| # taz.de -- Angst vor der Energiewende: Es geht drunter und drüber | |
| > Im Thüringer Wald entsteht eine neue Stromtrasse. Weil die Koalition | |
| > Akzeptanzprobleme fürchtet, muss nun neu geplant werden. | |
| Bild: Die Menschen sehen aus wie Ameisen! Teilstück der 380-KV-Trasse bei Tra�… | |
| Goldisthal taz | Wie riesig die Aufgabe ist, sieht man hier ganz konkret. | |
| An einem Hang mitten im Thüringer Wald nahe dem Örtchen Goldisthal hebt ein | |
| Kran Metallstreben in die Höhe, wo sie von angeseilten Arbeitern | |
| zusammengeschraubt werden. Nebenan schlagen Forstarbeiter mit | |
| Spezialmaschinen eine Schneise in den Wald, die Baumstämme ziehen sie mit | |
| Seilwinden durch das steile Gelände. | |
| Innerhalb weniger Wochen wächst hier ein Strommast mit gewaltigen | |
| Dimensionen heran. Er ruht auf vier Betonfundamenten, die 18 Meter tief in | |
| den Boden reichen; auf der Grundfläche hätte locker ein Einfamilienhaus | |
| Platz. Am Ende wird der Mast etwa 150 Tonnen wiegen und knapp 60 Meter hoch | |
| sein. | |
| 77 solcher Baustellen finden sich heute allein in Thüringen: Aus so vielen | |
| Masten besteht der dritte Bauabschnitt der „Südwest-Kuppelleitung“, auch | |
| bekannt als „Thüringer Strombrücke“. Mit einer Gesamtlänge von 210 | |
| Kilometern soll sie eine weitere Verbindung zwischen den ehemals getrennten | |
| Netzen in West- und Ostdeutschland schaffen und überschüssigen Strom aus | |
| dem Norden Deutschlands in den Süden transportieren. | |
| Im dritten Bauabschnitt entsteht derzeit auf gut 26 Kilometern zwischen | |
| Altenfeld und Schalkau im Schnitt alle 350 Meter ein Mast. Damit die Masten | |
| Platz für sechs Leitungsstränge bieten, sind sie nicht nur besonders hoch; | |
| ihre Ausleger sind mit über 30 Metern auch erheblich breiter als bei | |
| anderen Hochspannungsleitungen. | |
| ## Der Netzausbau verzögert sich schon jetzt | |
| In ganz Deutschland laufen Bürgerinitiativen Sturm gegen die neuen | |
| Stromleitungen. Vielerorts mit Erfolg: Im letzten halben Jahr entstanden | |
| insgesamt nur 41 Kilometer neue Leitungen – rund halb so viel wie geplant, | |
| heißt es in einem aktuellen Bericht von McKinsey. Das Beratungsunternehmen | |
| überprüft regelmäßig die Fortschritte bei der Energiewende. Durch weitere | |
| Verzögerungen sei das Netzausbauziel infrage gestellt. | |
| Die Kritikpunkte sind vielfältig: Grundstückseigentümer fürchten um den | |
| Wert ihrer Immobilien. Anwohner betrachten die Masten als Verschandelung | |
| der Landschaft oder wegen der elektromagnetischen Strahlung als | |
| Gesundheitsgefahr. Naturschützer kritisieren die Eingriffe in Ökosysteme. | |
| Tourismusverbände fürchten, dass Besucher ausbleiben. Derartige Kritik gab | |
| es auch in Thüringen. Doch Netzbetreiber 50Hertz und die Landesregierung | |
| haben viel unternommen, um die Akzeptanz zu steigern. | |
| Neben den vorgeschriebenen Entschädigungen für Eigentümer, auf deren | |
| Grundstücken die Masten stehen, zahlt das Unternehmen freiwillig Geld an | |
| die Gemeinden, über deren Gebiet die Leitungen laufen. „Bis zu 40.000 Euro | |
| pro Kilometer“, berichtet der Projektleiter Thomas Dockhorn. | |
| Die Trasse wurde so gewählt, dass sie möglichst selten bewohntes Gebiet | |
| tangiert. Täler werden mit besonders großen Abständen zwischen Masten | |
| überspannt, und wo immer möglich läuft die neue Leitung parallel zu | |
| bestehenden Stromtrassen. Ein großer Teil der Strecke wird zudem entlang | |
| der Bahnstrecke von Erfurt nach München geführt, die gerade im Bau ist. | |
| Auch bei Goldisthal brauchen die Bauarbeiter keine eigene Zufahrtsstraße, | |
