| # taz.de -- Hauptstadtflughafen BER: Wie Stahl hier Leere trägt | |
| > Kein Urlaubsgefühl, keine Laufbänder: Der BER ist schon lange eine | |
| > Baustelle. Wie lange wohl noch? Ein Besuch am verlachtesten Ort der | |
| > Republik. | |
| Bild: Er wird einfach nix – aber er blüht schon! Der BER | |
| Airport City, das liegt da vorne. Steht auf dem Verkehrsschild: Airport | |
| City. Sieben Uhr fünfzehn, die Sonne geht auf, und wüsste man nicht, dass | |
| Airport City eine Baustelle ist, könnte man jetzt denken: Da vorne geht es | |
| raus in die Welt. Man könnte aufgeregt werden, dieses Urlaubsgefühl | |
| kriegen; gleich mischen sich Sprachen und Stimmen mit Hektik. Man könnte | |
| Menschen sehen, wie sie Espresso trinken und dabei Dinge mit ihren Händen | |
| erklären, als gäbe es Preise für die beste Geste. | |
| Es würden Kinder schreien, Rollbänder laufen, bitte die Tickets, die Pässe, | |
| letzter Aufruf; überall wäre es angenehm kühl, alles schiene angenehm nah – | |
| Thailand, Kanada, die Kontinente würden sich in Gates und Passkontrollen | |
| verdichten, der Orangensaft würde vier Euro kosten, alles wäre zu teuer und | |
| überhaupt alles egal. | |
| Dann zieht die Sonne höher, die Sicht wird klar, kein Nebel, keine Wolken; | |
| es ist sieben Uhr dreißig und Airport City liegt vor dir wie ein | |
| Missgeschick. Das also ist Flughafenstadt: ein, huch, zur Wirklichkeit | |
| geratenes Architekturmodell. Auf einem Vorplatz stehen Bänke. Auf den | |
| Bänken liegt Laub. Hinter den Bänken hat man Bäume gepflanzt, präzise im | |
| selben Abstand. Parkhaus P1, P8, Parkplatz P4, P5. | |
| ## Infotafeln sind verwirrt | |
| Oben fliegen Krähen, unten steht „Betreten verboten“. „Haltestelle außer | |
| Betrieb“. Ein Schild zeigt an, wo man sich später Gepäckwagen wünscht. | |
| Einbahnstraßen ergeben keinen Sinn, Infotafeln sind verloren: Bahn links, | |
| Taxi links, Medicalcenter woanders. „Standort: You are here“. Infotafeln | |
| sind verwirrt, man kriegt Mitleid mit ihnen. You are where? – BER. | |
| FLUGHAFEN BERLIN BRANDENBURG WILLY BRANDT. | |
| Ein Bus hält und drei Männer steigen aus. Wie animiert laufen sie über den | |
| Vorplatz, wie Darsteller eines BER-Imagefilms halten sie ihre Köpfe | |
| geneigt, ist ja zugig hier. Sie müssen das geübt haben, wie man im Herbst | |
| geht, und sie machen ihre Sache gut. | |
| Durch Glaswände können sie die Putzfrau schon von Weitem sehen, die bereits | |
| im Airport Center ist, dort wollen sie hin; die Frau schleppt ihren Eimer | |
| eine Treppe runter und fängt an zu wischen. Im Büro nebenan sitzt ein | |
| Managermann auf seinem Bürostuhl und trinkt aus einem Plastikbecher. Er | |
| sieht kurz aus dem Fenster und sieht dann erschrocken aus: Als sei er | |
| überrascht, dass noch jemand da ist. | |
| Vor dem Eingang zum Airport Center stehen zwei Männer und zwei Frauen, sie | |
| rauchen und reden, aber was sie arbeiten, dürfen sie nicht sagen. Wie lange | |
| sie schon arbeiten: Dürfen sie nicht sagen. Wie lange noch: Dürfen sie | |
| nicht sagen. Dürfen sie irgendwas sagen? „Nein.“ Schulterzucken, | |
| Schamgekicher. Alle vier setzen den | |
| Wir-wissen-doch-genauso-gut-wie-Sie-was-hier-los-ist-Blick auf, aber | |
| niemand sagt: Wir befinden uns am verlachtesten Ort der Republik, auf dem | |
| Boden peinlicher Misskalkulation. Gucken Sie doch, das ist eine Glas-Farce. | |
| ## Abrissparty mit Mitternachtssprengung | |
| „Verschwiegenheit“, sagt einer der beiden Männer und drückt seine Zigaret… | |
| aus, aber niemand sagt: Wir wissen, was man von dem Geld alles hätte bauen | |
| können, das der BER bisher gekostet hat: 32.137 neue Meter einer Autobahn | |
| zum Beispiel. Oder drei neue Berliner Hauptbahnhöfe. | |
| Niemand sagt: Wir haben dann und dann von den maroden Brandwänden gehört, | |
| von den zu schweren Ventilatoren, von den zu kurzen Rolltreppen. Und | |
| niemand sagt: Wir haben gelesen, dass man sich auf Facebook für eine „BER | |
| Abrissparty mit großer Mitternachtssprengung“ anmelden kann, falls man an | |
| Silvester noch nichts vorhat. Zusagen: 21.508. | |
| „Fragen Sie jemand anderes“, sagt eine der beiden Frauen, sie verschwindet | |
| durch die Drehtür ins Airport Center, doch folgt man ihr, hilft das auch | |
| nicht. Im Airport Center wird geheizt, es riecht nach den Ledersitzen | |
| frischer Autos. | |
| „Planung und Bau BER“ sollen dort untergebracht sein, außerdem die | |
| „Öffentlichkeitsarbeit“, Flughafenseelsorge, Zahnärzte, Unfallchirurgie u… | |
