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# taz.de -- Linksintellektuelle und der Front National: Genossin Le Pen
> Der Front National spricht nicht nur Rechte an. Auch einige linke
> Intellektuelle sehen in der Partei eine Vision für die Zukunft
> Frankreichs.
Bild: Einige haben wohl Führer_innensehnsucht. Im Bild: FN-Chefin Marine Le Pen
Marine Le Pen behauptet, der von ihr seit 2011 präsidierte Front National
(FN) sei nicht extremistisch und politisch weder links noch rechts. Das ist
schnell gesagt und kostet nichts. Das zynische Lachen über diese allzu
durchsichtige Verhüllung der FN-Chefin ist den einen in Frankreich
vergangen; den vielen anderen erscheint gerade der Ausschluss des
polternden Rassisten und Parteigründers Jean-Marie Le Pen durch seine
eigene Tochter wie ein Beweis dafür, dass diese Normalisierung nicht bloß
Propaganda war, um die rechtsextreme Partei „salonfähig“ zu machen.
Jetzt jedenfalls schwinden Berührungsängste. Mehrere bürgerliche
Lokalpolitiker sind in den letzten Monaten zum FN übergelaufen. Fremden-
und islamfeindliche Stellungnahmen und selbst rassistische „Ausrutscher“
scheinen mittlerweile banal zu sein.
Noch schlimmer ist, dass die Le-Pen-Partei mit ihrer aggressiven und
unvermindert fremdenfeindlichen Kritik am „System“ oder „Establishment“
immer mehr im Zentrum der Debatte steht, während andere oppositionelle
Stimmen, namentlich von links, nahezu verstummen. Der FN hat damit den
ersten großen Schritt zur Machtergreifung gemacht. Marine Le Pen habe vom
italienischen Marxisten Antonio Gramsci gelernt, dass vor der Eroberung der
politischen Macht die ideologische und kulturelle Hegemonie komme,
analysiert der Politologe und Religionsspezialist Olivier Roy.
Dabei ist es nicht neu, dass der FN weit über seine Wähler hinaus
fasziniert und zu einer Polarisierung der Diskussion beiträgt. In
Frankreich erinnert man sich an einen Satz des verstorbenen rechten
Innenminister Charles Pasqua. Er hatte von Jean-Marie Le Pen gesagt, er
stelle gute Fragen, gebe aber schlechte Antworten. Das war schon damals
falsch, als der FN vor dreißig Jahren mit seiner rassistischen
Hasspropaganda auf Kosten der Konservativen seine ersten Wahlerfolge
erzielte.
## Annäherung an die extreme Rechte?
Genauso daneben liegen heute einige bisher klar als links definierte
Intellektuelle, die in ihrer Wut oder Verzweiflung über die
„sozialliberale“ Politik von Präsident François Hollande und
Premierminister Manuel Valls in der extremen Rechten das kleinere Übel zu
erkennen glauben. Und dies allein schon deswegen, weil die Staatsmacht die
arrogante Elite verkörpert, während die populistische Rechte aufgrund des
Massenzulaufs den Anspruch erheben könne, die Stimme des unzufrieden
murrenden „Volks“ zu sein.
Darf oder soll folglich, wer als engagierter Intellektueller in der
Tradition von Sartre und Camus auf der Seite der kleinen Leute stehen will,
auch keine Angst vor einer geistigen Annäherung mit der extremen Rechten
haben? Diesen Schluss zieht der Philosoph Michel Onfray, und er ist nicht
der Einzige in einer ganzen Reihe Promis, die als neue Meinungsmacher der
Nation regelmäßig ihre pessimistische Sicht von Frankreichs Niedergang in
Zeitungskolumnen und in Talkshows ausbreiten.
Wer in diesen modernen Hahnenkämpfen Aufsehen beim Publikum erregen will,
muss provozieren, Tabus brechen, Gewissheiten anzweifeln und möglichst
gewagte Thesen aufstellen. Auch auf das Risiko hin, falsch verstanden zu
werden und von der falschen Seite Applaus zu bekommen. Umstritten ist aus
diesem Grund der Schriftsteller Michel Houellebecq (Zitat im Guardian:
[1][“Bin ich islamophob? Wahrscheinlich.“]), dessen alarmierende Vision
eines aggressiven Islam die reinste Propagandamunition für den FN
darstellt. Dasselbe ist Onfray passiert mit einem Interview im
rechtslastigen Figaro.
## A priori auf der Seite des Proletariats
Als Sohn eines Landarbeiters und einer Putzfrau macht der 56-jährige Onfray
einen lebenslangen Anspruch geltend, a priori auf der Seite des
Proletariats zu stehen. Ideologisch ist er weit mehr von Nietzsche und vom
Anarchismus des Franzosen Proudhon geprägt. Als Gründer der
Volksuniversität von Caen in der Normandie galt er fast als linker
Intellektueller par excellence. Das hinderte ihn nun aber nicht, ähnlich
wie gewisse – eher als reaktionär verpönte – Kreise unter anderem in einer
Talkshow zu spekulieren, dass [2][das inzwischen weltberühmte Foto vom
ertrunkenen syrischen Flüchtlingskind Aylan] eine „Manipulation“ sein
könnte; wofür er nicht den geringsten Beweis oder auch nur ein Indiz
lieferte.
