# taz.de -- Flüchtlinge auf Moskauer Flughafen: Syrer im Transit verloren | |
> Seit mehr als sieben Wochen sitzt eine syrische Familie im Transitbereich | |
> eines Moskauer Flughafens fest. Chance auf Asyl hat sie dort nicht. | |
Bild: Kein Asyl: Russland will Flüchtlinge nicht im Land haben | |
MOSKAU taz | Für Hasan, Gulistan und ihre vier Kinder endete die Flucht im | |
Transitbereich. In einem Glaskasten im Terminal E auf Moskaus Flughafen | |
Scheremetjewo sitzen sie fest. Wer nach Paris, Amsterdam oder Südostasien | |
reist, läuft an den zermürbten Gestalten hinter der Glaswand vorbei. | |
Seit mehr als sieben Wochen sitzt die Familie aus Syrien schon auf dem | |
Flughafen, dort, wo einst auch der Whistleblower Edward Snowden strandete. | |
Aussichten auf einen Flüchtlingsstatus hat die Familie nicht. | |
Bei der Einreise hatte Gulistan der Grenzkontrolle die Wahrheit gesagt: die | |
Familie sei auf der Flucht und wolle in Russland Flüchtlingsstatus | |
beantragen. Das Tor ins Land blieb verschlossen. Begründung: Die Pässe | |
seien Fälschungen. Bei der Vergabe der Visa hatte die russische Botschaft | |
hingegen nichts beanstandet. Einfacher wäre es gewesen, erst einmal als | |
Tourist einzureisen. | |
Bald darauf schaltete sich die Moskauer NGO „graschdanskoje sodeistwie“ | |
(GS, Staatsbürgerliche Hilfe) ein. Sie betreut Flüchtlinge und fragte in | |
Syrien bei der Passbehörde nach. Von dort kam eine Antwort, die die | |
Echtheit der Papiere bestätigte. Gulistans Schwester lebt bereits seit | |
Jahren in Russland. Nichts half jedoch. Inzwischen kümmert sich Rosa | |
Magomedowa um die Transit-Familie. Die Anwältin klagt vor dem Europäischen | |
Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wegen des brutalen Umgangs mit | |
Kindern, die unter unwürdigen Bedingungen lebten und krank seien. | |
## Russland muss Schmerzensgeld zahlen | |
Nach der gescheiterten Einreise landete die Familie zunächst in U-Haft. | |
Versuchter illegaler Grenzübertritt wurde ihr zur Last gelegt. Erst nachdem | |
sie eine Kaution von 780 Euro hinterlegt hatte, genehmigte die | |
Staatsanwaltschaft die Rückverlegung in den Transitbereich. | |
Das Schicksal der kurdischen Familie ist kein Einzelfall. „Manche sitzen | |
ein halbes Jahr im Transitbereich“, sagt Magomedowa. Vor Kurzem verurteilte | |
der EGMR Russland zu einer Zahlung von 27.000 Euro Schmerzensgeld an drei | |
Flüchtlinge, die nach Syrien abgeschoben werden sollten. Laut EGMR hatte | |
Moskau gegen das Recht auf Leben und das Folterverbot der Europäischen | |
Menschenrechtskonvention verstoßen. Die inhaftierten Flüchtlinge seien | |
sofort freizulassen. | |
Als Unterzeichner der Genfer Konvention müsste Russland auch Artikel 31 | |
beachten, der Staaten dazu verpflichtet, Flüchtlinge bei illegalem | |
Grenzübertritt strafrechtlich nicht zu belangen. „Selbst wenn sie | |
gefälschte Pässe haben, dürfen Kriegsflüchtlinge nicht bestraft werden“, | |
meint Swetlana Gannuschkina von GS. | |
Die vom Kreml als „ausländischer Agent“ gebrandmarkte | |
Nichtregierungsorganisation GS legte jetzt auch eine Langzeitstudie vor, | |
die sich mit „Russland als Zufluchtsort“ befasst. Zwischen internationalen | |
Vereinbarungen und nationaler Gesetzgebung treten demnach deutliche | |
Widersprüche auf. So kennt das russische Recht auch keinen Abschiebeschutz | |
für Flüchtlinge. | |
Ein dringliches Probleme sei „das Fehlen eines freien Zugangs zur Prozedur | |
der Antragsstellung als Flüchtling“, so der Bericht. Dahinter verbirgt sich | |
eine seltsame Praxis: Antragsteller werden von den Behörden in Gewahrsam | |
genommen, an die sie sich in der Hoffnung auf Hilfe wenden. „Unser | |
Zufluchtssystem wird der Genfer Konvention in keiner Weise gerecht“, | |
urteilt der Bericht. Die Autoren beschreiben das System als einen | |
„Wolkenkratzer, in dem nur die erste Etage bewohnt ist“. Vor dem Eingang | |
stünde eine Wache, die niemanden reinlasse. Gelegentlich gelangt jemand | |
hinein, jedoch nur, wenn der Kommandant es zulässt. Alles hänge von der | |
Entscheidung „oben“ ab. | |
Die Ablehnung der Hilfsgesuche spiegelt sich in der Statistik wider. Nach | |
Angaben des Föderalen Migrationsdienstes beantragten im ersten Halbjahr 174 | |
Syrer den Flüchtlingsstatus. Keinem wurde er gewährt. Von 514, die einen | |
befristeten Aufenthalt wünschten, wurde 333 stattgegeben. In den ersten | |
acht Monaten reisten 7.102 Syrer ein, 7.162 haben das Land wieder | |
verlassen. Demnach gehen auch jene, die schon länger in Russland gelebt | |
haben. Kein Wunder, die Anerkennungsquote lag von 2010 bis 2014 zwischen | |
zwei und neun Prozent. „In Russland ist es fast unmöglich, als Flüchtling | |
anerkannt zu werden“, meint Gannuschkina. „Du musst nur an der falschen | |
Stelle über die Straße gehen und schon wirst du abgeschoben.“ | |
27 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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