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# taz.de -- Zivilprozess zu Stuttgart 21: Wasserwerfer vor Gericht
> Das Verwaltungsgericht verhandelt über die Verhältnismäßigkeit des
> Polizeieinsatzes. Den Rentner Dietrich Wagner kostete er das Augenlicht.
Bild: Wasserstrahl auf Kopfhöhe: Schwere Verletzungen und bleibende Schäden.
Stuttgart taz | Als Peter Grohmann an der Reihe ist, seine Aussage zu
machen, wird es im Gericht kurz mal heiter. Der regional bekannte
Kabarettist und Stuttgart-21-Gegner will wissen, ob die Mikros im Saal auch
eingeschaltet sind, damit sein Auftritt für die Nachwelt aufgezeichnet
wird. Später verspricht er den Richtern Freikarten für einen seiner
nächsten Auftritte. Heiterkeit auf der Richterbank.
Das ist die Ausnahme an diesem ersten von fünf Verhandlungstagen vor der 5.
Kammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart. Grohmann ist beim sogenannten
Schwarzen Donnerstag nur nass geworden. Die sechs anderen Kläger wurden
verletzt und leiden zum Teil noch heute unter den Folgen des
Polizeieinsatzes. Jetzt kämpfen sie um Schadenersatz und Schmerzensgeld.
Mehr als fünf Jahre ist es her: Am 30. September 2010 wurden Polizeiknüppel
und Pfefferspray gegen friedliche Demonstranten eingesetzt, um mit
Baumaßnahmen für Stuttgarts umstrittenes Bahnhofsprojekt beginnen zu
können. Der Rentner Dietrich Wagner verlor im Strahl eines Wasserwerfers
damals fast vollständig sein Augenlicht. Das Bild des entsetzlich
entstellten Mannes ging durch die Republik.
Wagner ist zum Prozessauftakt erschienen, mit Blindenstock und
Behindertenbinde. Auf dem einen Auge sehe er noch etwa 5 Prozent, auf dem
anderen sei er blind, sagt er – seinen Zorn auf die Staatsmacht kann er nur
schwer unterdrücken. Wagner und auch die anderen Kläger waren keine
gewaltbereiten Demonstranten. Sie kommen, wie damals der größte Teil der
Protestbewegung, aus der Mitte der Gesellschaft.
Die Stuttgarter Verwaltungsrichter sollen nun fünf Jahre danach
entscheiden, ob die Polizeimaßnahmen, vor allem der Einsatz „unmittelbaren
Zwangs“ – also von Knüppeln, Reizgas und Wasser –, verhältnismäßig wa…
Auch ist für die rechtliche Bewertung wichtig, ob die spontane Versammlung
im Schlosspark eine vom Versammlungsrecht geschützte Zusammenkunft war oder
ob die Polizei das Recht hatte, sie aufzulösen.
Die Parkschützer hatten sich spontan versammelt, als bekannt wurde, dass
die Baumfällarbeiten früher beginnen sollten als geplant. Es ist nicht der
erste Prozess zu dem umstrittenen Polizeieinsatz. Das Landgericht Stuttgart
hatte im vergangenen Jahr im sogenannten Wasserwerferprozess die Rolle
hochrangiger Polizeibeamter untersucht. Das Verfahren endete mit einem
Strafbefehl gegen den damals verantwortlichen Polizeipräsidenten Siegfried
Stumpf. Jetzt geht es um den Einsatz als Ganzes.
Neben Wagner geben vor allem die Aussagen zweier junger Männer zu denken,
Schlagzeuger der eine, Soziologe der andere. Beide wurden von den
Wasserwerfern getroffen, als sie nach eigener Aussage den Schauplatz
bereits verlassen wollten. Sie gehörten nicht zum harten Kern des
Stuttgart-21-Widerstands, einer hatte zuerst sogar seinen kleinen Sohn
dabei. Sie hätten gegen die Polizei pöbelnde Jugendliche sogar gemäßigt,
sagt Daniel Kartmann. Der Musiker wurde in Kopfhöhe von dem harten
Wasserstrahl getroffen.
Die ärztliche Diagnose: starke Blutungen im vorderen und hinteren
Augenabschnitt, ein Riss in der Pupille. Als er, bereits verletzt, durch
die Polizeikette wollte, habe man ihn zunächst daran gehindert.
Herausgelassen habe man ihn erst, als er einen Beamten angeschrien habe:
„Seht her, was ihr mir angetan habt!“
Die Richter zeigen sich von den Aussagen beeindruckt. Das Urteil wird für
Ende November erwartet.
28 Oct 2015
## AUTOREN
Benno Stieber
## TAGS
Schwerpunkt Stuttgart 21
Verwaltungsgericht
Wasserwerfer
Dietrich Wagner
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