| # taz.de -- Debatte Die Antideutschen: Die Karriere eines Kampfbegriffs | |
| > Auf die Frage „Was ist deutsch?“ gibt es keine vernünftige Antwort. Nur | |
| > Stürme von Erinnerungen, Emotionen und Narrativen. | |
| Bild: Die deutsche Identität rechtfertigt die Gewalt gegen das, was sie in Fra… | |
| My antideutshness gives me fever, these days. Allein das Wort „antideutsch“ | |
| scheint bis weit in die linke Mitte hinein einen bedingten Reflex | |
| auszulösen. Als ginge es da gleich zu weit mit alledem: der schlechten | |
| Laune im Exportweltmeisterland, dem moralischen Geraune gegen den | |
| fröhlichen Pop-Nationalismus, der Skepsis gegenüber den Inszenierungen der | |
| „guten Deutschen“. Als wäre „antideutsch“ eine gefährliche Gemütskra… | |
| Um wenigstens das einmal aus der Welt zu schaffen, eine Erinnerung an den | |
| antideutschen Schlüsselsatz von Karl Marx: „Krieg den deutschen Zuständen! | |
| Allerdings!“ | |
| Zustände, meine Lieben! Natürlich gibt es den Diskurs-Bruch zwischen den | |
| „Antideutschen“ und anderen Fraktionen der Linken, der aus der Geschichte | |
| der verbliebenen Opposition im wiedervereinigten Deutschland zu verstehen | |
| ist. Er beginnt schon damit, dass dieser Akt des Nationenbauens mit seinen | |
| Diskurswechseln in der Außen- und nicht zuletzt der Militärpolitik selber | |
| als Bruchstelle gesehen wird oder nicht. | |
| Der Knackpunkt war in aller Regel die Haltung zu Israel; hier die Forderung | |
| nach der Aufarbeitung eines linken Antisemitismus, dort die Unterstellung, | |
| man gebe aus purem „Philosemitismus“ Grundsätze der Linken wie die Kritik | |
| am Wirtschaftsimperialismus der USA auf. | |
| Bei der Bundeszentrale für politische Bildung erfährt man folgendes: „Mit | |
| der deutschen Einheit erschien 1990 eine neue Strömung im linksextremen | |
| Spektrum. Die ‚Antideutschen‘ und ‚Antinationalen‘ haben sich längst a… | |
| feste Größen in der linksextremen Ideenwelt etabliert. Ihre Herausbildung | |
| aus der klassisch „antiimperialistisch“ ausgerichteten extremen Linken ist | |
| durchaus bemerkenswert“. Schon bemerkenswert, wie oft man das Wort „extrem�… | |
| in drei extrem schlichten Sätzen unterbringen kann. | |
| Fever in the morning, fever when I touch the deutshness. „Zustände“ ergeben | |
| sich aus Geschichte, aus politischen Ökonomien, aus Machtverhältnissen, aus | |
| Diskursen und aus Dispositionen. Die Kritik an deutschen Zuständen gilt | |
| also: | |
| ■ einem Missgriff im Umgang mit der Geschichte, nämlich ihrer Verleugnung, | |
| der Blindheit gegenüber Kontinuitäten und dem falschen Verständnis für | |
| einen Überdruss an Aufarbeitung und Erinnerung | |
| ■ einer neomerkantilistischen Außenpolitik, mit der deutsche Regierungen | |
| auf unheilvolle Weise in die Organisation der Welt als fundamentalistisch | |
| neoliberales Marktgeschehen eingreift | |
| ■ einer Postdemokratie, die sich gern „nationaler Interessen“ bedient, we… | |
| es darum geht, weitere Bauelemente der Demokratie, sagen wir einmal: | |
| aufzuweichen, und | |
| ■ eines Diskurses, der die Verteidigung einer nationalen Minimaldemokratie | |
| über die Arbeit an einer transnationalen Demokratie stellt. | |
| Ist das jetzt antideutsch oder einfach kritisch-demokratisch? Kehren wir | |
| noch einmal zur Bundeszentrale und ihrer Aufklärung über die Antideutschen | |