| um Kräne, Stahl und Beton in den Wald zu schaffen. Sie nutzen den Weg, der | |
| zur nahen Tunnelbaustelle für den ICE führt. | |
| ## Kleine Bäume dürfen stehen bleiben | |
| Auch wenn die Baustelle einen großen Eingriff in die Natur darstellt, gibt | |
| sich der Betreiber Mühe, die Auswirkungen gering zu halten. Früher wurden | |
| die Stromtrassen in voller Breite komplett von Bäumen freigehalten, heute | |
| sind die Schneisen nicht nur schmaler; kleine Bäume, die mit den Leitungen | |
| auf absehbare Zeit nicht in Kontakt kommen, dürfen stehen bleiben. | |
| „Ökologisches Schneisenmanagement“ nennt 50Hertz dieses Vorgehen – und | |
| stößt damit bei Umweltverbänden auf Zustimmung. „Natürlich ist der Neubau | |
| einer Trasse immer ein großer Eingriff in die Natur“, sagt Eric Neuling, | |
| Netzexperte beim Naturschutzbund. „Aber das ökologische Schneisenmanagement | |
| reduziert diesen.“ Die Natur könne am Ende sogar profitieren: „Unter einer | |
| solchen Trasse ist der Artenreichtum größer als in einem intensiv genutzten | |
| Forst.“ | |
| In Thüringen war das Bemühen des Netzbetreibers erfolgreich: Die Zahl der | |
| Einwendungen aus der Bevölkerung ging mit jedem Bauabschnitt zurück. Und | |
| selbst die kritische Grünen-Umweltministerin Anja Siegesmund winkte das | |
| Projekt am Ende durch. Immerhin sei die „ökologisch sinnvollste Variante“ | |
| durchgesetzt worden, sagte sie. Zu Beginn des kommenden Jahres soll die | |
| Leitung in Betrieb gehen. | |
| Anderswo ist derzeit offen, wann und wie es mit dem Fernleitungsbau | |
| weitergeht – vor allem bei den drei geplanten Trassen zur | |
| Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ), die von Norden nach Süden | |
| führen sollen und auch bei manchen Energiewende-Freunden umstritten sind. | |
| Die Bundesregierung hat in der vergangenen Woche beschlossen, dass dabei | |
| statt der bisher üblichen Freileitungen sogenannte Erdkabel „Vorrang“ | |
| erhalten sollen. | |
| Damit sind alle bisherigen Planungen für diese Trassen hinfällig. „Wir | |
| starten wieder bei null“, sagt Thomas Dockhorn vom Netzbetreiber 50Hertz. | |
| Auch im Thüringer Umweltministerium hält sich die Begeisterung in Grenzen. | |
| „Wir waren bei der Planung für die HGÜ-Leitungen schon auf einem guten | |
| Weg“, sagt Martin Gude, Leiter der Energieabteilung. Sie sollten | |
| größtenteils mit bestehenden Freileitungen kombiniert werden. Das ist durch | |
| den Beschluss der Koalition nun hinfällig. „Die Planung muss wieder von | |
| vorn beginnen“, sagt Gude. | |
| ## Erdkabel sind auch ein Eingriff | |
| Zudem werden zwar manche Akzeptanzprobleme gelöst, wenn die ungeliebten | |
| Leitungen unter der Erde verlegt werden, doch es entstehen dabei auch neue | |
| Probleme: Die Kosten sind um ein Vielfaches höher, Reparaturen werden | |
| deutlich zeitaufwendiger sein. | |
| Die Landschaft verändert sich auch durch Erdkabel: Eine etwa 40 Meter | |
| breite Schneise muss frei von Bäumen und Büschen gehalten werden. Der Bau | |
| selbst bedeutet einen massiven Eingriff in den Boden- und Wasserhaushalt. | |
| Bei der „Thüringer Strombrücke“ wurde darum auf ein Erdkabel verzichtet. … | |
| war ursprünglich wenige Kilometer südlich von Goldisthal vorgesehen, wo die | |
| Leitung Deutschlands beliebtesten Wanderweg, den Rennsteig, kreuzt. Die | |
| ökologischen Auswirkungen eines unterirdischen Kabels wären zu groß, | |
| entschied die Naturschutzbehörde. Nun wachsen auch hier stählerne Masten in | |
| den Himmel. | |
| 13 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Malte Kreutzfeldt | |
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