Sein schon fast gehässiges Misstrauen gegenüber den Informationskanälen
teilt Onfray mit rechtsextremen Anhängern von Verschwörungstheorien ebenso
wie die Ansicht, dass die seiner Meinung nach zum Liberalismus
übergelaufene (sozialistische) Linke das „Volk“ verraten habe. „Seit
[Präsident] Mitterrand den Sozialismus 1983 gegen das liberale Europa
eingetauscht hat, wird das französische Volk mit Verachtung behandelt“,
urteilt Onfray. Er fügt völlig unnötiger-, aber sehr bezeichnenderweise an:
„Zu diesem Volk spricht Marine Le Pen. Und ich bin weniger gegen sie als
gegen diejenigen, die sie überhaupt möglich machen.“
Gibt der linke Philosoph der rechten FN-Chefin damit einen Persilschein für
ihren Populismus?
## Glaubenskrieg der französischen Linken
Das ist die Meinung des Chefredakteurs der linken Libération, Laurent
Joffrin, der die Auszüge aus dem Interview im Figaro gleich auf drei Seiten
[3][sehr kritisch kommentiert und zerreißt]. Das wiederum löste weitere
Reaktionen und auch eine heftige Entgegnung des in flagranti in seiner
FN-Nähe ertappten Onfray aus.
„Von mir zu sagen, ich sei objektiv ein Alliierter von Marine Le Pen, ist
absurd“, protestiert er.
Doch er hat nicht wirklich überzeugt. Mittlerweile weitet sich die Polemik
zu einem Glaubenskrieg in der französischen Linken aus. Für den 20. Oktober
organisiert das Magazin Marianne eine öffentliche Debatte, bei der als
Verteidigungskomitee für Onfray namhafte linke Intellektuelle wie Régis
Debray, Alain Finkielkraut, Pascal Bruckner oder Exminister Jean-Pierre
Chevènement sowie der Publizist Jean-François Kahn zur Unterstützung
aufgeboten werden. Onfray selber scheint schon unheimlich zu werden, was er
da in Gang gesetzt hat. Er hat seine Teilnahme an dieser Veranstaltung über
die „Freiheit der Debatte“ inzwischen abgesagt.
„Wer uns als Faschisten traktiert, gibt sich nicht die Mühe zu denken“,
meint Onfray.
## Plumpe Kritik
Er ist in seinem Plädoyer zur Abgrenzung selber auch nicht gerade nuanciert
ist: Im Fernsehen antwortete er pikiert dem Schriftsteller Yann Moix,
Denken sei wohl nicht seine Sache, und als Journalist stehe er nicht auf
der Seite des Volks, sondern der Macht. In seiner zornigen Kritik an den
Politikern und Parteien, die er für den Aufstieg des FN verantwortlich
macht, geht Onfray zu weit. Denn in seiner Logik sind die Antirassisten
schlimmer als die Rassisten. „Der FN hat eine Reihe von Fragen, wie die
Immigration oder die nationale Identität, für sich gepachtet. Deswegen
heißt es, das sei schmutzig. Ich meine aber, es gibt auf diese Fragen eine
linke Antwort“, sagt Onfray als gelehriger Schüler von Pasqua.
Das freilich macht ihn zwar noch nicht zum nützlichen Idioten von Marine Le
Pen. Unzweifelhaft trägt er aber dazu bei, dem FN, der reelle und auch ganz
irrationale Ängste instrumentalisiert, eine zusätzliche Legitimität zu
verleihen.
Berühren sich deswegen die Extreme, wie der Volksmund gern meint? Die
radikale Linke und die extreme Rechte kritisieren ähnlich scharf den
Wirtschaftskurs der Regierung von Präsident François Hollande, den Euro,
Maastricht und den „Liberalismus“ und fordern eine verstärkte (nationale)
Souveränität. In der französischen Linken war diese Strömung der
„Souveränisten“ immer bedeutend, in der ebenso viel Nationalismus wie
Verteidigung von basisdemokratischen Forderungen mitschwingt.
## Allianz gegen den Euro
Der Pariser Ökonom Jacques Sapir (er stand bisher der Linkspartei von
Jean-Luc Mélenchon nahe) machte darum den ihm logisch erscheinenden, aber
politisch verhängnisvollen, Schritt, indem er eine taktische Allianz zum
Kampf gegen den Euro und die liberale Austeritätspolitik auf dem Buckel der
kleinen Leute vorschlug. Onfray wäre nicht dagegen: „Die Idee die
‚Souveränisten‘ der beider Lager zu verbünden, ist gut. Marine Le Pen und
Jean-Luc Mélenchon haben gemeinsame Positionen.“ Damit hat er sich in den
Augen seiner Gegner vollends entlarvt und diskreditiert.
„Die Debatte über den Euro kommt endlich in Bewegung“, freute sich dagegen
Marine Le Pen auf Twitter.
Sie vermeidet es tunlichst, sich direkt in die von Onfray, Sapir und Co.
ausgelöste Polemik in der linken Intellektuellenszene einzumischen. Diese
ist ihr viel zu nützlich, weil sie nicht nur Grenzen verwischt, sondern vor
allem den Eindruck verstärkt, dass der FN letztlich die einzige Opposition
darstelle und dass jede Kritik an der Staatsmacht und den etablierten
Parteien, an der Wirtschaftspolitik und der EU nicht an ihm vorbeikommt.
5 Oct 2015
## LINKS
[1] http://www.theguardian.com/books/2015/sep/06/michel-houellebecq-submission-…
[2] /Grossbritanniens-Fluechtlingspolitik/!5226687
[3] http://www.liberation.fr/politiques/2015/09/14/en-reponse-a-michel-onfray_1…
## AUTOREN
Rudolf Balmer
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