| zurück: „Notwendigerweise führe ein als ‚Nation‘ definiertes Kollektiv … | |
| Ausgrenzung ‚Anderer‘ und damit auch zur Fortschreibung des Antisemitismus. | |
| Die Abschaffung aller Nationen und Staaten könne demnach auch nicht vor | |
| Israel Halt machen. Solche an anarchistische und kommunistische Utopien | |
| anknüpfenden Vorstellungen lehnen mithin auch Rechtsstaatlichkeit und | |
| Demokratie ab; ihre revolutionäre Rhetorik ist zumeist an anarchistische | |
| Modelle angelehnt.“ | |
| Bis auf die letzte Volte würden das vermutlich eine Menge Historiker_innen, | |
| Soziolog_innen und Jurist_innen unterschreiben: Nationen hat es nicht immer | |
| gegeben, es wird sie vermutlich auch nicht immer geben, und sie haben sich | |
| weniger aus der Macht des Schicksals als aus dem Zusammenwirken von | |
| wirtschaftlicher, politischer und militärischer Macht gebildet. | |
| Ihre „identitäre“ Funktion scheint gegenüber der metanationalen Macht des | |
| Kapitals, da muss man nun wirklich nicht extrem sein, der Konstruktion | |
| einer nützlichen Idiotie verdächtig angenähert. Und damit sind wir am | |
| wirklich wunden Punkt. Wenn ich nicht deutsch bin, was bin ich dann? | |
| That’s why my antideutshness gives me fever, really. Und man beginnt zu | |
| verstehen, warum „antideutsch“ zu einem solchen, nun ja, Kampfbegriff | |
| werden konnte. So wie wir von der Bundeszentrale erfahren, dass | |
| „antideutsch“ zum Ausschluss aus dem demokratischen Diskurs führen kann, so | |
| haben offensichtlich die „moderaten“ Linken einen guten Grund, das | |
| „Antideutsche“ zu fürchten. Ein Nichtdazugehören und Nichtmitmachen, das | |
| eine spätere gnädige Wiederaufnahme im Mainstream unmöglich macht. Die | |
| Drohung, auch aus der politischen Ökonomie des Kulturbetriebes | |
| ausgeschlossen zu werden, der noch großteils im nationalen Rahmen läuft. | |
| ## Abgenutzte Theoreme | |
| Zwei extreme Theoreme zum Dispositiv des Deutschseins haben sich als | |
| ziemlich blödsinnig herausgestellt. Das eine ist das Theorem vom guten Volk | |
| als Opfer einer hyperorganisierten bösen Gehirnwäsche. Als würde den | |
| Deutschen das Unleidige ihres Deutschseins nur durch Bild, die | |
| Rechtspopulisten und die TV-Heimatschnulzen verpasst. Das andere ist das | |
| Theorem von „Mentalität“, deren extremste Ausformung etwa lauten könnte: | |
| Für die Deutschen ist der Faschismus der Normalzustand, alles andere wird | |
| von außen aufgedrängt. | |
| Deconstructing deutshness. Auf die Frage: Was ist deutsch? gibt es keine | |
| vernünftige Antwort. Nur Stürme von Erinnerungen, Emotionen, und | |
| Narrativen. Deutschsein verbindet Identität mit Fremdbestimmung. Die | |
| deutsche Identität rechtfertigt die Gewalt gegen das, was sie in Frage | |
| stellt. Verblüffend ist, wie weit, in Abstufungen, diese Konstruktion nach | |
| links gehen kann, wie weit zu jenen, die sich gerade noch so viel auf ihren | |
| Humanismus und ihre Toleranz eingebildet haben. Die Frage ist daher | |
| brandgefährlich, weil sie sich stets umzudrehen droht: Warum muss etwas | |
| überhaupt deutsch sein? | |
| Ich weiß immer noch nicht, ob ich nun antideutsch bin oder nicht. Träume | |
| aber von einer Welt, in der diese Frage so wichtig wäre wie die, ob man | |
| Gurkensalat mag oder nicht. | |
| 28 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Georg Seeßlen | |
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