| Kantine, allerdings passiert auf den Fluren wenig, hinter den Türen regiert | |
| die Stille und die Kantine sieht so einladend aus wie ein | |
| Krankenhausbistro: Stuhlbeine aus Metall, Getränkeautomat und aschfahle | |
| Tabletts. Auf den Speiseplan, immerhin, ist ein Lebenszeichen gedruckt: | |
| Dienstag, 6. Oktober. Heute gibt es Bratheringe. | |
| ## Man lebt hier die Fragen | |
| Der beste Witz findet sich wieder an der Luft, er ist in eine Säule | |
| eingelassen: DGNB. „Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen“. | |
| Eigentlich müsste man ernst bleiben, vieles an dieser Situation ist | |
| schließlich ernst, und vieles ist von melancholischer Schönheit – wie Stahl | |
| hier Leere trägt, allein. Das Wissen, auf gescheitertem Asphalt zu gehen. | |
| All die Titel, die für einen Terminal gebraucht werden. Flughafen-Chef. | |
| Flughafen-Sprecher. Flughafen-Aufsichtsrat. | |
| Flughafen-Vize-Aufsichtsratschef. | |
| Dass auf Verkehrsinseln längst Disteln und Holunder blühen, Sträucher über | |
| Leitplanken wachsen. Man kann sich fragen, wohin der Feuerwehrmann dort | |
| hinten will, welches Feuer er wohl löscht. Man lebt hier die Fragen, nicht | |
| die Antworten, fast poetisch das Ganze, „Leben Sie jetzt die Fragen“, | |
| schrieb Rilke mal in einem Brief. „Und es handelt sich darum, alles zu | |
| leben.“ Man kann auf eine Autobahnauffahrt laufen und keiner hält einen | |
| auf. | |
| Aber wie kann man ernst bleiben, wenn am Himmel fremde Kondensstreifen | |
| verlaufen? Wenn nebenan, am Flughafen Schönefeld, die Easyjets aufsteigen | |
| und landen, als wollten sie dem BER zeigen, wie es richtig geht. Wenn man | |
| an einen fertigen Fahrstuhl gerät und es „bling“ macht, sobald man ihn | |
| ruft, drin die Strahler und Knöpfe leuchten, U1, E0, <|>, >|<, und dann | |
| gehen die Türen nicht auf. Du schaust den Fahrstuhl an und er dich. | |
| Mike jedenfalls muss lachen, „klar ist das langweilig“, sagt er. Mike ist | |
| hier zum Aufpassen, er ist vom Sicherheitsdienst, angestellt im | |
| Steigenberger Hotel, in dem keiner übernachtet. Im Flughafenhotel. Er | |
| schlendert die Lobby auf und ab, vorbei an schwarzen Sofas, er schlendert | |
| hinter Marmor. Lange, glatte Vorhänge blähen sich im Wind. Er sei da für | |
| den Fall, dass mal was ist, sagt Mike. „Feueralarm oder so“, sagt er. | |
| „Damit die Leute heil rauskommen.“ | |
| Welche Leute? „Die Leute vom Sicherheitsdienst.“ Die Zimmer sind alle | |
| fertig? „Ja.“ Darf man mal rein? „Nee, da macht Steigenberger Ärger“. … | |
| könnte hier doch Flüchtlinge wohnen lassen, oder? Die Betten sind ja | |
| gemacht. Mike lacht wieder. „Da wird Steigenberger sich freuen,“ sagt er | |
| und verabschiedet sich; jemand hat SAUBER auf die verstaubten | |
| Fensterscheiben des Steigenbergers geschrieben. Und drunter jemand: | |
| DRECKIG. | |
| ## Ort der Lügen und Legenden | |
| Hallo! – „Hallo.“ Gegenüber stehen zwei Männer mit Signalwesten in einer | |
| Grube. Geht’s voran? „Sie müssen sich nur umschauen, wie’s so aussieht, | |
| dann wissen Sie’s“, sagt der eine. Was machen Sie? Keine Antwort, gefrorene | |
| Gesichter. „Beleuchtung“, murmelt schließlich der Rechte, der Linke fällt | |
| ihm ins Wort: „Das, was hier alle machen, Kabel verlegen.“ | |
| Airport City: Ort der Lügen und Legenden. Hier werden Mythen noch | |
| geschaffen und Hierarchien gepflegt, und wenn der BER einem eines lehrt, | |
| dann dass jedem, der für ihn arbeitet, eine Menge Ehrfurcht gebührt. | |
| Morgens ziehen diese zwei Männer ihre Signalwesten an, ohne zu wissen, wann | |
| oder ob die Kabel, die sie verlegen, je benutzt werden. Abends gehen sie | |
| ins Bett und wissen es immer noch nicht. | |
| Ob sie ihre Namen verraten? „Nein.“ Ihre Vornamen? „Nein.“ Einen Vornam… | |
| „Nein.“ | |
| Gegen elf Uhr kommt der Laubbläser und mit ihm der erste Lärm des Tages, im | |
| „Infotower“ wird einer Reisegruppe aus Berlin der Flughafen erklärt. Sie | |
| schauen sich Plakate und Modelle an. Die BER-Frau berichtet, für welche | |
| Etage irgendwann die Check-in-Schalter vorgesehen sind. Es gibt Flyer und | |
| Kinder-Ferienprogramme zum Mitnehmen. Es gibt eine Zeitung, BER aktuell. | |
| Draußen weist ein Schild den Weg zur „Baustelle BER“. Auf dem Schild ist | |
| ein Pfeil. Der Pfeil zeigt nach rechts. Rechts ist ein Feld. | |
| 21 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Annabelle Seubert | |
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