle als Sortilege in „Inherent Vice“ Einfluss auf Ihre
musikalische Formensprache genommen?
„Divers“ war fertigkomponiert, als ich mit den Dreharbeiten für „Inherent
Vice“ anfing. Ihre Beobachtung ist insofern richtig, weil ich für die
Arbeit als meist unsichtbare Erzählstimme im Film aus meinem musikalischen
Erfahrungsschatz schöpfen konnte. Ein Voice-Over funktioniert immer sehr
musikalisch. Anderson zeigte mir vorab die Szenen, die ich dann
kommentierend sprechen musste. Dabei entwickelte ich Rhythmus,
verlangsamte, beschleunigte, änderte …
… den Erzählfluss …
… Dieser Fluss korrespondiert auf musikalische Weise mit dem, was die
Kamera zeigt. Diese Musikalität hat mich nicht eingeschüchtert. Direkt vor
der Kamera zu stehen dagegen schon.
Zu Beginn Ihrer Karriere wurden Sie unter „seltsame Folkmusik“ und
„Singer-Songwriter“ einsortiert. Inzwischen hat Folk zig Revivals
durchlaufen, Äonen bärtiger Künstler geben auf ihrer Klampfe traurige
Weisen zum Besten. Macht die Bezeichnung Folk noch Sinn?
Ich wüsste keinen besseren Begriff für meine Musik. Allerdings wurde ich
schon im Kindesalter auch mit klassischer Musik sozialisiert. Mein
Musiklehrer ermunterte mich zur Improvisation. Prägend für mich ist bis
heute der Einfluss von Singer-Songwritern der Goldenen Generation. Die
Beschreibung Singer-Songwriter passt daher zu mir.
Singer-Songwriter haben in den USA auch soziale Funktion, aus ihren Texten
spricht Graswurzelpolitik. Inwiefern trifft das auf Sie zu?
Folk hat ein Element der Sozialkritik, der steht auf meiner Tagesordnung
allerdings weit hinten. Ich bin viel zu solipsistisch. Zumindest wenn ich
texte, lebe ich in einem Vakuum, anders als Bob Dylan, der ja zumindest in
den Sechzigern ganz offen Regierungen und gesellschaftliche Problemlagen
kritisierte. Mich interessieren Alben der siebziger Jahre ohnehin mehr, ob
es damals um Gesellschaftskritik besser oder schlechter bestellt war, sei
dahingestellt, es ging mehr um Selbsterklärung, Gier und Zynismus.
Wie kommt Ihnen denn Ihr Heimatland gerade vor?
Es ist ein Riesenland, deshalb fällt mir es schwer, allgemein darüber zu
urteilen. Wenn ich sozialen Wandel wahrnehme, der mich inspiriert, nehme
ich genauso schreckliche Ereignisse wahr, dann möchte ich die Decke über
den Kopf ziehen. Mit 20 war ich militant antiamerikanisch eingestellt. Aber
erst jetzt verstehe ich, was es bedeutet, Amerikanerin zu sein. Zunehmend
empfinde ich Begriffe wie Nation oder Staatsgrenzen abstrakt, besonders im
Zeitalter der elektronischen Informationen und Reisefreiheit.
23 Oct 2015
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Kalifornien
Singer-Songwriter
New York
Countrymusic
Ausstellung
Wald
Familie
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