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# taz.de -- Auszeichnung des Goethe-Instituts: Ruhe bewahren
> Das Goethe-Institut verleiht am Freitag seine höchste Auszeichnung an
> Migranten und Kosmopoliten, vertraut mit Geschichten der Flucht.
Bild: Eva Sopher, eine 92jährige Weltbürgerin, erhält die Goethe-Medaille
Erbittert wurde Anfang der 1990er Jahre um das Selbstbild der oder des
Deutschen gerungen. Wer sollte künftig – nach Mauerfall und
Einstaatlichkeit – der deutschen Nation angehören, was als deutsch gelten
und was nicht? Nach dem Zusammenbruch der DDR erlebte das vereinigte
Deutschland in den 1990er Jahren eine Serie nationalistischer Anschläge.
Sie richtete sich in Ost- und Westdeutschland vor allem gegen
Arbeitsmigranten sowie Asylsuchende, aber auch gegen Linke, Frauen mit
bunten Haaren, Punks, Obdachlose oder einfach nur Demokraten.
Erst durch die rot-grüne Bundesregierung 1998 erfolgte das Bekenntnis des
Staates zu einer multivölkisch zusammengesetzten deutschen Nation. Das
Staatsbürgerrecht wurde entsprechend reformiert. Seit dieser Zeit hat der
institutionelle Rassismus in Deutschland abgenommen. Die aktuelle Welle
rechtsradikaler Gewalt bezeichnen Medien und Politik heute unisono als die
Taten eines braunen Mobs, fordern das Durchgreifen der Polizei.
Das war in den 1990ern noch ganz anders. Das offizielle Deutschland warb
nach Ausschreitungen von Neonazis regelmäßig um Nachsicht für angeblich
verängstigte und überforderte „Deutsche“ – und schob die Probleme den
„Fremden“ und der Migration zu. Als negativer Höhepunkt dieser ignoranten
Sichtweise gelten die behördlicherseits lange unerkannt gebliebenen
Mordtaten der Terrorgruppe NSU.
## Praktizierte Weltoffenheit
Flüchtlinge, Globalisierung, Antifaschismus, deutsche Identität – das sind
einige Stichworte der gegenwärtige Debatte mit ihren rechtsradikalen
Sommergespenstern. Und mit diesen im Gepäck reisen am Freitag auch viele
Kulturjournalisten nach Weimar, wo sie an einem Akt exemplarisch
praktizierter Weltoffenheit und kultureller Verständigung teilnehmen und
darüber berichten werden.
Das Goethe-Institut und ihr Präsident Klaus-Dieter Lehmann laden am
28.August zu einem Festakt ins Stadtschloss Weimar, um die diesjährigen
Goethe-Medaillen zu verleihen. Diese offizielle Auszeichnung der
Bundesrepublik erhalten Eva Sopher, Neil MacGregor und Sadik al-Azm. Eine
deutsche Jüdin, ein Brite und ein Syrer also, die sich, so Goethe-Präsident
Lehmann, „in besonderer Weise um die Vermittlung deutscher Sprache sowie
den internationalen Kulturaustausch verdient gemacht haben“. Eines der
Grußworte wird Bodo Ramelow halten, Thüringens Ministerpräsident (Die
Linke).
## Deutscher Kultur verbunden geblieben
Das Goethe-Institut liefert ihm mit den drei Preisträgern eine exzellente
Vorlage, angesichts der gegenwärtigen Ereignisse entsprechende Akzente zu
setzen. Eva Sopher ist Präsidentin des Theatros São Pedro im
brasilianischen Porto Alegre. Die 1923 in Frankfurt geborene Frau stammt
aus einer deutsch-jüdischen Familie und konnte Ende der 1930er Jahre vor
den Nazis nach Südamerika fliehen. Dort baute sie im Laufe der Jahre eine
überwiegend mit privaten Mitteln betriebene Kulturinstitution auf, in der
neben brasilianischen Künstlern auch Größen aus der Bundesrepublik wie Pina
Bausch oder Hanna Schygulla gastierten.
Sopher ist trotz des Holocaust der deutschen Kultur verbunden geblieben. In
einem Interview fragte die 92-jährige Weltbürgerin gerade: „Was hat
Beethoven mit dem zu tun, warum ich Deutschland verlassen habe?“
In die Bundesrepublik Deutschland emigriert ist hingegen einer der anderen
Preisträger, der syrische Philosoph Sadik al-Azm. Er macht sich für eine
demokratische Entwicklung in den arabischen Gesellschaften stark und
kritisiert das sich wechselseitig bedingende Verhältnis von arabischen
Despotien (Polizeistaaten, wie sie Assads Baath-Regime verkörpert) und
politisch-religiösem Extremismus. Von diesen in die Zange genommen befinden
sich in der Mitte die zivilgesellschaftlich-demokratischen Kräfte, wie sie
sich im Arabischen Frühling artikulierten und zwischenzeitlich fast überall
ins Hintertreffen gerieten.
Al-Azm war Professor in Beirut und Damaskus, lehrte in Berlin und Hamburg.
2012 erhielt er zusammen mit seiner Frau Asyl in Deutschland.
## Gelassenheit aus der Distanz
Vom sich wandelnden historischen Selbstverständnis der Deutschen hat
zuletzt kaum ein anderer so prägnant und publikumswirksam erzählt wie der
Direktor des British Museum, Neil MacGregor. Berühmt wurde er bereits zuvor
mit „Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten“, auch dank seiner
geschickten Zusammenarbeit mit der BBC. 2014 machte er sich zum
Weltkriegsjubiläum an die aufsehenerregende Schau über den früheren
deutschen Erzrivalen, „Germany: Memories of a Nation“. Der Begleitband
erscheint am 11. September auf Deutsch unter dem Titel „Deutschland.
Erinnerungen einer Nation“ im C. H. Beck Verlag.
Mit einem gewissen Abstand sieht man vieles gelassener, manches auch
vorurteilsfreier wie MacGregor. Der universell gebildete Brite kann mit
wissenschaftlicher Neugier und erfrischender Unbekümmertheit von
kulturellen Besonderheiten in der deutschen Geschichte erzählen, sei es das
Entstehen symbolischer Objekte wie das Eiserne Kreuz oder die
schriftstellerische Einordnung von Werk und Person Christa Wolfs.
Oder MacGregor nimmt die Typografie des Schriftszugs (“Jedem das Seine“) am
Eingangstor des Konzentrationslagers Buchenwald vor den Toren Weimars zum
Ausgang einer Betrachtung, in der er das verbrecherische Nazisystem mit der
Geschichte einer individuellen Person, Gedanken über Widerstand, Tradition
und Ästhetik verknüpft. Ohne neben Buchenwald Goethe zu vergessen, dessen
Werk er rühmt und dessen Haus er in Weimar als „ein Denkmal der Aufklärung,
das British Museum eines einzelnen Sammlers“ bezeichnet.
Ab Oktober 2015 wird MacGregor auch der Gründungsintendanz des
Humboldt-Forums in Berlin angehören. Mit der offenen Perspektive MacGregors
wird dieser Institution wohl künftig eine Schlüsselrolle zukommen, so es
darum geht, kulturell ein aufgeklärtes Geschichtsverständnis dem nicht nur
in den Provinzen immer wieder aufflammenden völkischen Nationalismus
entgegenzusetzen.
27 Aug 2015
## AUTOREN
Andreas Fanizadeh
## TAGS
Goethe-Institut
Neil MacGregor
deutsch
Deutsche Identität
Humboldt Forum
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