| # taz.de -- Arte-Doku über Roland Barthes: Der Strukturalist in der Prügelbude | |
| > Weil er demnächst 100 Jahre alt würde, widmet Arte dem | |
| > Großintellektuellen Roland Barthes eine Dokumentation. Sie ist ein wenig | |
| > verhuscht. | |
| Bild: Mit Zigarre und Büchern: Roland Barthes in Paris | |
| Wenn einer ins Fernsehen gehört, dann er: Bekannt geworden ist Roland | |
| Barthes, nie unumstrittener Großintellektueller seiner Zeit, ja durch – im | |
| Ursprung journalistische – Befassungen mit der populären, der „niederen“ | |
| Kultur: Seine „Mythologies“, die „Mythen des Alltags“, für Zeitschrift… | |
| entstandene kurze Texte, widmeten sich dem Entschlüsseln alltäglicher | |
| Phänomene. | |
| Dass in Thierry Thomas‘ Dokumentation „Roland Barthes – Ein Meister der | |
| Dechiffrierkunst“ der Off-Kommentar aus der da praktizierten | |
| Ideologiekritik einmal eine „ideologische Kritik“ macht – Barthes, der | |
| „Soziologe, Linguist und leidenschaftlicher Entzifferer von Zeichen“ hätte | |
| vermutlich einen Erkenntnisfunken daraus zu schlagen verstanden. | |
| „Roland Barthes has been dead for 35 years, but he may be onto something“: | |
| Wie nützlich sein Werkzeugkasten auch heute sein kann, zeigte sich in der | |
| vergangenen Woche erst. | |
| Da verlinkten mehrere – zumeist im US-Diskurs-Sinn liberale – Onlinemedien | |
| auf einen Text von Judd Legum, in dem der vormalige | |
| Hillary-Clinton-Campaigner schreibt, einzig Barthes helfe, das Phänomen | |
| Donald Trump zu verstehen: Wer sich fragt, warum der exzentrische | |
| Immobilienmann mit den wiederkehrenden Politikambitionen gerade derart | |
| erfolgreich den US-Vorwahlkampf aufmischt, muss also nur lesen, was Barthes | |
| übers Catchen geschrieben hat, jene Vorform des heutigen Wrestling, im | |
| Rückblick beinahe rührend schlicht, aber schon von den selben | |
| Show-Mechanismen bestimmt. | |
| ## Aktuell? Eine Behauptung | |
| Ganz ähnlich stand es vor ein paar Jahren auch schon im New Yorker: Was | |
| Barthes, später ein erklärter Freund gemäßigter politischer Positionen, | |
| seinerzeit über den Antiintellektualismus der rechtspopulistischen | |
| „Poujadisten“ geschrieben habe, treffe doch haargenau auf die heutige Tea | |
| Party zu. | |
| Natürlich: Dass Barthes höchst aktuell sei, das ist auch dieser bereits | |
| 2013 entstandenen Doku ein Anliegen – aber es bleibt ein wenig Behauptung. | |
| „Dabei wäre es einfach gewesen, die anhaltende Begeisterung etwa für ein – | |
| damals – neues Citroen-Modell mit dem heutigen Hype um neue Smartphones in | |
| Beziehung zu setzen: Die Signifikanten mögen wechseln, der Mythos bleibt. | |
| Der spätere Großintellektuelle zu Gast in der rauchgeschwängerten | |
| Hinterhof-Prügelbude: Das hätte starke Bilder gestiftet, aber die hat | |
| niemand gedreht, damals in den 50er-Jahren. Immerhin: ein paar aufeinander | |
| gewuchtete Männerkörper in schwarz-weiß, mit zeitgenössischen Ausführungen | |
| Barthes‘ unterlegt. | |
| Ansonsten ist der 1980 bei einem Autounfall ums Leben gekommene Barthes | |
| viel am Schreibtisch zu sehen, manchmal auch auf der Straße oder im | |
| Fernsehstudio, aber es wirkt, als ließe sich nicht recht zeigen, was er | |
| vielleicht sein eigentliches Tun genannt hätte. | |
| „Oft schreibe ich im Grunde, um geliebt zu werden“, das ist immerhin einer | |
| der ersten Sätze, den wir Barthes im Film sagen hören, gleich wieder | |
| gekontert: Er wisse, „dass man nie wirklich für sein Schreiben geliebt | |
| wird“. Wie sehr aber dieses Motiv tatsächlich zum Tragen gekommen ist, das | |
| wird nur gestreift. | |
| ## Reaktion? Skepsis | |
| Wenn der Strukturalist heute in nordamerikanischen Debatten eher auftaucht | |
| als in Deutschland, ist das kein Zufall: Hierzulande reagierten | |
| Fachbereiche und – zunächst – Feuilletons mit beinahe typisch zu nennender | |
| Skepsis auf ihn. Mal war es sein allzu literarischer Stil, dann wieder das | |
| hakenschlagende Verlassen bis eben noch vertretener Theorie-Positionen. | |
| Noch 2008 schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung, an der Diagnose, | |
| „Deutschland sei auf der Landkarte der internationalen Barthes-Rezeption | |
| ein weißer Fleck“, habe sich auch in den zurückliegenden zehn Jahren „so | |
| gut wie nichts geändert“. Nicht nur für ein deutsches Publikum wäre diese | |
| Rezeptionsgeschichte wohl bereichernd gewesen. | |
| Dass sie fehlt, ist Thierry Thomas dabei gar nicht zum Vorwurf zu machen: | |
| Vielleicht hätten einer intellektuell so reichen Figur wie Roland Barthes | |
| zum nicht erlebten 100. im kommenden November einfach mehr als 55 Minuten | |
| zugestanden? | |
| 23 Sep 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Alexander Diehl | |
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